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News: Blicke ins Unsichtbare

Jahrtausendelang beobachteten die Menschen die Gestirne lediglich mit ihren Augen. Erst die moderne Physik eröffnete neue Möglichkeiten, den Himmel in einem anderen Licht zu sehen. Der diesjährige Nobelpreis für Physik zeichnet drei Forscher aus, die mit ihren Arbeiten den Weg für zwei neue Forschungsgebiete der Astronomie bereitet haben.
Es muss Galileo Galilei buchstäblich die Augen geöffnet haben, als er zum ersten Mal sein selbstgebautes Fernrohr auf den Mond und den Planeten Jupiter richtete. Erst dieses technische Hilfsmittel, das er Anfang des 17. Jahrhunderts nach niederländischem Vorbild baute, ließ ihn seine bedeutenden astronomischen Entdeckungen machen, denen er seine Berühmtheit verdankt.

Heute, rund 400 Jahre nach Galilei, reichen optische Hilfsmittel allein nicht mehr aus, um dem Weltraum seine Geheimnisse zu entlocken. Denn das sichtbare Licht umfasst nur einen kleinen Teil des elektromagnetischen Spektrums, zu dem beispielsweise auch die Röntgenstrahlung gehört, für deren Entdeckung Wilhelm Conrad Röntgen im Jahre 1901 den ersten Physik-Nobelpreis erhielt. Mal abgesehen davon, dass diese energiereiche Strahlung für uns unsichtbar ist, wird ihr kosmischer Nachweis auch durch die Erdatmosphäre erschwert, die einen Großteil des Röntgenlichts absorbiert. Und nicht nur manche Strahlungsart entzieht sich unserer direkten Beobachtung, auch bestimmte Teilchensorten des kosmischen Dauerregens passieren die Erde, ohne dass wir davon etwas mitbekommen.

So sagte Wolfgang Pauli schon 1930 die Existenz eines neutralen Teilchens – des Neutrinos – voraus, doch dauerte es noch 25 Jahre, bis Frederick Reines das Teilchen tatsächlich bei Experimenten mit einem Kernreaktor nachweisen konnte. Dabei ist das Neutrino durchaus auch für die Astronomie bedeutsam, denn anhand der unscheinbaren Teilchen lässt sich nachweisen, dass die Sonne ihre Energie aus einem Fusionsprozess gewinnt – eine Erkenntnis, die Anfang des vorherigen Jahrhunderts nicht selbstverständlich war.

Abermillionen von Sonnenneutrinos – so vermutete man – passieren in jeder Sekunde die Erde, die meisten jedoch, ohne dass davon etwas zu spüren ist: Nur jedes billionste Neutrino sollte auf dieser Reise durch die Erde gestoppt werden. Raymond Davis Jr., einer der diesjährigen Nobelpreisträger, war in den späten fünfziger Jahren der einzige Wissenschaftler, der sich traute, nach jenen Sonnenneutrinos zu fahnden. Mut machten ihm dabei die theoretischen Arbeiten des italienischen Physikers Bruno Pontecorvo. Dieser vermutete nämlich, dass eine bestimmte seltene Art besonders energiereicher Neutrinos mit Atomkernen des Elements Chlor reagiert und dabei einen Argonkern und ein Elektron freisetzt.

Davis konstruierte also einen völlig neuartigen Detektor: einen riesigen Tank, gefüllt mit 615 Tonnen des Reinigungsmittels Tetrachlorethen, verborgen tief in der Erde in dem Stollen einer ehemaligen Goldmine in South Dakota. Hier, so berechnete er, würden in jedem Monat zwanzig Neutrinos mit Chloratomen reagieren und dabei ebenso viele Argonatome entstehen. Die Leistung des Forschers bestand vor allem darin, diese Argonatome aus den 2·1030 Chloratomen herauszufischen und ihre Anzahl zu bestimmen – ein Unterfangen, das ähnlich schwierig ist, wie ein bestimmtes Sandkorn in der Sahara zu finden.

Davis meisterte jedoch die Herausforderung, indem er Heliumgas in den Tank einleitete, das die Argonatome mit sich riss. Bis 1994 ließen sich auf diese Weise rund 2000 Argonatome gewinnen – viel zu wenig, schenkt man den Vorhersagen glauben. Da Davis zeigen konnte, dass kein Argonatom im Tank zurückblieb, gab es ein neues Rätsel: Warum lassen sich nur so wenige Sonnenneutrinos auf der Erde nachweisen?

Noch während Davis' Experiment lief, wagte sich auch der Japaner Masatoshi Koshiba mit seinem Team an den Nachweis von Sonnenneutrinos. Er konstruierte einen Detektor – den Kamiokande –, der ähnlich wie sein amerikanisches Vorbild aus einem großen Tank, platziert in einem Minenschacht, bestand. Koshibas Detektor war jedoch mit Wasser gefüllt, denn auch damit reagieren Neutrinos zuweilen, wobei ein Elektron freigesetzt und ein Lichtblitz erzeugt wird. Lichtdetektoren rund um den Tank, so genannte Photomultiplier, registrierten diese Blitze. Damit gelang es Koshiba nicht nur die Ergebnisse von Davis zu bestätigen, er konnte sogar den Ursprung der Neutrinos feststellen: Sie kamen tatsächlich von der Sonne – aber nicht nur, wie sich herausstellte.

So konnte Kamiokande im Februar 1987 einen Neutrinoausbruch detektieren, dessen Ursprung 170 000 Lichtjahre von der Erde entfernt inmitten der Großen Magellan'schen Wolke lag. Schnell zeigte sich, dass hier eine Supernova-Explosion stattgefunden hatte – das spektakuläre Ende eines fernen Sterns, der rund 1058 Neutrinos freisetzte.

Mittlerweile scheint auch das Rätsel um den Verbleib der Sonnenneutrinos gelöst: So baute Koshiba einen noch größeren Detektor, den Super-Kamiokande, der 1996 seinen Betrieb aufnahm. Die Beobachtungen dieser Einrichtung sowie einer ähnlichen Anlage in Kanada deuten auf ein neues Phänomen hin: die Neutrinooszillationen. Demnach scheinen sich die unterschiedlichen Neutrinoarten ineinander umwandeln zu können, und dies könnte eben auch erklären, warum Davis nicht so viele Neutrinos nachweisen konnte wie ursprünglich vermutet.

Und noch eine wichtige Frage scheint damit beantwortet zu sein – ob das Neutrino eine Ruhemasse hat. Denn nur wenn das Teilchen eine wenn auch verschwindend kleine Masse besitzt, dann könnte es zu jenen Neutrinooszillationen kommen. Die Frage nach der mutmaßlichen Masse ist dabei äußerst bedeutsam für das Standardmodell der Elementarteilchen und die Rolle des Neutrinos im Universum. So könnte das Teilchen einen Teil jener dunklen Materie bilden, deren Existenz noch immer rätselhaft ist.

Die unscheinbaren Teilchen haben also noch längst nicht alle ihrer Geheimnisse preisgegeben. Die bisherigen Erfolge möchte die Royal Swedish Academey of Sciences aber schon jetzt mit einem halben Nobelpreis würdigen, der zu gleichen Teilen – also jeweils einem Viertel – den beiden Wegbereitern der Neutrino-Astronomie gebührt: David und Koshiba.

Doch zurück zur Röntgenstrahlung: Auch deren kosmischer Ursprung war nicht leicht festzustellen. Erst im Jahr 1949 gelang es erstmals Wissenschaftlern, einen Detektor an Bord einer Rakete ins All zu befördern und mit ihm die Sonnenoberfläche als eine Quelle jener hochenergetischen Strahlung auszumachen. Und es dauerte noch einmal zehn Jahre, bis der damals 28-jährige Riccardo Giacconi zusammen mit Bruno Rossi an einem Röntgenteleskop arbeitete, das an der Spitze einer Trägerrakete sitzend weitere mögliche Röntgenquellen im All ausmachen konnte.

Bei einem solchen Raketenflug im Juni 1962 wollten die Wissenschaftler um Giacconi eigentlich prüfen, inwieweit der Mond unter dem Einfluss der Sonne Röntgenstrahlen emittiert. Wie sich zeigte, sendete der Erdtrabant keine Strahlung aus, doch die Geigerzähler an Bord des Teleskops detektierten während einer Drehung plötzlich eine starke Quelle weit draußen im All und zudem eine Hintergrundstrahlung im Röntgenbereich, die sich gleichmäßig über den Himmel verteilte.

In der Folgezeit ließen sich eine ganze Reihe von Einzelquellen ausmachen. Bei den meisten handelte es sich um Doppel-Systeme, in denen beispielsweise zwei Sterne in kurzer Distanz um einen gemeinsamen Schwerpunkt kreisen – doch Genaues ließ sich damals häufig nicht sagen, da die Detektoren noch nicht empfindlich genug waren und die Messzeit an Bord der Raketen zu kurz war.

So initiierte Giacconi den Bau eines Röntgensatelliten, der schließlich 1970 von einem Raumbahnhof in Kenia ins All befördert wurde. UHURU, was auf Suaheli soviel wie "Freiheit" bedeutet, war rund zehnmal empfindlicher als die Raketenexperimente zuvor und lieferte außerdem in jeder Woche mehr Ergebnisse, als alle vorherigen Messungen zusammengenommen.

Und bei UHURU sollte es nicht bleiben: Acht Jahre später schickten Giacconi und seine Mitstreiter das Einstein X-ray Observatory ins All, das in Bezug auf Auflösungsvermögen und Empfindlichkeit seinen Vorgänger noch einmal deutlich übertraf. Es konnte noch Röntgenquellen feststellen, die eine Million Mal schwächer waren als Scorpius X-1 – die Quelle, die beim ersten Raketenflug per Zufall entdeckt wurde.

Das Röntgenteleskop machte in den kommenden Jahren viele Entdeckungen im All: Röntgendoppelsterne, Doppelsysteme, die vermutlich ein Schwarzes Loch beinhalten, Überreste von Supernovae, Röntgensterne außerhalb unserer Milchstraße und Röntgenausbrüche ferner aktiver Galaxien sind dabei nur einige Beispiele. Doch damit nicht genug: Giacconi gilt auch als Vater des nächsten Teleskops, dessen Entwicklung im Jahr 1976 begann. Doch es sollte bis 1999 dauern, bis Chandra – benannt nach dem Astrophysiker und Nobelpreisträger Subrahmanyan Chandrasekhar – in seine Umlaufbahn um die Erde schwenkte. Neben dem Hubble Space Telescope, das vor allem das sichtbare und infrarote Licht einfängt, ist Chandra das zur Zeit leistungsfähigste Weltraumobservatorium.

Dank der Röntgenastronomie und ihrer Pioniere – allen voran Giaconni – haben Astronomen heute ein ganz anderes Bild des Universums als noch vor fünfzig Jahren, geschweige denn den Tagen Galileis. So weiß man mittlerweile, dass es Regionen im All gibt, die extrem schnellen Entwicklungen unterworfen sind, bei denen unglaubliche Energiemengen in Sekundenbruchteilen freigesetzt werden. Dabei sind die Quellen dieser Energie oft nicht viel größer als die Erde. Von einem statischen Universum kann also keine Rede sein, auch wenn uns dies die immer wiederkehrende Kulisse des Nachthimmels scheinbar suggerieren will.

Für seine Leistungen erhält Giaconni die verbleibende Hälfte des diesjährigen Physik-Nobelpreises. Die Auszeichnung wird ihm zusammen mit seinen Kollegen am 10. Dezember überreicht, dem Todestag des Preisstifters Alfred Nobel (1833-1896).

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