Direkt zum Inhalt

Paläoklimatologie: Blitzeisfrei

War Grönland einst wirklich einmal grün und bewaldet? Kann der Klimawandel quasi über Nacht eintreten? Ja, sagen neue Forschungsergebnisse - und es ist noch gar nicht so lange her.
Eislandschaft vor Grönland
Grönland gilt Kritikern des menschengemachten Klimawandels gerne als Kronzeuge – leitet sich der Name des eisigen Eilands doch von "grünem Land" ab, das der Wikinger Erik der Rote hier vor mehr als tausend Jahren entdeckt zu haben glaubte. Tatsächlich landete er während des so genannten mittelalterlichen Klimaoptimums an den Gestaden Grönlands an, weshalb ihn saftig grüne Weiden und kleine Haine aus Birken und Weiden grüßten – lange bevor es Kohlendioxid aus Schornsteinen und Auspuffrohren gab. Leider dauerte die Phase nicht allzu lange an, denn die sich im Laufe der Zeit verschlechternden Bedingungen ließen um 1500 auch die letzten Siedlungen wieder erlöschen. Und bisweilen treten Kritiker der Grünland-Theorie auf den Plan, die Erik sogar Vorspiegelung falscher Tatsachen vorhalten: Der zuhause auf Island verfemte Nordmann habe das Grönland-Bild bewusst geschönt, um mehr Siedler in sein neues Reich zu locken.

Spuren tief im Eis | In den tiefsten Schichten des Grönlandeises finden die Forscher, was sie suchen: Erdmaterial, das prähistorische DNA enthält.
Allen Zweifeln und Zweiflern zum Trotz: Die heute fast völlig vergletscherte Insel war tatsächlich mindestens einmal in ihrer jüngeren geologischen Vergangenheit ein grünes Paradies – vor rund 400 000 Jahren. Während des so genannten Marinen Isotopenstadiums 11 (MIS11), einer Zwischeneiszeit, bedeckten wohl dichte Fichtenwälder zumindest die südliche Hälfte Grönlands, meinen Anne de Vernal und Claude Hillaire-Marcel von der Université du Québec in Montreal [1] nach Auswertung und Interpretation ihrer Proben, die voll waren mit Pollen verschiedenster Pflanzenarten.

Weite Wälder statt großer Gletscher?

Im Gegensatz zur Antarktis, wo Eisbohrkerne bis zu 800 000 Jahre Klimageschichte nachzeichnen, mussten die beiden Forscher auf Meeressedimente als Geo-Archiv zurückgreifen, da derart alte Gletscher auf Grönland nicht die Zeiten überdauerten. Doch vor der Küste schwemmten Schmelzwasser und Flüsse mannigfaltig Erdreich und Pflanzenmaterial auf den Ozeangrund, die den Geowissenschaftlern einen ähnlich langen Rückblick gestatten und vor allem viel über die Vegetation in dieser Zeit verraten.

In den Sedimentproben sammelten sich über die Jahrhunderttausende die Überreste von Pflanzen, die auch heute noch im Süden Grönlands gedeihen: Sporen von Bärlapp und Moosen, Pollen von arktischen Kräutern, Zwergbirken und Erlen. In den Warmzeiten stieg jedoch nicht nur deren schiere Zahl an, weil sie die von den sich zurückziehenden Gletschern geräumten Areale eroberten. In manchen dieser auch als Interglaziale benannten Epochen breiteten sich zusätzlich Kiefern und vor allem Fichten aus, die heute auf dem Eiland gänzlich fehlen. Die Konzentration der Fichtenpollen in den Sedimenten des MIS übersteigt jene des gegenwärtigen Holozäns beispielsweise um das Zwanzigfache.

Zwar vermögen Pollen über weite Strecken mit dem Wind transportiert zu werden, doch gilt dies bei Fichten weniger als bei Kiefern, dennoch überwiegen Erstere Letztere in den Proben deutlich. Zudem gleichen die Fichtenpollen in Gestalt eher jenen, die von norwegischen Bäumen stammen – sowohl die gängigen, weil dominierenden Luftströmungen aus West als auch die größere Distanz zu Skandinavien als zu Kanada sprechen gegen einen Fernflug aus Europa und für einen lokalen Ursprung. Genetisches Material vom Grunde eines Eisbohrkerns, der einen der mächtigsten Gletscher Grönlands durchstieß, ließ sich ebenfalls Fichten sowie Kiefern und Eiben zuordnen. Der heutige Eispalast könnte damals also tatsächlich dem heutigen Sibirien oder nördlichen Kanada mit ihren ausgedehnten Nadelwäldern geglichen haben.

Rascher Umsturz

Nicht jede Warmzeit wurde allerdings von dichtem Baumbewuchs begleitet. Schuld daran hatten weniger die Temperaturen als vielmehr die Dauer dieser Phasen: Bis sich ein Gletscher weit gehend auflöst, benötigt er geraume Zeit – vor allem wenn sein Ende nicht mehr bis an die Küste langt, wo Meerwasser den Zerfall beschleunigt und abfallende Eisberge abtransportiert. Das ungünstige Mikroklima im Umfeld der weißen Riesen verhindert, dass Bäume aufkommen: Sie können die geräumten Bereiche erst verzögert besiedeln, und mitunter ist das Interglazial bis dahin auch schon wieder vorbei.

Dabei beginnt manch Warmzeit sogar mit einem relativen Blitzstart, wie ein Forscherkollektiv um Dorthe Dahl-Jensen von der Universität Kopenhagen aus einem grönländischen Eisbohrkern herauslas [2]. Neben dem in Gasbläschen eingefangenen Kohlendioxid und Methan, deren Gehalte auf den potenziellen Treibhauseffekt der Atmosphäre schließen lassen, finden sich darin noch weitere Substanzen, die ein Abbild vergangener Klimawelten zeichnen. Staub zum Beispiel: Je kälter und trockener es ist, desto mehr Staub wirbelt durch die Luft und schlägt sich unter anderem rund um den Nordpol nieder.

Kalbender Gletscher, Südost-Grönland
Hohe Konzentrationen der Isotope Sauerstoff-18 und Deuterium deuten hingegen auf warme Bedingungen hin – zumindest an jenen Orten, an denen die feuchten Luftmassen ursprünglich entstanden, die letztlich über Grönland wieder als Regen oder Schnee ausfielen. Dahl-Jensen und ihre Kollegen interessierte dieser Inhalt vor allem zur Zeit des letzten Wechsels von kalten zu warmen Bedingungen vor etwas weniger als 15 000 Jahren. Damals stiegen die Temperaturen auf Grönland und im nördlichen Skandinavien um zehn Kelvin, was die ersten Menschen gen Norden lockte. Allerdings dauerte diese Gunstperiode nur 1800 Jahre, bevor eine neue Kältewelle zuschlug und die Temperaturen nochmals bis 11 700 Jahren vor heute in den Keller schickte. Erst dann endete die vorläufig letzte Eiszeit endgültig.

Revolution aus den Tropen?

Der Wandel kündigte sich jedenfalls im Eis an: Wenn es wärmer und damit feuchter wird, schwindet der Staub aus den Ablagerungen. Und da er vornehmlich aus den Wüsten Zentralasiens stammt, muss entweder dort vor Ort etwas passiert sein, oder die atmosphärischen Strömungen müssen sich verlagert haben. Mit wenigen Jahren Verzögerung verschieben sich die Verhältnisse von O-18 und Deuterium, der verglichen mit dem Sauerstoff zulegt: ein deutliches Zeichen dafür, dass sich der Ursprung des niedergeschlagenen Wasserdampfs geändert hat, so die Paläoklimatologen.

Wahrscheinlich, so Dahl-Jensen, erwärmten sich damals zuerst die Tropen und verstärkte sich der pazifische Monsun: Wärmere Luft- und Wassermassen wurden nach Norden in die Arktis getrieben, wo dadurch das Meereis schmolz und Grönland taute – weitere regionale Klimaveränderungen inklusive. Insgesamt stellten sich "dramatische" Veränderungen der atmosphärischen Zirkulation über dem Nordatlantik ein: Innerhalb von nur ein bis drei Jahren verlagerten sich wichtige Luftströmungen gen Pol und leiteten den Klimaumschwung in Nordeuropa und anderen Regionen der nördlichen Halbkugel ein, der ebenfalls nur 50 Jahre beanspruchte. Rein geologisch betrachtet ein Wandel in Zeitraffer – selbst wenn die Bäume nicht so schnell folgen konnten.

Schreiben Sie uns!

Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.

  • Quellen
[1] de Vernal, A., Hillaire-Marcel, C.: Natural Variability of Greenland Climate, Vegetation, and Ice Volume During the Past Million Years. In: Science 320, S. 1622–1625, 2008.
[2] Steffensen. J.P. et al.: High Resolution Greenland Ice Core Data Show Abrupt Climate Change Happens in Few Years. In: Science 10.1126/science.1157707, 2008.

Partnerinhalte

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.