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News: Blue Jeans in der Krise

Die Blue Jeans erfreut sich größerer Beliebtheit als je zuvor - und steht dennoch vor ihrer größten Krise: Ein internationales Abkommen verlangt die ökologisch unbedenkliche Produktion von Indigo. Doch derzeit eignen sich die gentechnischen Verfahren zur umweltfreundlichen Herstellung des Blaufarbstoffs noch nicht für den großindustriellen Maßstab. Bis es soweit ist, wird der Käufer deshalb beim Färben wohl selbst Hand anlegen müssen.
<I>Blue Jeans</I> in der Krise
Schon die erste Jeans verdankte ihr Aussehen einem Pigment, welches einst unter anderem aus dem Färberwaid (Isatis tinctoria) gewonnen wurde. Doch das Kraut vermag seit langem nicht mehr die Ausgangsstoffe für mehr als 16 000 Tonnen Indigo pro Jahr zu liefern. Längst beziehen die Jeanshersteller den typisch blauen Farbstoff von der petrochemischen Industrie - wobei Abfälle anfallen, die Luft und Wasser verschmutzen.

Seit 120 Jahren zeigt sich die Blue Jeans jedwedem modischen Diktat unbeugsam, doch jetzt droht der blauen Hose ihre größte Krise. Denn angesichts der Ratifizierung des so genannten Levi Strauss Protocol des Intergovernmental Panel on Green Textile Production (IPGTP) durch 183 Staaten wird mit der herkömmlichen Indigo-Herstellung schon sehr bald Schluss sein [1]. Das im April kommenden Jahres in Kraft tretende Protokoll, welches unter anderem den Einsatz synthetischer Textilfarben reguliert, verbietet die Verwendung jeglichen Indigos aus petrochemischen Grundstoffen.

Die vorwiegend US-amerikanischen Marktführer der globalen Bekleidungsindustrie haben sich vehement gegen die Ratifizierung des Levi-Strauss-Protokolls gewehrt. Vergebens! Und so suchen Forscher fieberhaft nach einer ökologischen Alternative zur Indigo-Herstellung. Färberwaid-Plantagen könnten den Bedarf nicht decken, und so setzen die Jeanshersteller jetzt ganz auf die Biotechnologie.

Längst können gentechnisch veränderte Bakterien Insulin herstellen, aus Sonnenenergie Wasserstoff produzieren oder Schadstoffe in Abwässern eliminieren. Warum sollten sie also nicht auch für die Indigo-Produktion programmierbar sein? Experimentiert wird damit seit langem, doch erst jetzt gelang Forschern der Genencor International im kalifornischen Palo Alto das Erbgut des an sich aus dem Gedärm von Mensch und Tier bekannten Bakteriums Escherichia coli derart umzubauen, dass am Ende ein Indigoblau steht, welches Blue Jeans wirklich blau färbt [2]. Bisher fielen die gentechnisch gefärbten Jeans immer durch einen unverkäuflichen Rotstich auf.

Und so funktioniert's: Die Bakterien produzieren natürlicherweise einen Stoff namens Tryptophan, der sich dadurch auszeichnet, dass er die gleiche Ringstruktur aufweist, wie das Indigo. Die gentechnisch veränderten E. coli verfügen nun darüber hinaus über das Enzym eines anderen Bakteriums, welches Tryptophan in den Ausgangsstoff Indoxyl wandelt. Kommt diese Substanz mit dem Sauerstoff der Luft in Berührung, entsteht spontan Indigo. Ein weiteres Fremdgen verhindert zudem den Rotstich im Pigment.

Nur einen Nachteil hat dieses Verfahren: Es eignet sich nicht für den großindustriellen Einsatz. Angesichts drohender Milliardenverluste einigte sich eine Arbeitsgruppe des IPGTP deshalb in aller Eile auf eine ungewöhnliche Maßnahme: Mit Inkrafttreten des Protokolls sollen alle indigoblauen Textilien ungefärbt als Baumwollrohware ausgeliefert werden. Gefärbt wird der Stoff dann vom Verbraucher mithilfe eines beigefügten Bakterienextrakts. Aus Wettbewerbsgründen ist dieses Abkommen für alle betroffenen Textilunternehmen verbindlich.

Für zukünftige Jeansträger bedeutet dies, dass sie - zumindest so lange, bis die Einfärbung mit E. coli auch in großem Maßstab möglich ist - ihrer Hose selbst den letzten Schliff geben werden. Voraussichtlich wird der Käufer dazu die Jeans anziehen und mit ihr in die gefüllte Badewanne steigen müssen.

Sodann wird das beigefügte Bakterienextrakt mit dem Wasser vermischt. Als Nährstoff begnügt sich E. coli mit einem Kilogramm handelsüblichen Zuckers. Nach Angaben eines IPGTP-Sprechers soll die Prozedur etwa zwei Stunden dauern. Die eigentliche Blaufärbung erfolgt anschließend innerhalb weniger Minuten infolge Oxidation des bakteriell produzierten Indoxyls mit dem Sauerstoff der Luft. Nach dem Trocknen ist die Hose von einer "normalen" Jeans nicht mehr zu unterscheiden.

Anders als im Streit um andere Protokolle, haben sich die USA diesmal aus Furcht vor den drohenden Handelsbeschränkungen dem Druck der internationale Staatengemeinschaft gebeugt. Mit ihrer hippen take-a-bath-and-dye-Kampagne (engl.: "Nimm ein Bad und färbe!") fanden die global players der Textilindustrie den Weg aus einer lebensbedrohlichen Krise. Die zumeist jungen Jünger des Kult(ur)guts Jeans werden dies akzeptieren - und ein Bad nehmen.

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