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News: Blutgefäße aus Traubenzucker

Wenn bei mikrochirurgischen Operationen kleine Stücke künstlicher Blutgefäße eingesetzt werden müssen, wünschen sich die Ärzte ein Material, das keine Abwehrreaktionen provoziert, stabil ist und vielleicht sogar als Grundgerüst für nachwachsende Zellen dient. Jenaer Chemiker haben jetzt so eine Wundersubstanz gefunden: Bakteriell erzeugte Cellulose hat die Anforderungen im Labortest bestanden.
Chemiker der Friedrich-Schiller-Universität Jena haben einen Weg gefunden, um aus bakterieller Cellulose Weichgewebe-Implantate für die Mikrochirurgie herzustellen. Das Team um Prof. Dr. Dieter Klemm hat dabei einen aus der Natur bekannten Vorgang biotechnologisch weiterentwickelt. Einige Bakterien-Arten, wie Acetobacter xylinum, können aus einfachen Zuckern den vom Holz bekannten Grundstoff Cellulose bilden. Während sich der natürliche Traubenzucker (Glucose) allerdings wegen seiner Struktur in Wasser auflöst, ist es den Chemikern gelungen, Celluloseketten mit 4 000 bis 8 000 Molekülen herzustellen, "die nicht mehr wasserlöslich sind". "In Standkulturen ordnet sich die Cellulose an der Grenzfläche zwischen Luft und Nährmedium in Form eines Vlieses an, das leicht abgehoben werden kann", erläutert Prof. Klemm. Das Vlies besitzt eine relativ stabile Netzstruktur, ist biologisch verträglich und kann Wasser aufnehmen, ohne sich aufzulösen.

Die Jenaer Diplom-Chemikerin Ulrike Udhardt hat nun mittels Doppelmantel-Glasrohren eine Technik entwickelt, wie aus der bakteriensynthetisierten Cellulose, die den Namen BASYC erhielt, Hohlfasern hergestellt werden können. Diese winzigen "Schläuche" sind hervorragend als Weichgewebe-Implantate geeignet, etwa als Ersatzmaterial für Blutgefäße oder als Nervenumhüllungen. "Man kann durch die Matrix genau steuern", beschreibt Ulrike Udhardt den Kultivierungsprozeß, "wie groß der offene Durchmesser ist". So entstehen kleine "Schläuche" mit einem Durchmesser bis hinunter zu einem Millimeter. Allerdings läßt sich BASYC mit der vorhandenen Technologie bisher nur auf eine Länge von maximal 1,5 cm bringen.

"Das ist für die meisten mikrochirurgischen Eingriffe zunächst ausreichend", sagt Prof. Dr. Dr. Dieter Schumann. Der Direktor der Jenaer Uni-Klinik für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie ist von BASYC begeistert. War der neue Stoff zunächst nur als Übungsmaterial für Mikrochirurgen gedacht, wo er sich bewährt hat, so haben Tierversuche nachgewiesen, daß der Einsatz von BASYC auch in der Praxis sinnvoll ist. "Für die Mikrochirurgie existiert kein vergleichbares Material", unterstreicht Prof. Schumann. Ersatzgefäße aus Teflon etwa können keinen so kleinen Durchmesser haben wie die Jenaer Cellulose-Verbindung. Außerdem hat BASYC eine so glatte innere Seite, wie sie nur bei organischen Gefäßen existiert – und dies ohne Nachbearbeitung.

"In der Ratte haben wir keinerlei Abstoßungsreaktionen feststellen können", beschreibt Schumanns Mitarbeiterin Silvia Marsch die Bioverträglichkeit. Besonders überrascht waren die Mediziner allerdings von einer anderen Eigenschaft: BASYC wird sehr schnell durch organische Zellen so "bewachsen", daß bereits nach nur vier Wochen ein neues Gefäß in den kleinen "Schlauchstücken" entstand. Dieses Gefäß ermöglichte nicht nur eine problemlose Durchblutung der Operationsstelle, sondern wuchs bis auf seinen natürlichen Durchmesser an – weil es das Cellulosematerial, das nur noch als Hülle über dem neuen Gefäß liegt, ausdehnen konnte.

"Die ersten Versuche sind hoffnungsvoll", unterstreicht Silvia Marsch. Nun muß BASYC so weiterentwickelt werden, daß sich längere Stücke herstellen lassen. Außerdem müssen die Tierversuche zeigen, ob sich das Material auch für einen Einsatz am Menschen eignet. Die Jenaer Mediziner sind optimistisch, weisen aber auch darauf hin, daß die entsprechenden Tests und Genehmigungsverfahren sehr lange dauern können.

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