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Genetik: Blutjunge Übernahmekandidaten

Evolution ist Revolution, und Krallenäffchen sind dafür ein lebendes Beispiel. Mit den Revolutionsidealen "Gleichheit" und "Brüderlichkeit" machen sie jedenfalls schon vor der Geburt Ernst, wie das geschwisterliche Gengemisch ihrer Zellen verrät. Für ihr Verhalten gegenüber dem Nachwuchs bleibt das nicht ohne Folgen.
Krallenäffchenmänner sind rein emanzipationstechnisch echte Vorzeigeexemplare: Kuscheln mit den Kleinen, Arbeitsteilung beim Nachwuchspäppeln mit Mama, höchstens Teilzeitarbeit beim Brötchenerwerb sind alles Selbstverständlichkeiten in einer ganz normal gleichberechtigten Neuweltaffensippe. Sogar typisch frauliche Körper-Sonderlichkeiten überlässt Krallenäffchenpapa nicht der Weiblichkeit: Schon bevor äußerliche Anzeichen jedem eine Schwangerschaft der Partnerin verraten, nimmt Vati ordentlich etwa an Gewicht zu, quasi aus Solidarität. Eine rundum glückliche Gemeinde also, diese Krallenäffchen. Irgendwas stimmt da doch nicht.

Es sind die Gene, vermuten Corinna Ross und ihre Kollegen. Die Forscher hatten in der einzig erfolgreichen Zuchtgruppe von Callithrix kuhlii in Nordamerika massenhaft DNA-Proben gesammelt – aus allerlei Körperflüssigkeiten lebender Tiere ebenso wie aus den lückenlos archivierten Genresten längst verblichener Ahnen mit zuverlässig bekannter Abstammungslinie.

Fürsorglicher Zwillingspapa | Männliche Marmosetten gelten als Vorzeigeväter: Sie kümmern sich rührend um ihren Nachwuchs. Der kommt übrigens fast immer doppelt daher: Bei 95 Prozent aller Geburten bringen die Krallenäffchenmütter zweieiige Zwillinge auf die Welt.
Spannend machen so einen umfassenden Genvergleich zwei bereits in den 1960er Jahren aufgefallene Besonderheiten der Marmosetten-Untergruppe der Krallenäffchen. Erstens: Nur jede zwanzigste Geburt bei Marmosetten ist keine Mehrlingsgeburt. Und zweitens: Viele der Tiere sind Chimären, ihre Körperzellen tragen also nicht immer den identischen, individuumstypischen Satz von Chromosomen. Stattdessen ist zum Beispiel das Erbgut der blutbildenden Gewebezellen nur zum Teil identisch mit dem Erbgutsatz aller übrigen Zellen, zum anderen Teil aber ist er jener des fast immer vorhandenen zweieiigen Zwillings des Affen.

Die Ursache liegt in allerfrühester Kindheit: Zu Beginn der Entwicklung der Zwillinge im Mutterleib vereinigen sich die Blutkanäle der Versorgungsschichten beider Embryonen, und über die gemeinsame Pipeline wandern dann Stammzellen des einen Fötus in den Körper des anderen und umgekehrt. Angekommen gründen die Migranten dann eine Armada von Nachkommen mit geschwisterlichem Gensatz, die später das Gewebe der Ausgewachsenen zum Erbgut-Mosaik macht. Und zwar, stellen nun Ross und Co überrascht fest, eigentlich alle Gewebe vom Blut über Leber, Niere und Lunge bis hin zum Muskel.

Denn in allen analysierten Proben fanden sich – mal bei fast allen untersuchten Tieren, mal nur bei einigen wenigen – auch Erbgutmosaike. Tatsächlich macht der fötale Erbgut-Austausch nicht einmal vor den zukünftigen Keimzellen der Zwillinge halt: auch in den Keimdrüsen, aus denen bei Männchen die Spermien gebildet werden, fanden die Forscher in immerhin fast zehn Prozent aller Fälle den geschwisterlichen Gensatz. Dies führt dazu, dass die Tiere gar keinen eigenen Nachwuchs zeugen können: Sie geben bei jeder noch so erfolgreichen Kopulation immer nur die Gene des Zwillings weiter. Immerhin können sie sich damit trösten, dass ihr Bruder das gleiche Problem haben könnte – womit sein Erfolg bei Damen dann zum eigenen Vaterglück führen würde.

All dies, spekulieren die Forscher, könnte übrigens gut eine Ursache für die hochkooperative und ziemlich neidlose Marmosetten-Gesellschaft sein: Schließlich kann man ja nie wissen, ob es vielleicht dem eigenen Nachwuchs schadet, wenn man dem anderen die Chancen beim anderen Geschlecht verhagelt. Andererseits könnte auch das Gegenteil zum gleichen Resultat führen: Krallenäffchenmann weiß nämlich vielleicht ganz genau, welcher Nachwuchs tatsächlich vom eigenen Stamm ist – und zwar auch, wenn er mit der Mama nie ernsthaft getechtelmechtelt hatte.

Hinweise darauf, dass Primaten ihren eigenen Nachwuchs erkennen – offenbar an der Physiognomie – gibt es tatsächlich bereits. Kümmert ein selbst wissender Papa sich dann um den Nachwuchs einer offenkundig Fremden, dann sähe dies von außen – etwa für Strichlisten führende Primatenforscher – ja ebenfalls sehr selbstlos und kooperativ aus, ohne es allerdings ernsthaft zu sein. Man sollte das mal testen, finden Ross und Co. Aber egal ob echte oder nur vermeintliche väterliche Unsicherheit – der Emanzipation scheint es jedenfalls nicht zu schaden, wenn man im Mutterleib ein wenig näher zusammenrückt.

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