Bohmsche Mechanik: Eine beliebte Quanten-Interpretation steht vor dem Aus

Objekte, die mal Welle, mal Teilchen sind, sich an mehreren Orten gleichzeitig befinden und auf mysteriöse Weise über eine »spukhafte Fernwirkung« miteinander verbunden sind. Kein Wunder, dass Fachleute immer wieder betonen: »Niemand versteht die Quantenmechanik.« Zwar lässt sich die Theorie extrem gut überprüfen und sagt den Ausgang von Experimenten hervorragend voraus. Aber sie liefert keine Erklärungen für das, was auf mikroskopischer Ebene wirklich abläuft. Seit rund 100 Jahren ist das Physikerinnen und Physikern ein Dorn im Auge, weshalb sie inzwischen mehrere Deutungen der Quantenmechanik hervorgebracht haben, die etwas Licht ins Dunkel bringen sollen.
Zu den vielversprechendsten Interpretationen zählt die Bohmsche Mechanik, die ein deterministisches Bild unseres Universums beschreibt – Zufall spielt hierbei anders als bei der Quantenmechanik keine Rolle; ihr zufolge ist alles vorherbestimmt. Wie eine Arbeitsgruppe um den Physiker Jan Klärs von der niederländischen Universität Twente aber nun in einer beim Fachjournal »Nature« erschienenen Arbeit erklärt, können sich die Vorhersagen von Bohmscher Mechanik und Quantenmechanik in bestimmten Situationen unterscheiden. Und als die Gruppe diese im Labor umsetzte, folgten die Teilchen im Experiment den kontraintuitiven Regeln der Quantenmechanik. Das bringt Vertreterinnen und Vertreter der Bohmschen Mechanik in Erklärungsnot, es könnte das Aus für diese Deutung sein.
Seit die Quantenmechanik zu Beginn des 20. Jahrhunderts entwickelt wurde, plagen sich Fachleute mit quälenden Fragen herum. Denn die Ergebnisse zeichnen ein sehr kontraintuitives Bild. Je nach experimentellem Aufbau kann sich ein Elektron beispielsweise wie ein Teilchen oder eine Welle verhalten. Das zeigt sich insbesondere beim Doppelspaltexperiment: Lässt man Elektronen einzeln auf eine Barriere mit zwei schmalen Schlitzen zufliegen, würde man eigentlich erwarten, dass diese sich auf dem dahinter befindlichen Schirm an zwei Orten hinter den Schlitzen sammeln. Stattdessen zeichnet sich aber nach und nach ein Interferenzmuster ab.
Dieses würde man denken, wenn Elektronen Wellen wären. Und doch hinterlässt das Teilchen auf dem Bildschirm nur eine punktförmige Spur und erreicht nicht, wie man es von einer Welle erwarten würde, mehrere Punkte des Schirms gleichzeitig. Die Quantenmechanik sagt zwar den Ausgang solcher Experimente korrekt voraus, erklärt aber nicht, was mit dem Elektron passiert, während es scheinbar beide Wege durch den Doppelspalt beschreitet. Wandelt es sich kurzfristig von einem Teilchen zu einer Welle um, nur um dann auf dem Schirm wieder eine Teilchenform anzunehmen?
Die gewöhnliche Quantenmechanik, die so genannte Kopenhagener Deutung, beschreibt Teilchen durch so genannte Wellenfunktionen. Die Objekte besitzen wellenartige Eigenschaften und können sich beispielsweise an mehreren Orten zugleich befinden. Eine Messung – wie durch den Schirm hinter dem Doppelspalt – führt jedoch dazu, dass die Wellenfunktion »kollabiert«: Das Teilchen erhält in diesem Fall teilchenartige Eigenschaften, wie man es bei einem punktförmigen Objekt annimmt. Diese Deutung lässt aber viele Fragen unbeantwortet. Wie ist beispielsweise eine Messung definiert? Und warum führt sie zum Kollaps der Wellenfunktion, während ein Doppelspalt es nicht tut?
Führungswellen sollen die Realität beschreiben
David Bohm störte sich an der Kopenhagener Deutung und suchte daher nach einer eigenen Interpretation. Das ist keine einfache Aufgabe: Eine neue Deutung muss nämlich sowohl die Ergebnisse der Quantenmechanik weitgehend reproduzieren als auch Erklärungen für unverstandene Phänomene liefern. Bohm stellte sich vor, dass Teilchen von einer Art Welle begleitet werden, die sie führen. Diese Führungswelle wechselwirkt mit der Umgebung und beeinflusst daher, welchem Weg das Teilchen folgt. Damit lässt sich beispielsweise das Doppelspaltexperiment erklären: Die Führungswelle des Teilchens nimmt beide Öffnungen wahr und wird durch sie gestört – so wie es auch bei einer Wasserwelle sein würde. Das beeinflusst den Pfad, den das Teilchen nimmt, wodurch sich ein Interferenzmuster auf dem Schirm abzeichnet. Das Teilchen selbst befindet sich aber immer nur an einem Ort zugleich.
Dieser Ansatz traf bei einigen Fachleuten auf Zustimmung. Und tatsächlich waren sie lange der Meinung, dass er die gleichen Ergebnisse hervorbringt wie die Quantenmechanik. Trotzdem fand die Bohmsche Mechanik keine breite Verwendung, weil sie sich bislang nicht mit Einsteins spezieller Relativitätstheorie vereinen ließ – was zum Beispiel nötig ist, um quantenmechanische Prozesse mit hochenergetischen Teilchen zu beschreiben. Dennoch hegten einige die Hoffnung, dass die Bohmsche Mechanik irgendwann doch die Quantenmechanik ablösen könnte und somit eine Beschreibung unserer Realität liefern würde. Doch diese Hoffnung könnte nun zunichtegemacht worden sein.
Tatsächlich liefert die Bohmsche Mechanik nur auf den ersten Blick die gleichen Ergebnisse wie die Quantenmechanik. Wie Forschende inzwischen herausfanden, gibt es Situationen, in denen beide Ansätze zu unterschiedlichen Vorhersagen kommen – insbesondere dann, wenn es um zeitliche Abschätzungen geht. »In der Quantenmechanik wird Zeit nicht wie andere Messgrößen behandelt«, erklärt Klärs. »Daher unterliegt sie nicht demselben formalen Rahmen und das Äquivalenzargument zwischen Bohmscher Mechanik und Quantenmechanik greift nicht mehr ohne Weiteres.«
Deshalb haben Klärs und sein Team ein Experiment entworfen, in dem es um die Aufenthaltsdauer und Geschwindigkeit von Teilchen geht – und bei denen sich die Vorhersagen von Quantenmechanik und Bohmscher Mechanik widersprechen. Hierfür ließ das Team Photonen in einem Wellenleiter auf eine Potenzialstufe treffen, die wie eine Art Barriere wirkt, weil die Lichtteilchen nicht genug Energie hatten, um sie zu überwinden. Im klassischen Bild müssten die Photonen also reflektiert werden. Aber die Quantenmechanik ermöglicht auch andere Prozesse: »Interessanterweise dringen die Teilchen durchaus mehrere Mikrometer weit in das energetisch verbotene Gebiet ein«, sagt Klärs. Er und seine Kollegen untersuchten daraufhin, wie schnell sich die Teilchen dabei bewegen.
»Die Bewegungsgleichung für Teilchen, wie sie in der Bohmschen Mechanik verwendet wird, wird durch unser Experiment klar widerlegt«Jan Klärs, Physiker
Aus Sicht der Bohmschen Mechanik dürften sich die Teilchen im verbotenen Bereich überhaupt nicht bewegen. »Das ist eine etwas merkwürdige und schwer nachvollziehbare Aussage«, bemerkt Klärs. Trotzdem sei es schwer gewesen, diese im Experiment zu widerlegen. Doch genau das ist den Wissenschaftlern gelungen. »Wir haben letztlich zwei Jahre an diesem Experiment gearbeitet«, so Klärs. Und das hat sich gelohnt: Die Qualität der Daten fiel besser aus, als es sich der Forscher erhofft hatte. Mit diesen Daten ließ sich nachweisen: Je weniger Energie die Photonen hatten, desto schneller bewegten sie sich innerhalb des verbotenen Bereichs – genau so, wie es die Quantenmechanik vorhersagt.
Ist das nun der Todesstoß für die Bohmsche Mechanik? »Meines Erachtens wird die Führungsgleichung – also die Bewegungsgleichung für Teilchen, wie sie in der Bohmschen Mechanik verwendet wird – durch unser Experiment klar widerlegt«, sagt Klärs. Das sehen nicht alle Fachleute so. »Die Experimente fußen auf einigen Annahmen, die sich in Frage stellen lassen«, urteilen die Physiker Alessandro Fedrizzi und Fabio Biancalana von der Heriot-Watt University in Edinburgh in einem Fachartikel. Außerdem sei es schwer, die Interpretation von Bohm auszuräumen, da sich diese an die neuen Ergebnisse anpassen lassen könnte. Letzteres sieht Klärs ähnlich. Er kann sich vorstellen, dass alternative Formen der Bohmschen Mechanik existieren könnten, die mit den Messergebnissen vereinbar sind. »Ob solche Theorien allerdings denselben Charakter haben wie die heutige Form der Bohmschen Mechanik, bleibt abzuwarten.«
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