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Kommunikation: Bonobos kombinieren Laute nach Regeln der menschlichen Sprache

Doch nicht so einzigartig? Laut einer neuen Studie teilen wir einen Schlüsselaspekt unserer Sprache mit unseren nächsten lebenden Verwandten. So bilden Bonobos komplexe Lautfolgen, die menschlichen Wortkombinationen ähneln.
Ein Schimpanse sitzt im Freien und hält sich mit einer Hand den Kopf. Der Mund ist weit geöffnet, als ob er schreit oder gähnt. Der Hintergrund ist unscharf und grün, was auf eine natürliche Umgebung hinweist.
Die Forscher verbrachten fünf Monate damit, Bonobo-Rufe im Kokolopori-Bonobo-Reservat in der Demokratischen Republik Kongo aufzuzeichnen. (Symbolbild)

Wir Menschen denken uns mit Leichtigkeit Sätze aus, die wir noch nie zuvor gehört haben. Dazu betten wir Phrasen in Phrasen ein, um die wildesten Ideen auszudrücken (»Das lila Schuppentier, das durch den Ballsaal tanzte, hatte eine flammende Ananas auf der Nase«). Mit dieser Fähigkeit scheinen wir in der Tierwelt konkurrenzlos dazustehen. Eine Studie eines Teams um Simon Townsend von der Universität Zürich lässt daran Zweifel aufkommen. So erzeugen Bonobos, unsere nächsten lebenden Verwandten, offenbar Kombinationen von Rufen, die wichtige Aspekte mit der menschlichen Sprache teilen. Die Ergebnisse wurden in »Science« veröffentlicht.

Demnach weist die Kommunikation von Bonobos ein Merkmal auf, welches Linguisten Kompositionalität nennen. Damit ist die Art und Weise gemeint, wie wir Wörter aneinanderreihen, um größere Strukturen mit komplizierteren Bedeutungen zu bilden. Man unterteilt sie in zwei Kategorien, eine einfache und eine anspruchsvollere Version – und Forschende sind seit Langem der Meinung, dass die menschliche Sprache allein auf der höheren Ebene operiert. Frühere Studien haben gezeigt, dass einige Primaten und Vögel zu »trivialer« Kompositionalität fähig sind, bei der Wörter, die für sich genommen eine bestimmte Bedeutung haben, zusammengefügt werden, um ein umfassenderes, bedeutungsreicheres Bild zu schaffen (»Kuchen backen«).

Laut der neuen Studie sind Bonobos jedoch, genau wie wir, zu etwas Fortgeschrittenerem fähig. Bei der »nichttrivialen« Kompositionalität verändern bestimmte Teile im Satz wiederum andere. Ein Beispiel: »Sie haben einen Kürbiskuchen gebacken.« Hier verbinden sich »Kürbis« und »Kuchen« zu einer neuen Idee. Laut Townsend bringt diese Strategie mehr Nutzen für die Kommunikation. »Dafür hat sie sich entwickelt«, sagt er, »um der Bedeutung, die wir vermitteln wollen, diese wichtige Nuance und Komplexität hinzuzufügen.«

Die Fachleute stellten fest, dass die nichttriviale Kompositionalität bei Bonobos um Größenordnungen weniger komplex ist als bei der menschlichen Sprache. Dennoch werde damit »eine weitere Schicht von der scheinbaren Mauer der menschlichen Einzigartigkeit abgetragen«, so Townsend. Und da diese entscheidende Fähigkeit bei einem so nahen Verwandten vorhanden ist, könnte sie unser Verständnis davon erweitern, wie die Sprache bei Homo sapiens entstanden ist. »Das ist wirklich aufregend«, sagt Townsend. »Es erlaubt uns, in der Zeit zurückzugehen und herauszufinden, was unser letzter gemeinsamer Vorfahr – der vor sieben Millionen Jahren in den Wäldern Afrikas lebte – getan hat.«

Piepsen, Pfeifen, Kläffen, Grunzen

Um Daten für die Studie zu sammeln, begab sich die Hauptautorin Mélissa Berthet von der Harvard University in ebendiese Wälder. Sie verbrachte fünf Monate damit, Bonobo-Rufe im Kokolopori-Bonobo-Reservat in der Demokratischen Republik Kongo aufzuzeichnen. Die Laute wurden mit Kategorien versehen, die von »Piepsen« und »Pfeifen« bis zu »Grunzen« und »Kläffen« reichten. Für jede der 700 Aufnahmen notierte Berthet 300 verschiedene kontextbezogene Details: War eine andere Gruppe von Bonobos in der Nähe? War der Rufer gerade am Fressen, war er mit der Körperpflege beschäftigt oder ruhte er? Wie haben die anderen reagiert?

Anhand dieser Details konnten die Forschenden die mögliche Bedeutung der verschiedenen Rufe aus dem Kontext ableiten. Piepstöne scheinen etwa dabei zu helfen, Aktivitäten mit anderen Bonobos zu koordinieren. »Ich würde gerne …« könnte eine grobe Übersetzung sein, sagt Berthet. Über Pfiffe halten die Tiere vermutlich den Gruppenzusammenhalt aufrecht, wobei die Laute so etwas wie »Lass uns zusammenbleiben« ausdrücken. Die Wissenschaftler nutzten diese kontextbezogenen Daten, um jeden Bonobo-Ruf auf einer fünfdimensionalen Bedeutungskarte darzustellen; Rufe, die auf der Karte näher beieinanderlagen, hatten ähnlichere Bedeutungen. Mit Hilfe dieser aus der Linguistik entlehnten Technik erstellten Berthet und ihre Kollegen eine Art Wörterbuch der sieben häufigsten Bonobo-Rufe.

»Damit wird eine weitere Schicht von der scheinbaren Mauer der menschlichen Einzigartigkeit abgetragen«Simon Townsend, Anthropologe

Dann analysierte das Team Kombinationen dieser sieben Rufe. Hier zeigt sich die Kompositionalität: Ein Pieps, gefolgt von einem Pfeifen, ergibt zum Beispiel einen »Pieps-Pfeif-Ruf«, eine nichttriviale Kombination, die Bonobos bei sensiblen sozialen Interaktionen wie Sex oder Dominanzbekundungen verwenden. Die Fachleute errechneten, dass vier von ihnen eine Kompositionalität aufwiesen und drei davon eine Bedeutung hatten, die über das hinausging, was man erwarten würde, wenn man nur die Bedeutungen von zwei Rufen zusammenzählt. Das sei ein Hinweis auf nichttriviale Kompositionalität. Darüber hinaus traten alle sieben gemeinsamen Ruftypen in mindestens einer Kombination auf, was eine umfassendere Kompositionalität bei Bonobos als bei allen anderen bisher untersuchten Arten offenbart.

Die Bonobo-Sprache lässt sich wahrscheinlich nicht ohne Weiteres auf menschliche Begriffe übertragen. Es ist nicht klar, was der Pfeifton bedeutet oder wie er sich aus den Bedeutungen seiner Bestandteile (à la »Kürbiskuchen«) ableitet. Aber da ihre Methode aus der Linguistik stammt, wo sie zur Bestimmung der Kompositionalität verwendet wird, sind die Forscher »zuversichtlich, dass es sich um nichttriviale Kompositionalität handelt, zumindest im mathematischen Sinne«, sagt Berthet. »Wir sind uns nur noch unklar darüber, was das genau bedeutet.«

Shane Steinert-Threlkeld, ein Computerlinguist an der University of Washington, der nicht an der Studie beteiligt war, schlägt eine alternative Interpretation vor: Die nichttrivial kombinierten Rufe könnten eher wie Redewendungen sein. Vielleicht sind ihre Bedeutungen gar nicht von ihren Bestandteilen abhängig, wie etwa »Hals- und Beinbruch«, um jemandem viel Glück zu wünschen. Townsend und Co halten dies für unwahrscheinlich, da ihre Analysen darauf hindeuten, dass die Bedeutungen der nichttrivialen Kombinationen immer noch mit den Bedeutungen ihrer einzelnen Bestandteile zusammenhängen. Steinert-Threlkeld merkt auch an, dass diese auf der Linguistik basierende Methode zwar innovativ, aber »ein wenig zu neu ist, um sie vollständig zu unterstützen«. Er lobt jedoch den beispiellosen Umfang der Datenerhebung und bezeichnet die Studie als »wertvoll, weil sie uns zeigt, was getan werden kann und was noch getan werden muss, damit die Ergebnisse völlig überzeugend sind«.

Auch bei Bakterien?

Thom Scott-Phillips, ein Kognitionswissenschaftler an der Central European University in Ungarn, der ebenfalls nicht an der Studie beteiligt war, fand die enorme Datenmenge und die neue Methode ebenfalls beeindruckend. Aber er ist nicht davon überzeugt, dass Bonobo-Rufe mit Sprache vergleichbar sind. Er argumentiert, dass sogar Bakterien – die sich gegenseitig mit Molekülkombinationen Signale übermitteln – die meisten Kriterien dieser Methode für nichttriviale Kompositionalität zu erfüllen scheinen.

Townsend hält die nichttriviale Kompositionalität in der Tat für weiter verbreitet als bisher angenommen, obwohl er bezweifelt, dass sie bei Nichtprimaten, geschweige denn bei Bakterien, eine große Rolle spielt. Er und seine Kollegen hoffen, mit ihrem neuen Beobachtungsansatz andere Wissenschaftler dazu zu ermutigen, nichttriviale Kompositionalität bei einer Vielzahl von Arten zu testen. »Wir wissen noch nicht, ob Bonobos etwas Besonderes sind«, sagt Berthet. »Wir haben diese Methode entwickelt und bei Bonobos angewandt, und wir haben sehr gute Ergebnisse erzielt. Aber vielleicht kann man das auch bei anderen Tieren machen.«

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  • Quellen

Berthet, M. et al.: Extensive compositionality in the vocal system of bonobos. Science 388, 2025

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