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Kosmologie: Botschafter der Schwarzen Löcher

Stephen Hawking wird 75 Jahre alt. Der Welt hat er gezeigt, wie weit der Wille einen Menschen tragen kann. Der Physik hat er ein Rätsel beschert, an dem sie bis heute knabbert.
Junges Schwarzes Loch

Stephen Hawking, das sind eigentlich zwei Personen. Da ist der theoretische Physiker, der es sich zur Lebensaufgabe gemacht hat, Schwarze Löcher zu verstehen. In Gedanken hat dieser Hawking vermutlich mehr Zeit im Inneren der lebensbedrohlichen Gebilde verbracht als jeder andere Mensch. Als junger Forscher schrieb er wegweisende Fachartikel über seine Einsichten, die ihn zu einem der bedeutendsten Gravitationsforscher seiner Zeit machten.

Der andere Stephen Hawking ist ein Popstar. Von 1988 an, als "Eine kurze Geschichte der Zeit" erschien, stieg seine Bekanntheit ins Unermessliche. Das Buch hat Hawking zum Multimillionär gemacht, ihm Gastauftritte in "Star Trek" und den "Simpsons" beschert. Heute dürfte er der bekannteste lebende Wissenschaftler des Planeten sein. Wenn Hawking sich zu weltanschaulichen Fragen äußert, findet er mehr Gehör als jeder Nobelpreisträger.

Stephen Hawking |

Die Doppelperson Stephen Hawking feiert am 8. Januar 2017 ihren 75. Geburtstag. Viele halten das für ein medizinisches Wunder. Schließlich diagnostizierten Ärzte bei Hawking im Alter von 21 Jahren die unheilbare Nervenkrankheit ALS. Die Mediziner gaben ihm damals noch zwei Jahre zu leben. Doch statt zu sterben, machte Hawking mit seiner Doktorarbeit weiter. "Man muss einfach das Beste aus der Situation machen, in der man sich befindet", hat er rückblickend dazu gesagt.

Singularitäten allüberall

Hawkings Biografin Kitty Ferguson beschreibt den jungen Physiker als einen mathematisch begabten, aber vom Leben gelangweilten Studenten. Erst als er mit seinem baldigen Tod konfrontiert wurde, habe er erkannt, dass es viele sinnvolle Dinge für ihn zu tun gebe. Hawking selbst soll es so formuliert haben: "Zum ersten Mal in meinem Leben begann ich, hart zu arbeiten." Und so wurde aus der fatalen Diagnose die Initialzündung seiner wissenschaftlichen Karriere.

Schon kurz nach seiner Doktorarbeit gelang Hawking, dem Wissenschaftler, der Durchbruch. Gemeinsam mit dem Gravitationstheoretiker Roger Penrose bewies er, dass alle Lösungen der Feldgleichungen in Einsteins allgemeiner Relativitätstheorie eine Singularität enthalten. Also einen Punkt im Raum, an dem die Materie so eng zusammengeballt ist, dass die Gleichungen von Einsteins Theorie unendliche Werte liefern.

Wie die Physiker erkannten, gilt das für sehr schwere Sterne, die am Ende ihres Lebens zu einem Schwarzen Loch kollabieren. Hawking übertrug diese Überlegung auf das gesamte Universum. Auch an dessen Anfang könnte eine Singularität gestanden haben, spekulierte er damals, und half damit der noch jungen Urknalltheorie zum Durchbruch.

Hawking hat wiederholt betont, dass seine Krankheit ihm viel Zeit ließ, über die Probleme der Physik nachzudenken. Er hatte kaum Lehrverpflichtungen und musste nicht, wie andere Cambridge-Professoren, in Gremien und Ausschüssen sitzen. Gleichzeitig zwang ihn seine schwindende Sprechfähigkeit dazu, Dinge so kurz und prägnant wie möglich zu formulieren.

Das Rätsel um die haarlosen Löcher

Sein vielleicht größter Coup stammt aus dem Jahr 1975, als Hawking vorhersagte, dass Schwarze Löcher mit der Zeit Masse verlieren. Seine Argumentation: Am Rand eines Schwarzen Lochs müssten, wie überall im Universum, ständig Elektron-Positron-Paare entstehen. An anderer Stelle würden sich diese "virtuellen" und gegensätzlich gepolten Teilchen gleich wieder auslöschen. Nur nicht dicht über dem Ereignishorizont eines Schwarzen Lochs. Dort würde eines der Teilchen ins Innere gezogen, während das andere entkommt. Mit der Zeit würde das Schwarze Loch dadurch verdampfen.

Heute trägt diese extrem schwache Strahlung Hawkings Namen. Aus Sicht von Bruce Allen vom Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik hat Hawking damit einen Beitrag für die Geschichtsbücher geleistet. "Noch in 1000 Jahren werden Menschen wissen, was Hawking-Strahlung ist", sagt Allen, der einst bei Hawking seine Doktorarbeit geschrieben hat. Nachgewiesen hat man die Strahlung bislang zwar nicht. Jedoch zweifelt kaum ein Physiker an ihrer Existenz – so überzeugend ist Hawkings Argumentation.

Es verlangte ihm dann jedoch viel ab, seine Erkenntnisse auch Nichtphysikern zu erläutern. Als er Mitte der 1980er Jahre "Eine kurze Geschichte der Zeit" schrieb, ließ ihm sein Herausgeber zunächst Kapitel um Kapitel zurückschicken, weil Hawkings Ausführungen für Laien kaum nachvollziehbar waren. Erst nach langem Hin und Her konnte das Buch 1988 erscheinen.

Letztlich verkaufte sich das Werk, mit dem Hawking laut eigener Aussage bloß das Studium seiner Tochter finanzieren wollte, millionenfach. Hawkings resultierender Aufstieg in das Pantheon der Popkultur löste bei anderen Physikern indes nicht nur positive Reaktionen aus. "Würde man eine Liste der zwölf bedeutendsten theoretischen Physiker des 20. Jahrhunderts aufstellen, käme Steve nicht mal in die Nähe", ätzte sein Kollege John Barrow 1992.

Die meisten Physiker dürften heute wohlwollender auf Hawkings populärwissenschaftliches Engagement blicken. "Er ist einer der Ersten gewesen, die sich getraut haben, diese grundlegenden Fragen der Physik für Laien aufzubereiten", sagt etwa Sabine Hossenfelder vom Frankfurter Institute for Advanced Studies. Hawking habe gezeigt, dass dieses Thema auch Laien extrem interessiert, und damit andere Physiker ermutigt, Bücher über ihre Arbeit zu schreiben.

Der erste Vermittler der Kosmologie

Körperlich hat sich seine Situation allerdings immer weiter verschlechtert. Seit den 1970er Jahren sitzt Hawking im Rollstuhl, seit 1986 spricht er nur noch mit Hilfe seines Sprachsynthesizers. Heute kann der berühmte Physiker lediglich seine Augen und seinen Wangenmuskel bewegen. Mit Letzterem bedient er einen Schalter, mit dem er Wörter auf seinem Computerbildschirm auswählt. Früher schaffte Hawking auf diese Weise bis zu 20 Wörter pro Minute, heute sollen es nur noch ein oder zwei sein.

Das hält den Briten allerdings nicht davon ab, weiter zu forschen. Mindestens einmal pro Jahr meldet er sich mit einem neuen Fachaufsatz zu Wort. Nach wie vor schlagen manche dieser Arbeiten Wellen, wohl auch deshalb, weil sie sehr gerne von den Medien aufgegriffen werden. An den Erfolg seiner Theorien aus jüngeren Tagen kann Hawking damit aber nicht mehr anknüpfen. Das geht, wie man fairerweise sagen muss, vielen theoretischen Physikern so.

Die Erkenntnis, dass Schwarze Löcher irgendwann vergehen, hat der Physik allerdings ein Problem beschert, an dem sich Wissenschaftler seit nunmehr 40 Jahren abarbeiten. Seit Hawkings Arbeiten in den 1970er Jahren sind Schwarze Löcher nicht weniger als eine Gefahr für das Weltbild der Physiker. Dieses fußt auf der Annahme, dass Informationen in einem System erhalten bleiben müssen. Anders formuliert: Ein extrem leistungsfähiger Computer, der sämtliche Naturgesetze kennt, müsste den Weg aller Elementarteilchen bis zum Urknall zurückverfolgen können (Quantenphysiker würden von ihrer Wahrscheinlichkeitsamplitude sprechen).

Information verschwindet – im Nichts?

Schwarze Löcher bedrohen diese Fähigkeit des Supercomputers. Sie verschlingen gewaltige Mengen an Materie und zerstückeln diese vermutlich bis zur Unkenntlichkeit. Vor Hawking konnten Physiker darüber hinwegsehen, da die gefräßigen Giganten als ewige Gebilde galten, die bis ans Ende des Universums überdauern müssten. Die Information über die Vergangenheit der verschlungenen Partikel war zwar nicht mehr ohne Weiteres zugänglich, aber sie blieb im Inneren der Schwarzen Löcher erhalten – wie auf einer extrem gut verschlüsselten Festplatte, die man mit futuristischer Kodeknacker-Software schon wieder würde auslesen können.

Löscht das Universum seine Festplatten?

Die Hawking-Strahlung führt jedoch dazu, dass die Festplatte im Lauf der Äonen nach und nach gelöscht wird. Hawking argumentierte damals überzeugend, dass die Teilchen seiner Strahlung keine Informationen aus dem Inneren des Schwarzen Lochs nach außen retten können. Ohnehin sind Schwarze Löcher berühmt dafür, dass sie nur drei messbare Eigenschaften haben dürften: ihre Masse, ihren Drehsinn und ihre elektrische Ladung. "Sie haben keine Haare", pflegte ihr Namenspate Archibald Wheeler zu sagen. Das kann man so verstehen, dass man Schwarze Löcher, bei denen diese drei Eigenschaften gleich sind, ähnlich schlecht unterscheiden kann wie Glatzköpfe auf einem Satellitenfoto.

Bis heute beschäftigt das "Informationsparadox" die Physiker. Immerhin haben sie mittlerweile eine Reihe von Lösungen erdacht, mit denen sich Informationen aus dem Schwarzen Loch retten ließen. Eine populäre Idee sieht vor, dass Schwarze Löcher doch so etwas wie Haare haben: Geisterhafte Spuren direkt über dem Ereignishorizont, in denen die herabstürzende Teilchen ihre Geschichten zurücklassen, damit sie dem Universum nicht verloren gehen. "Wie genau das funktionieren soll, weiß allerdings noch niemand", sagt Sabine Hossenfelder.

Hawking selbst hat sich immer wieder in diese Debatte eingeschaltet. Etwa indem er 2004 öffentlichkeitswirksam zugab, doch nicht mehr zu glauben, dass Schwarze Löcher die in ihnen versenkten Informationen vernichten. In einer 2016 erschienenen Arbeit skizzierten er und zwei Kollegen zuletzt einen Mechanismus, mit dem Schwarze Löcher Informationen auf ihrem Rand speichern könnten.

Andere Physiker sind skeptisch, ob sich damit das Informationsparadox aus der Welt schaffen lässt. So bleibt bis auf Weiteres offen, ob die Geschichte eines Teilchens, das in ein Schwarzes Loch gestürzt ist, je wieder rekonstruiert werden kann. Dem Physiker Stephen Hawking ist die Flucht aus dem Schwarzen Loch natürlich geglückt, oder zumindest steht er regelmäßig in Kontakt mit dem öffentlichen Stephen Hawking. Dieser kann hoffentlich noch einige Zeit den Menschen von seinen Abenteuern erzählen.

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