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News: Brasilianischer Kronzeuge

Pterosaurier sind fliegende Reptilien aus der Kreidezeit. Bislang gab die Fossilüberlieferung noch nicht allzu viel von ihnen preis. Doch ein spektakulärer Fund in Brasilien ermöglichte es Paläontologen nun endlich, einige ihrer wohl gehüteten Geheimnisse zu lüften.
<i>Thalassodromeus sethi</i>
Wer sich vor Fledermäusen fürchtet und sie für eine Ausgeburt der Hölle hält, der wird drei Kreuze schlagen, dass Thalassodromeus sethi vor 65 Millionen Jahren zusammen mit den Dinosauriern von überirdischen Kräften ausgelöscht wurde. "A Vision of Hell" nannte Alexander Kellner von der Universidade Federal do Rio de Janeiro seinen Pterosaurier-Fund, nachdem er ihn gemeinsam mit Diogenes de Almeida Campos vom Museo de Ciencias da Terra vor seinem geistigen Auge zu neuem Leben erweckt hatte.

Viele Jahrmillionen bevor Vögel und Fledermäuse den Luftraum beherrschten, waren die Pterosaurier die ersten fliegenden Wirbeltiere. Sie waren keine Dinosaurier, lebten aber gemeinsam mit ihnen in der Kreidezeit. Während mittlerweile anhand von zahlreichen Fossilfunden die Welt der Dinosaurier schon recht gut rekonstruiert werden konnte, tat man sich mit den Pterosauriern schwer. Denn ihr Skelett besteht hauptsächlich aus dünnen, leichten Knochen, die ihnen das Fliegen erleichterten, aber eben nur in den seltensten Fällen als intakte Fossile erhalten blieben. Obwohl sich die Wissenschaft schon gute 200 Jahre mit ihnen beschäftigt, blieb die Funktionsweise ihres Körpers und damit ihre Lebensweise stets ein Mysterium.

Doch das 1983 im Nordosten Brasiliens von Kellner und de Almeida gefundene Skelett übertraf alles, was die Archive bislang zu bieten hatten, da fast alle Knochen unzerdrückt in ihrer dreidimensionalen Form konserviert wurden und genügend Teile vorhanden waren, um daraus den kompletten Körper zu rekonstruieren. Das wichtigeste Fundstück war dabei der gut 1,5 Meter lange stromlinienförmige Schädel des Ungetüms. Drei viertel davon bilden eine imposante V-förmige Krone, die aus besonders dünnen Knochen besteht und deshalb auch bisher noch nie als Ganzes ausgegraben wurde. Zusammen mit seinem langen, spitz zulaufenden Schnabel und seinen Riesenflügeln mit einer Spannweite von bis zu 4,5 Metern sichert er sich einen Platz unter den "abgefahrensten Kreaturen" der Erdgeschichte, da sind sich die Paläontologen einig.

Die Krone könnte dreierlei Bedeutung gehabt haben und Thalassodromeus sethi zu Hitzkopf, Aufreißer und Überflieger in Einem gemacht haben. Für ersteres sprechen zahlreiche kleine Einkerbungen in den Kronknochen. Kellner und de Almeida nehmen an, dass es sich dabei um Einpassungen für eine ganze Reihe von Blutäderchen handelte, die dem Reptil als eine Art Wärmeregulator dienten. T. sethi konnte so überschüssige Körpertemperatur loswerden, indem er einfach die Blutzirkulation in seiner Krone verstärkte. Andererseits könnte die Krone in unterschiedlichen Formen und mit verschiedenen Farbmustern auch schlicht ein Erkennungsmerkmal für das andere Geschlecht dargestellt haben oder - als dritte Erklärungsmöglichkeit - als eine Art aerodynamischer Helm gedient haben.

Dass T. sethi tatsächlich ein guter Flieger gewesen sein muss, dafür spricht auch die Rekonstruktion seines Körpers und seines möglichen Lebensraums. Gefunden wurde er in versteinerten Ablagerungen eines Binnensees aus der Kreidezeit - der 110 Millionen Jahre alten Santana-Formation des brasilianischen Araripe Beckens. Vieles spricht dafür, dass dieser Binnensee auch sein Lebensraum und vor allem auch sein Jagdrevier war. Seine riesigen Schwingen erlaubten es dem ungefähr zwei Meter langen Koloss mit nur wenigen Flügelschlägen sanft nahe der Oberfläche über den See zu gleiten. Dabei kämmte er wohl ab und zu mit seinem langen Unterkiefer durchs Wasser und verleibte sich so ein paar Fische oder Krustentiere ein.

Die Forscher kamen darauf, weil sie einige anatomische Parallelen mit Rynchops erkannten, einer heute lebenden Vogelgattung, die ganz ähnlich auf Beutefang geht. Doch kann Rynchops mitunter auch seinen ganzen Kopf unter Wasser tauchen, was für T. sethi aufgrund seiner starren Halsmuskeln eher unwahrscheinlich ist.

Dieser Lebensweise verdankt das Flugreptil auch seinen Namen, den Kellner und de Almeida ihm gaben. 'Thalassa' ist der griechische Wort für Meer, 'dromeus' bedeutet Läufer. Der Anhang sethi stammt von Seth, dem ägyptischen Gott des Bösen und des Chaos, und bezieht sich wohl eher auf sein furchterregendes Aussehen. Doch bei näherer Betrachtung wirkt Thalassadromeus sethi eigentlich gar nicht mehr wie ein Flugungeheuer des Bösen, sondern eher wie ein hässlicher ungelenker Möchtegern-Pelikan mit einem überdimensioniert gekrönten Haupt.

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