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Römische Archäologie: Cäsars Genozid an der Maas

Er kam, sah und wütete. Archäologen wollen in den Niederlanden das Schlachtfeld eines berüchtigten Massakers gefunden haben.
Schädel einer Frau mit Speerverletzung

Von dem Blutbad, das Cäsar im Jahr 55 v. Chr. unter den germanischen Stämmen der Tenkterer und Usipeter anrichtete, wussten wir bisher nur aus der antiken Literatur. Nun scheint es Archäologen der Freien Universität Amsterdam gelungen zu sein, das Schlachtfeld zu lokalisieren – und zwar nahe der niederländischen Stadt Kessel in der Provinz Nordbrabant. Die Wissenschaftler um Nico Roymans bedienten sich bei der Auswertung des Befundes sowohl historischer als auch archäologischer und geochemischer Daten.

Im vierten Buch des "Gallischen Kriegs" beschreibt Julius Cäsar detailliert das gewaltsame Vorgehen seiner Truppen gegen die Tenkterer und Usipeter. Kurz zuvor hatten die beiden germanischen Stämme eigenmächtig den Rhein überquert und Cäsar um Schutz und die Siedlungserlaubnis im Flussdelta gebeten – ein für die Antike nicht unübliches Gesuch um "asylum". Ihr Aufenthalt in der römischen Provinz führte allerdings schnell zu kleineren Konflikten mit den dort lebenden Galliern und Römern, ein Umstand, für den Cäsar die "germanische Natur" verantwortlich machte. Die Römer lehnten das Ersuchen daher ab, und Cäsar ließ seine geballte militärische Schlagkraft von acht Legionen auf das Lager der Germanen los. Während der folgenden Schlacht flohen vor allem Frauen und Kinder vor den römischen Truppen, bald aber auch die hoffnungslos unterlegenen Krieger. An der Mündung von Maas und Waal wurden sie schließlich eingekesselt. Sie fielen einem Massaker zum Opfer, das wir heute wohl als Genozid bezeichnen würden. Einige Althistoriker schätzen auf Grundlage der antiken Geschichtsschreibung und der damals üblichen Stammesgrößen, dass bis zu 200 000 Menschen ihr Leben ließen.

Starke Gewalteinwirkung | An vielen dieser Knochen, die sich im Umfeld des mutmaßlichen Schlachtfelds fanden, ließen sich Verletzungen erkennen. In seinem Bericht erwähnt Cäsar allerdings auch, dass sich zahlreiche Germanen aus Verzweiflung ins Wasser stürzten.

Im Dezember 2015 hat Roymans sich nun mit der These an die Öffentlichkeit gewandt, dass dieser Völkermord in der Nähe der heutigen Ortschaften Kessel und Heerewarden (Provinz Gelderland) stattgefunden habe. Dazu hat er mit Kollegen diverse Funde analysiert, die aus Ausgrabungen zwischen 1975 und 1995 stammen, darunter Eisenschwerter, ein Helm, germanische Gewandnadeln und Speerspitzen, die in das erste vorchristliche Jahrhundert datiert werden können. Zudem untersuchten sie eine große Zahl menschlicher Knochen, überwiegend von Männern, aber auch von Frauen und Kindern. Viele der Knochen wiesen Spuren von erheblicher Gewalteinwirkung auf. Dieser Gesamtbefund hatte bereits während der ursprünglichen Ausgrabungen auf ein späteisenzeitliches Schlachtfeld hingedeutet. Eine Untersuchung mit Hilfe der Radiokarbonmethode habe diese Vermutung nun bestätigt, wie Koautorin Lisette Kookter von der Freien Universität Amsterdam sagt.

Wie konnten die Archäologen diesen Befund nun mit der berüchtigten Aktion Cäsars in Zusammenhang bringen? Mit Hilfe einer geochemischen Analyse des Zahnschmelzes dreier Individuen wiesen sie ein Verhältnis der Strontiumisotope nach, das darauf hindeutet, dass die Menschen ursprünglich nicht aus dem Flussdelta stammten. Dies stimmt mit Cäsars Angaben überein, nach denen die Tenkterer und Usipeter aus der Region jenseits des Rheins eingewandert waren.

Rekonstruktion eines Reiterhelms | Der römische Feldherr schickte seine Kavallerie den flüchtenden Germanen hinterher. Helme wie dieser bei Kessel gefundene waren insbesonders bei berittenen gallischen Hilfstruppen in Gebrauch, die an Cäsars Armee angegliedert waren.

Sollten die Thesen der Archäologen weiteren Untersuchungen standhalten, ist mit ihnen der Nachweis für die älteste bekannte Schlacht auf niederländischem Boden erbracht – und der früheste archäologische Hinweis auf die Anwesenheit Cäsars in der Region. Für Historiker und Kulturwissenschaftler bietet der Befund in Kombination mit der entsprechenden Passage im "Gallischen Krieg" die Möglichkeit, das Phänomen des Genozids in der römischen Antike neu zu beleuchten. Denn moralische Zweifel an seinem Vorgehen finden sich in Cäsars Kommentar nicht.

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