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Palliativmedizin: Cannabis dient meist zur Schmerztherapie

Seit 2017 können schwer kranke Menschen medizinisches Cannabis auf Rezept erhalten. Nun legt das zuständige Bundesinstitut das Ergebnis einer Begleitstudie vor. Demnach werden Cannabisprodukte meistens gegen Schmerzen und Übelkeit verschrieben.
Goldfarbene transparente Kapseln auf Holz zwischen Hanfblättern.

Medizinisches Cannabis wird in Deutschland vor allem gegen chronische Schmerzen verschrieben. Weitere Anwendungsgebiete sind Spastik und Anorexie. Das berichtet das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) im heute veröffentlichten Abschlussbericht zur Begleiterhebung von Cannabis in der Medizin. Der Bericht umfasst die Daten von insgesamt 21 000 Behandlungen mit Cannabisprodukten seit 2017 und soll als Entscheidungsgrundlage dienen, ob die Krankenkassen künftig auch bei weiteren Therapien mit Cannabinoiden die Kosten übernehmen.

Seit das Gesetz am 10. März 2017 in Kraft getreten ist, dürfen Ärzte in Deutschland schwer kranken Menschen Cannabisprodukte verschreiben. Darunter fallen einerseits getrocknete Cannabisblüten und deren Extrakte, andererseits Arzneimittel mit den Wirkstoffen Dronabinol (teilsynthetisches THC) und Nabilon (synthetisches THC). Voraussetzung ist in allen Fällen, dass alle anderen Therapieoptionen ausgeschöpft sind. Ziel der Regelung war, die Palliativversorgung zu verbessern.

Ärztinnen und Ärzte, die Cannabisarzneimittel verschreiben, waren seit Inkrafttreten des Gesetzes verpflichtet, an einer Begleiterhebung teilzunehmen. Dabei meldeten sie anonyme Daten, zum Beispiel die jeweilige Erkrankung des Patienten, die Dosierung, Wirkung und die Nebenwirkungen der Cannabismittel. Die vom BfArM durchgeführte Untersuchung lief bis zum 31. März 2022.

Die jetzt präsentierten Daten decken sich im Wesentlichen mit den Ergebnissen einer Zwischenauswertung im Mai 2020 von rund 10 000 vollständigen Datensätzen. Schmerzen waren damals mit 73 Prozent die am häufigsten gestellte Indikation für die Ausstellung eines Cannabisrezepts. In nahezu 75 Prozent der Fälle wurde durch die Anwendung von Cannabisarzneimitteln eine Besserung der Symptomatik erreicht. Nebenwirkungen waren häufig, aber in der Regel nicht schwerwiegend. Müdigkeit und Schwindel traten insbesondere bei Frauen sehr häufig auf.

In einem Drittel der Fälle wurde die Therapie vor Ablauf eines Jahres abgebrochen, hauptsächlich auf Grund fehlender Wirkung (38,5 Prozent ). In 25,9 Prozent waren Nebenwirkungen der Abbruchgrund, in 20,2 Prozent das Versterben der Patientin beziehungsweise des Patienten. In 70 Prozent der Fälle wurde eine Besserung der Lebensqualität berichtet. Mit Cannabisblüten behandelte Patientinnen und Patienten bewerten den Therapieerfolg grundsätzlich höher, brechen die Therapie seltener ab und geben seltener Nebenwirkungen an.

Das BfArM weist darauf hin, dass es sich bei der Begleiterhebung nicht um eine klinische Studie im eigentlichen Sinn handele. Die gewonnenen Daten könnten aber über Nebenwirkungen und Einschränkungen von Cannabis in der Medizin Auskunft und andererseits Hinweise auf weitere Anwendungsgebiete geben, schreibt das Bundesinstitut weiter.

Winfried Meißner, Präsident der Deutschen Schmerzgesellschaft e.V., bemängelt die geringe Aussagekraft des Berichts bezüglich Effektivität und Nebenwirkungen der Cannabisarzneien und fordert bessere Studien: »Es ist an der Zeit, dass die medizinische Zulassung und Erstattung durch die Solidargemeinschaft von Cannabinoiden auf der Basis hochwertiger Studien erfolgt – wie bei allen anderen Medikamenten – und das derzeitige Prozedere eine Übergangslösung bleibt.«

Kirsten Müller-Vahl, Oberärztin der Klinik für Psychiatrie, Sozialpsychiatrie und Psychotherapie an der Medizinischen Hochschule Hannover, sieht die Erhebung ebenfalls kritisch: »Die Aussagekraft des Berichts ist leider extrem gering.« Sie fügt hinzu: »In dem Bericht wird suggeriert, Cannabisarzneien seien Schmerzmittel. Richtig ist aber: Drei Viertel aller Anträge, die bewilligt werden, entfallen auf den Bereich Schmerz. Kostenübernahmeanträge etwa bei psychiatrischen Indikationen werden hingegen sehr häufig abgelehnt.« Dies müsse bei der Interpretation der Ergebnisse berücksichtigt werden.

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