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Planetenforschung: Cassini tritt auf die Bremse

Mitten in der Nacht auf den 1. Juli heißt es 'Daumen drücken'. Dann saust die Raumsonde Cassini durch eine Lücke in den Ringen des Saturns und versucht, mit einer Vollbremsung eine Umlaufbahn um den Planeten zu erreichen. Ob das Manöver gelingt, wird man auf der Erde erst wissen, wenn alles bereits vorbei ist.
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84 Minuten. Diese Zeit braucht ein lichtschnelles Signal vom Saturn bis zur Erde. Fast anderthalb Stunden. Das Warten wird den Frauen und Männern in den Kontrollzentren ewig lang vorkommen. Denn in 84 Minuten kann viel passieren. So könnte die Raumsonde Cassini bereits in den Ringen des Saturn zerschellt sein, während man bei der europäischen Weltraumbehörde Esa, dem Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) und der Nasa noch auf eine Erfolgsmeldung wartet. Wenn Cassini am 1. Juli um 4.36 Uhr (MESZ) sein Bremsmanöver einleitet und das Haupttriebwerk für exakt 96 Minuten zündet, kann kein Mensch helfend eingreifen – jeder Befehl, jede Korrektur käme zu spät. Doch die Ingenieure, Programmierer und Techniker sind zuversichtlich. Sieben Jahre hatten sie Zeit, damit nun alles auf die Sekunde genau klappt. "Wenn alles gut verläuft, wird Cassini-Huygens bereits vom Saturn als Satellit 'eingefangen' sein, bevor uns auf der Erde das erste Signal vom Start des Bremsmanövers erreicht", fasst Ralf Jaumann vom DLR die Zuversicht zusammen.

Energie für den 'dicken Brocken'

Die Vollbremsung beim Saturn ist nicht die erste kritische Situation der Mission. Für Ärger sorgte schon der Start im Oktober 1997, denn die Raumsonde wiegt zusammen mit der Landeeinheit Huygens, die sie huckepack zum Ringplaneten transportiert, rund 2,5 Tonnen und hat mit 6,7 Metern Höhe und 4 Metern Breite die Ausmaße einer Doppelgarage. Eine derart schwere Last direkt in die äußeren Regionen des Sonnensystems zu schießen, übersteigt die Möglichkeiten aller vorhandenen Raketen. Darüber hinaus ist die Intensität der Sonnenstrahlung in den Tiefen des Raums äußerst gering, sodass die sonst üblichen Solarpanels dieses Mal wenig geeignet waren, den Durst nach elektrischem Strom zu stillen. Ein zweifaches Energieproblem also, das die Ingenieure zu lösen hatten.

Bild | Das Schema vergleicht die einzelnen Komponenten der Sonde Cassini mit menschlichen Organen und Fähigkeiten. Die Landeeinheit Huygens soll als "Baby" am ersten Weihnachtstag auf den Weg zum Saturnmond Titan geschickt werden.
Sie statteten die Sonde deshalb mit einer umstrittenen Kraftquelle aus: Plutoniumdioxid. Dessen Wärmeabstrahlung beim radioaktiven Zerfall sollte für den nötigen Strom an Bord sorgen, löste aber zunächst einmal Proteste aus. Schließlich ist Plutonium hochgiftig und darf keinesfalls in die Atmosphäre und damit die Atemluft gelangen. Kritiker versuchten daher, den Start zu verhindern, zumal Cassini nach zwei Schleifen um die Venus noch einmal ins Schwerefeld der Erde zurückkehren musste, um Schwung für die weitere Reise zu holen. Sowohl Start als auch Vorbeiflug verliefen letztlich ohne Komplikationen. Mit der Frage, welche Energiequellen oder anderen potentiell gefährlichen Stoffe eine Raumsonde mit sich führen darf, wird die Raumfahrt sich im Zeitalter der Demokratie aber wohl noch befassen müssen.

Bild | Nach seinem Start am 15. Oktober 1997 flog Cassini zunächst zwei Schleifen (erst die grüne Bahn, dann die rote), um sich von der Venus zusätzlichen Schwung zu holen. Nach einem weiteren Swing by im Schwerefeld der Erde ging es zum Jupiter und schließlich zum Saturn (blaue Kurve).
Der verschnörkelt wirkende Flug durch die Gravitationsfelder von Planeten, die eigentlich nicht das primäre Ziel einer Mission sind, gehört zu den kompliziertesten und elegantesten Tricks in der Raumfahrt. Bei diesem Swing by genannten Manöver wird die Sonde von der Anziehungskraft des Planeten auf ihn zu beschleunigt, schießt jedoch an ihm vorbei und fliegt in geänderter Richtung weiter. Aus der Sicht eines Beobachters am Boden hat sich ihre Geschwindigkeit unter dem Strich nicht verändert (nur die Richtung). Betrachtet man den Ablauf aber von der Sonne aus, muss die Wanderung des Planeten in die Rechnung einfließen. Und in diesem Bezugssystem stellt man fest, dass die Sonde ein wenig von der Bewegungsenergie des Planeten abgeknappst hat. Wegen des enormen Masseunterschieds zwischen den beiden kann dieser zusätzliche Schwung beträchtlich sein. Trotzdem brauchte Cassini gleich viermal solche Starthilfe: im April 1998 und Juni 1999 von der Venus, im August 1999 von der Erde und zum Abschluss im Dezember 2000 vom Jupiter. Dann reichte es endlich, um mit 21 000 Kilometern pro Stunde den Saturn anzupeilen.

Erste Vorboten des Saturns

Der erste Vorbote des Ringplaneten, den Cassini nach europäischer Zeit am 12. Juni passierte, war der Mond Phoebe. Schon lange war bekannt, dass Phoebe in mehrfacher Hinsicht eine Sonderstellung unter den 31 bislang entdeckten Trabanten einnimmt: Seine Oberfläche ist sehr dunkel, die Umlaufbahn ungewöhnlich lang gestreckt und führt den Mond bezogen auf seine Kollegen in entgegengesetzter Richtung um den Saturn. Lauter Indizien, die darauf hindeuten, dass Phoebe ursprünglich nicht zum Saturn gehörte, sondern vermutlich ein Asteroid oder Komet war, den der Riesenplanet mit seiner Schwerkraft eingefangen hatte.

Bild | Während des Vorbeiflugs an Phoebe machte Cassini mehrere Bilder von dem Mond und untersuchte seine Oberfläche mit den Spektrometern. An verschiedenen Stellen registrieren die Instrumente Wassereis (blau), Eisenoxid (rot) und Kohlendioxid. Das grün dargestellte Material ließ sich bislang nicht identifizieren.
Cassinis Vorbeiflug in nicht mehr als rund 2000 Kilometern Entfernung bot darum eine willkommene Gelegenheit, den widerspenstigen Mond genauer zu betrachten. Die Fotos zeigten die übliche, mit Kratern übersäte Landschaft. Gleichzeitig erlaubten sie, Phoebes Volumen genau zu bestimmen. Zusammen mit der Masse, die sich aus der veränderten Flugbahn der Raumsonde im Gravitationsfeld des Mondes ergab, ließ sich damit die Dichte bestimmen. Sie lag knapp unter der doppelten Dichte von Wassereis und war weit geringer als von Gestein. Zudem machten Wissenschaftler an einigen Kratern helle Streifen aus, und spektrale Analysen des reflektierten Lichts bestätigten schließlich die Vermutung: Unter einer mehrere hundert Meter dicken Schicht dunklen Materials besteht Phoebe zu einem Teil aus Wassereis, das bei Einschlägen mitunter freigelegt wird. Weiterhin fand die Sonde Hinweise auf festes Kohlendioxid und Kohlenwasserstoffe. Alles Substanzen, wie sie auch auf Kometen vorkommen. Offenbar also doch ein sesshaft gewordener Wanderer aus den noch geheimnisvolleren Tiefen des Sonnensystems.

Obendrein ist Phoebe möglicherweise sogar unfreiwillige Mutter. Auf ähnlichen Umlaufbahnen bewegen sich noch viele weitere Minimonde um Saturn. Die könnten durchaus bei einem Zusammenstoß mit einem größeren Brocken von Phoebe abgesplittert sein. Ob dem so war, wird Cassini aber nicht herausfinden können, denn die Sonde ist längst weiter geflogen und konzentriert sich auf die eigentlichen Ziele ihrer Mission.

Ringe, Streifen und dichte Wolken

Bild | Das Bild vom 11. Mai deutet bereits die feine Unterteilung der Saturnringe an. Auf dem Planeten selbst fallen die bandartigen Wolkenstrukturen auf, die sich mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten bewegen. Die Unregelmäßigkeiten und Wirbel könnten eine Folge dieser Geschwindigkeitsunterschiede sein oder durch die innere Hitze des Planeten verursacht werden.
Die wird so richtig beginnen, wenn Cassini am 1. Juli in eine Umlaufbahn um Saturn eingeschwenkt ist. Über vier Jahre hinweg wird die Sonde dann bei 75 Umkreisungen auf ganz unterschiedlichen Wegen mit insgesamt zwölf Instrumenten unser Wissen über den Planeten enorm vergrößern. Denn Saturn ist nicht nur der schönste Anblick eines Planeten im Teleskop, sondern zugleich ein ständiges Rätsel. Wie sind seine berühmten Ringe entstanden? Warum haben sie leicht unterschiedliche Farben? Verbergen sich vielleicht weitere Monde in den Ringen? Besonders mysteriös ist auch die Energiebilanz des Planeten – er strahlt 87 Prozent mehr Energie ab, als er von der Sonne bekommt. Was heizt Saturn von innen her auf?

Schon Cassinis Namensgeber, der italienische Astronom Jean-Dominique Cassini (1625-1712), hat Saturn einige seiner Geheimnisse abgerungen, indem er vier Monde entdeckte und bemerkte, dass der Ring in Unterringe geteilt ist. Die moderne Raumsonde soll mit Kameras für verschiedene Spektralbereiche, Radar, Spektrometern, Magnetometern und Detektoren für Staub, Plasma und Radiowellen diesem Vorbild gerecht werden. Eine große Anzahl Wissenschaftler wartet bereits gespannt auf die Daten.

Bild | Eine dichte Smogschicht verdeckt die Oberfläche des Saturnmondes Titan. Selbst die Cassini-Sonde kann kaum Strukturen ausmachen. Anfang des Jahres 2005 wird die Sonde Huygens in die Atmosphäre des Mondes eintauchen und die Abläufe in dem Gemisch aus Stickstoff, Methan und Kohlenwasserstoffen erkunden.
Doch nicht nur der Saturn selbst, sondern auch seine Monde stehen im Mittelpunkt des Interesses. An mehreren von ihnen wird Cassini vorbeifliegen und einen prüfenden Blick auf sie werfen. Mehr noch hat der Titan zu erwarten. Dieser Mond ist nach Jupiters Ganymed der zweitgrößte im Sonnensystem – mit seinen 5140 Kilometern Durchmesser ist er sogar größer als der Planet Merkur. Vor allem aber besitzt er eine dichte Atmosphäre, die nach Messungen von der Erde aus Stickstoff, Methan und Kohlenwasserstoffen besteht. Angetrieben vom UV-Licht der Sonne reagieren die Moleküle ständig miteinander. Zwar sind die Bedingungen nicht genau so wie in der Uratmosphäre der Erde, doch einiges dürfte ähnlich sein und damit einen Blick in die frühe organische Experimentierküche der Natur erlauben.

Die Vorgänge in der Titanatmosphäre sind jedenfalls so spannend, dass die Wissenschaftler ganz genau hinschauen möchten und dafür die Esa-Sonde Huygens als Passagier bei Cassini mitgeschickt haben. Am 25. Dezember 2004 wird sie sich vom Nasa-Mutterschiff lösen und am 14. Januar 2005 in die Atmosphäre eintreten. An Fallschirmen soll sie herabsinken und laufend Messdaten sammeln. Wo Huygens schließlich landen wird, kann niemand so recht sagen. Den Blick mit Teleskopen auf die Oberfläche verwehrt stets ein dicker orangenfarbener Dunstschleier. Eventuell fällt die Sonde in ein Meer aus Methan, das bei den vorherrschenden Temperaturen von rund minus 180 Grad Celsius flüssig ist. Vielleicht hat sich auch eine Art Festland aus organischen Verbindungen gebildet, die vom Himmel herabgerieselt sind. Erst Huygens selbst wird uns darüber aufklären können. Etwa fünf Stunden lang werden die Batterien Strom liefern. Zwischen zwei und drei Stunden dauert alleine der Sinkflug durch die Atmosphäre, danach überträgt die Sonde ihre Daten an Cassini.

Der Name Huygens wird dadurch ein zweites Mal in die Geschichte der Astronomie eingehen. Der niederländische Astronom Christian Huygens (1629-1695) hatte nicht nur Titan entdeckt, sondern auch als erster erkannt, dass es sich bei der seltsamen Struktur am Saturn um einen Ring handelte.

Fernes Wissen

Es wird in den kommenden Monaten also viel Neues vom Saturn und seinen Monden geben. Wir werden erfahren, wie es dort oben aus der Nähe aussieht. Ein Teil der Experimente wird sich mit der Frage beschäftigen, wie das Sonnensystem eigentlich entstanden ist, andere Messungen verfolgen das Arsenal chemischer Reaktionen auf fernen Welten. Ein Stückchen nähern wir uns damit dem stetig bohrenden Zweifel, ob auch andere Sterne von Planeten umkreist werden, auf denen sich Leben gebildet haben könnte. Denn um das zu beantworten, müssen wir mehr über die Physik und Chemie weitab von der Erde wissen. Und da ist Saturn doch eine lohnenswerte Zwischenstation.

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