Kohlendioxidspeicherung: Wo die Koalition Treibhausgas endlagern will

Sobald er Bundeskanzler ist, will Friedrich Merz einem erheblichen Teil der deutschen Treibhausgase eine neue Fließrichtung geben: Statt nach oben in die Atmosphäre zu entweichen, sollen Millionen Tonnen Kohlendioxid unter der Nordsee und vielleicht auch an Land tief im Untergrund verschwinden. Dort sollen sie möglichst für immer bleiben. Im Fokus stehen dabei schwer vermeidbare Emissionen, also jener Anteil des CO2-Ausstoßes, für den es bisher keine oder nur sehr teure technischen Alternativen gibt. Dazu zählen zum Beispiel Zement- und Kalkerzeugung, bestimmte Industriebetriebe und die Abfallverbrennung. Hinzu kommen Pläne, bestehenden und neuen Erdgaskraftwerken die unterirdische Abgasentsorgung zu ermöglichen, obwohl für deren Beitrag zur Stromversorgung Alternativen existieren.
CCS – Carbon Capture and Storage – heißt das umstrittene technische Verfahren: Bevor Kohlendioxid wie bisher durch die Schornsteine entweicht, fangen Ingenieure das Gas technisch ab. Sie reinigen, kühlen und komprimieren es, um es dann per Zug, Schiff oder Pipeline zu so genannten Injektionsstellen bringen zu lassen. In Tiefen zwischen 800 und einigen tausend Metern soll vor allem poröser Kalkstein das Treibhausgas aufnehmen und, so der Plan, für immer binden. Über Jahrhunderte und Jahrtausende hinweg könnte sich das CO2 im Untergrund zu Gestein verwandeln – statt an der Oberfläche die Atmosphäre immer weiter zu erhitzen. Kritiker wenden ein, dass CCS den Druck mindere, die Emissionen konsequent zu reduzieren, es zu teuer sei und zudem Leckagen die sensible Meeresumwelt gefährden könnten.
Den Weg für die unterirdische Einlagerung von Kohlendioxid frei zu machen, gehört zu den ersten Vorhaben, die Merz' neue Regierungskoalition aus CDU/CSU und SPD gemeinsam stemmen möchte. »Umgehend«, schreiben die Koalitionäre im Entwurf ihres Regierungsprogramms, werde man nach Amtsantritt ein Gesetzespaket beschließen, »das die Abscheidung, den Transport, die Nutzung und die Speicherung von Kohlendioxid insbesondere für schwer vermeidbare Emissionen des Industriesektors und für Gaskraftwerke ermöglicht«.
Wie viel Treibhausgas passt wirklich unter die Nordsee?
Schon bei bisherigen CCS-Plänen, wie sie bereits die Ampelkoalition verfolgt hat, stand der geologische Untergrund der Nordsee im Fokus. Die Politik hofft, dass die an Land erwarteten Proteste von Bürgerinnen und Bürgern in der Ausschließlichen Wirtschaftszone (AWZ), die jenseits des Küstenmeers ab einer Entfernung von rund 22 Kilometern vom Festland beginnt, ausbleiben oder zumindest schwächer ausfallen. Dafür ist man bereit, zusätzlichen Aufwand und Kosten in Kauf zu nehmen.
Nun zeigen aber Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler eines Forschungsvorhabens namens Geostor dem CCS-Potenzial der deutschen Nordsee Grenzen auf. Koordiniert hat das seit 2021 laufende Großprojekt Klaus Wallmann, Leiter des Fachbereichs Marine Biogeochemie am GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung in Kiel. Beteiligt sind unter anderem die Universitäten Kiel und Hamburg, das Deutsche Meeresmuseum in Stralsund und die Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe mit Sitz in Hannover.
Die Fachleute haben für zwei insgesamt knapp 15 000 Quadratkilometer große Pilotgebiete in der Nordsee im Detail erkundet, wo wie viel Kohlendioxid eingelagert werden könnte, wie viel das kostet und wie sicher das Treibhausgas dabei im geologischen Untergrund verwahrt werden kann.
Das Gesamturteil fällt gemischt aus: »Die Arbeiten haben gezeigt, dass die geologische CO2-Speicherung in der deutschen Ausschließlichen Wirtschaftszone prinzipiell möglich wäre und dass tief unter der deutschen Nordsee ein signifikanter Anteil jener CO2-Menge, die in Zukunft in Deutschland abgeschieden werden soll, gespeichert werden könnte«, heißt es in dem im April 2025 erschienenen Report. Doch zugleich warnen die Forscher und Forscherinnen vor begrenzten Kapazitäten und möglichen Umweltrisiken. Daher solle in der Nordsee wirklich »nur jene CO2-Restmenge deponiert werden, deren Entstehung sich trotz konsequenter Klimapolitik nicht vermeiden lässt«. Die Fachleute raten davon ab, CCS als Ersatz dafür anzusehen, Emissionen zu reduzieren – zumal sie davon ausgehen, dass das Verfahren von der Abscheidung bis zur Endlagerung sehr teuer wird. Das Risiko von Lecks wird in dem Report als insgesamt niedrig eingestuft, während mögliche negative Wirkungen auf Schweinswale deutlich benannt werden. Diese Tiere müssten beim Bau von CCS-Pipelines und -Anlagen durch möglichst schonende seismische Verfahren geschützt werden.
Weniger Platz als gedacht
Während ihrer Untersuchungen haben dieForschungsteams den Meeresuntergrund in den zwei Testgebieten mit verschiedenen seismischen Verfahren vermessen und alte Erdgasbohrungen auf Leckagen untersucht. Sie haben Modelle für mögliche geologische Störungen entworfen und getestet, wie viel Kohlendioxid vor allem der so genannte Mittlere Buntsandstein in seinen Poren aufnehmen kann. Bei der Analyse ausgeschieden sind Speicher, die höher als 800 Meter und tiefer als 4,5 Kilometer liegen, die nur sehr klein sind oder keine ausreichend dicke Deckschicht haben, die ein Austreten des Gases nach oben verhindern würde.
In früheren, häufig zitierten Schätzungen war von einem gesamten Speicherraum von bis zu zehn Milliarden Tonnen Kohlendioxid die Rede. Da die deutsche Industrie von jährlich 30 bis 50 Millionen Tonnen schwer vermeidbarer Emissionen ausgeht, würde dieser Speicherplatz bis ins nächste Jahrhundert reichen. Die neuen Schätzungen fallen deutlich vorsichtiger aus. Für die gesamte Speicherkapazität im Buntsandstein kommen die Forscher auf zwischen 900 Millionen und fünf Milliarden Tonnen CO2.
Der physikalisch verfügbare Speicherplatz, betonen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, ist nur eine der relevanten Größen. Wichtiger als die so genannte statische ist die dynamische Kapazität. Sie gibt wieder, wie viel Kohlendioxid pro Jahr über welche Zeiträume eingelagert werden kann. Denn man kann einen CO2-Speicher nicht so schnell füllen wie einen Benzintank am Auto. So muss das einströmende Gas zum Beispiel im Gestein vorhandenes Salzwasser verdrängen. Zudem steigt zumindest anfangs mit der Einlagerung auch der Druck, der neuem Gas entgegenwirkt. Weitere limitierende Faktoren kommen hinzu. Viele der 71 untersuchten Speicherstrukturen sind zu klein, als dass es sich lohnen könnte, eine Pipeline dorthin zu führen und eine Injektionsanlage zu bauen. Außerdem gebe es Nutzungskonkurrenzen an der Oberfläche, wie Offshore-Windparks, Naturschutzgebiete, Leitungen, Schifffahrt und militärische Sperrzonen, die den Betrieb einer unterseeischen Lagerstätte erschweren oder unmöglich machen.
Man braucht mehr Daten
Bei seinem Untersuchungsgebiet im Buntsandstein geht das Geostor-Team davon aus, dass von einem theoretischen Speicherpotenzial von 750 Millionen Tonnen über 30 Jahre hinweg rund 40 Prozent praktisch genutzt werden können. Das wären 300 Millionen Tonnen. Bis zu zehn Millionen Tonnen CO2 pro Jahr könnten dort verpresst werden, wofür entweder fünf vertikale oder zwei horizontale Zugänge für die CO2-Injektion nötig wären, heißt es im Report. Doch selbst für diese zehn Millionen Tonnen jährlich nennt der Report noch Einschränkungen: Der Wert sei »um zirka einen Faktor zehn höher als bei den größten derzeit durchgeführten Vorhaben«. Das bedeutet, dass die eingesetzten Technologien vor einer Anwendung noch deutlich effizienter werden müssten.
Wie viel CO2 pro Jahr in der gesamten Nordsee eingelagert werden könnte, ist laut Klaus Wallmann, dem Koordinator der Studie, noch offen: »In unserem Untersuchungsgebiet kann Wasser aus der geologischen Formation, das durch das Kohlendioxid verdrängt werden muss, relativ leicht seitlich entweichen«, urteilt er. »Für die gesamte Nordsee gehen wir aber davon aus, dass dies nicht so gut geht.« Die realen Kapazitäten könnten »erst zuverlässig bestimmt werden, nachdem die potenziellen Speicherstandorte von der Industrie genau exploriert wurden«, sagt Wallmann.
Für die Koalitionäre, die in den kommenden Monaten ein neues CCS-Gesetz erarbeiten und beschließen wollen, und für die Unternehmen, die CCS nutzen wollen, bietet der Report eine wertvolle Datenbasis. Zugleich wirft er die grundsätzliche Frage auf, ob die deutsche Politik nicht doch auch eine CO2-Entsorgung an Land in Betracht ziehen sollte. Denn es ist nicht klar, ob man sich wirklich darauf verlassen kann, dass für die von der Industrie genannten 30 bis 50 Millionen Tonnen Kohlendioxid pro Jahr die Nordsee verlässlich als Speicher zur Verfügung steht. Womöglich geht es sogar um noch größere Mengen, sollten – wie der Koalitionsvertrag ebenfalls vorsieht – reihenweise neue Erdgaskraftwerke gebaut werden und Anschluss ans CO2-Netz fordern.
CCS an Land ist sicher, billig – und unbeliebt
Das Gas unter dem Meer zu entsorgen ist schon deshalb teurer, weil ein Kilometer Pipeline am Meeresboden mindestens eine Million Euro kostet und zudem komplexe technische Anlagen ins Meer gebaut und gut abgedichtete Bohrungen vorgenommen werden müssen. Allein für den maritimen Teil des CCS-Prozesses mit Bohrungen bis in mehrere Kilometer Tiefe gehen die Geostor-Forscher von Kosten zwischen 13 und 55 Euro pro Tonne CO2 aus. Diesen Anteil könnte man sich zumindest teilweise sparen, wenn man das Treibhausgas auch an Land verpressen würde.
Merz und seine Koalitionspartner wollen diese Option eröffnen: »Wir ermöglichen CO2-Speicherung onshore, wo geologisch geeignet und akzeptiert«, heißt es dazu im Entwurf zum Koalitionsvertrag. Das klingt offener als zuletzt von der Ampelkoalition, wird aber ebenso von einer wichtigen Bedingung abhängig gemacht: Die angekündigte Öffnungsklausel bedeutet, dass Bundesländer selbst tätig werden müssten und der Bund sich zurückhält.
»Unsere Nachuntersuchungen über fünf Jahre hinweg haben anschließend gezeigt, dass der Speicher dicht ist, also kein Kohlendioxid entweicht«Susanne Buiter, Helmholtz-Zentrum für Geoforschung
Geologen betonen, dass eine unterirdische Lagerung in Kalkgesteinen an Land, also in viel größerer Nähe zu den Fabriken, Kalktagebauen und Kraftwerken grundsätzlich möglich ist und billiger zu machen wäre als die Endlagerung unter dem Meer. Wie eine CO2-Speicherung an Land funktionieren könnte, hat das Helmholtz-Zentrum für Geoforschung (GFZ) zwischen 2008 und 2013 bereits im brandenburgischen Ketzin demonstriert. »Unsere Nachuntersuchungen über fünf Jahre hinweg haben anschließend gezeigt, dass der Speicher dicht ist, also kein Kohlendioxid entweicht«, sagt GFZ-Chefin Susanne Buiter.
Doch schon einmal hat eine konservativ geführte Bundesregierung beim CCS an Land kalte Füße bekommen. 2014 regierten Union und FDP, als schon eine kleine Zahl lokaler Proteste reichte, dass die Regierung unter Kanzlerin Angela Merkel zurückschreckte und sogar ein faktisches CCS-Verbot in Kraft setzte. Aus Sicht der Befürworter von CCS gingen dadurch wertvolle Jahre verloren.
Nur Bayern ist interessiert
Doch Merz kann nur mit wenig Interesse rechnen, stellt er es den Bundesländern lediglich frei, in Eigenregie Projekte zur CO2-Speicherung durchzuführen. Eine Umfrage unter den Regierungen der Bundesländer Mitte 2024 hat ergeben, dass bisher keines CCS auf dem eigenen Territorium aktiv vorantreibt. Ohne eine Initiative der Bundesregierung wird absehbar wenig passieren.
An Land solle man CCS »zunächst außen vor lassen«, hieß es etwa aus Baden-Württemberg, um die »gesellschaftliche Akzeptanz sicherzustellen«. »Debatten in der Vergangenheit haben gezeigt, dass die CO2-Speicherung an Land wenig Rückhalt in der Bevölkerung findet«, teilte die nordrhein-westfälische Landesregierung mit.
Am offensten zeigt sich Bayern: »Es sollten alle zur Verfügung stehenden Speicheroptionen für Kohlenstoffdioxid ergebnisoffen wissenschaftlich untersucht und hinsichtlich ihrer technologischen und ökologischen Eignung sowie ihrer wirtschaftlichen Bedeutung bewertet werden«, erklärte das Bayerische Wirtschaftsministerium. Ende 2024 legte die Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft ein Konzept vor, wie im Freistaat künftig schwer vermeidbares Kohlendioxid entsorgt werden könnte. Neben Pipelines gen Norden sind in dem Plan auch bayerische CO2-Speicher vorgesehen, und zwar vor allem in tiefen Salzwasserschichten im Alpenvorlandbecken zwischen München und Passau.
Die bayerische Wirtschaft rät davon ab, auch Erdgaskraftwerke in eine künftige CCS-Infrastruktur einzubeziehen. Sie führt dazu Warnungen von Experten aus der Energiewirtschaft an. So seien im Abgas der Kraftwerke nur fünf Prozent Kohlendioxid enthalten, im Gegensatz zu 30 Prozent etwa bei Zementwerken, was die Abscheidung verteure. Die verbleibende Nutzungsdauer von Gaskraftwerken sei im Gegensatz zu Zementwerken begrenzt, was Investitionen unrentabel machen könnte. Weil CO2-Emissionen aus Gaskraftwerken durchaus vermeidbar seien, sei zudem die Akzeptanz für CCS in Gefahr: Eine Debatte über die Abscheidung und Speicherung vermeidbarer CO2-Emissionen aus Gaskraftwerken könnte den für andere Branchen wichtigen »fragilen gesellschaftlichen Kompromiss gefährden«.
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