Future Circular Collider: Pläne für nächsten großen Teilchenbeschleuniger nehmen Form an

Einen Tunnel zu bauen, 91 Kilometer lang und 5,5 Meter im Durchmesser, und das in einer Tiefe von rund 200 Metern, klingt nach völligem Größenwahn. Doch genau darüber denken Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler bereits seit einer Weile nach. Der Future Circular Collider, kurz FCC, soll den Large Hadron Collider, kurz LHC, ablösen und das nächste große Ding werden am europäischen Forschungszentrum CERN bei Genf in der Schweiz. Nun ist die Machbarkeitsstudie abgeschlossen, in der geprüft wurde, ob das Ganze baulich realistisch ist.
Für die Studie wurden rund 100 Tunnelvarianten untersucht. Um die Stabilität und die Schichtung des Untergrunds zu beurteilen, führten Fachleute seismische Messungen und erste Probebohrungen durch. Es wurde geprüft, ob genug Wasser und Strom zur Verfügung stehen und wie gut die Baustellen durch Straßen erschlossen sind. Auch die Auswirkungen der Tunnelbohrungen auf Flora und Fauna waren Teil der Analyse. Das Fazit: Es ist machbar. Doch entschieden ist damit noch nichts.
Der FCC soll vor allem im französischen Untergrund verlaufen und zu einem geringen Teil unter der Schweiz. Zum Tunnel hinzu kommen acht Forschungs- und Wartungsgebäude an der Oberfläche. Nachdem sich die Betriebszeit des LHC absehbar dem Ende zuneigt, soll der neue FCC deutlich leistungsstärker und präziser sein als der Vorgänger. Die erste Ausbaustufe namens FCC-ee, die allein bereits rund 16 Milliarden Euro kosten soll, wird zunächst Elektronen und ihre Antiteilchen zur Kollision bringen. Die Bauarbeiten dafür sollen Anfang der 2030er Jahre starten und Mitte der 2040er Jahre abgeschlossen sein. Die zweite Ausbaustufe namens FCC-hh würde dann ab den 2070er Jahren folgen. Der Tunnel bliebe dafür erhalten, aber der technische Inhalt würde einmal vollständig ausgetauscht, damit dann Protonen aufeinanderprallen können. Die Kosten dafür sind bislang noch nicht beziffert, da eine Prognose über so viele Jahrzehnte laut Experten nicht seriös wäre.
Gewaltige Energiemengen
Bei den Bohrungen fällt Aushub von schätzungsweise 16,4 Millionen Tonnen Gestein an. Zum Vergleich: Für den Gotthardtunnel mussten gut 28,2 Millionen Tonnen Gestein bewegt werden, für das Projekt Stuttgart 21 sogar 40 Millionen. Da die baulichen Herausforderungen ohnehin riesig sind, will man den Tunnel nach Möglichkeit so legen, dass hauptsächlich eine vergleichsweise stabile Gesteinsschicht durchschnitten wird, das Molassesediment. Das ist in etwa 200 Meter Tiefe der Fall. Doch wohin mit all dem Gestein? Gerade laufen Versuche, aus der Molasse fruchtbaren Boden zu machen, der zum Beispiel auf Industriebrachen ausgebracht werden kann. Dazu wird das Material mit Mikroorganismen versetzt oder mit Humus oder anderer Erde vermischt.
Was man sich vom neuen Beschleunigerring erhofft
Mit dem Vorgänger des FCC, dem LHC, wurde im Jahr 2012 die Existenz des in den 1960er Jahren theoretisch vorhergesagten Higgs-Bosons experimentell bewiesen. Das Elementarteilchen gehört zum so genannten Higgs-Mechanismus, über den sämtliche anderen Teilchen ihre Masse erhalten. Die Finanzierung des LHC war damals einfacher durchzusetzen, denn es gab nur zwei Möglichkeiten, welches Ergebnis er liefern könnte: Entweder lässt sich das Higgs-Boson durch Teilchenkollisionen nachweisen, und die Theorie von den Mechanismen im Mikrokosmos ist korrekt. Oder es lässt sich nicht finden, und das Theoriegebäude stürzt ein. Egal, wie es ausgegangen wäre – der Erkenntnisgewinn war sicher.
Beim FCC ist das anders. Es ist keineswegs klar, dass sich im anvisierten Energiebereich etwas finden lässt. Die Forschenden haben lediglich die Hoffnung, offene Fragen mit dem riesigen Beschleuniger beantworten zu können. Patrick Janot, Physiker am CERN, nennt als Beispiele: »Gibt es nur einen einzigen Typ von Higgs-Boson oder mehrere? Verhält das Teilchen sich exakt so, wie in den Theorien vorhergesagt? Warum besteht das Universum lediglich aus Materie – wohin ist die Antimaterie verschwunden, die während des Urknalls zeitgleich entstanden sein muss? Warum haben Neutrinos Masse und woher kommt diese?« Und die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt.
Ein großer Kritikpunkt sind die gewaltigen Energiemengen, die der Betrieb des Beschleunigerrings verschlingen würde. Es sollen Teilchen mit einer Kollisionsenergie von bis zu 100 Teraelektronvolt aufeinanderprallen. »Im Moment verbraucht das CERN 1,3 Terawattstunden pro Jahr. Der Energieverbrauch des FCC soll auf maximal 1,8 Terawattstunden pro Jahr steigen«, sagt Michael Benedikt, Leiter der Machbarkeitsstudie. Dazu soll möglichst viel Energie zurückgewonnen werden, etwa indem Abwärme wieder genutzt wird.
Doch nun heißt es erst einmal warten. Läuft alles wie geplant, wird im Jahr 2028 mit einer Entscheidung des CERN-Rats gerechnet, der inzwischen 24 Mitgliedsstaaten umfasst. Einen Teil des nötigen Budgets kann das CERN aus eigenen Mitteln stemmen; ob jedoch alle beteiligten Länder bereit sind, das Megaprojekt zu finanzieren, ist ungewiss. Deutschland, das mit gut 20 Prozent Hauptbeitragszahler ist, hat im Jahr 2024 bereits Vorbehalte angemeldet. Wahrscheinlich werden also zusätzliche Gelder benötigt, die etwa von Stiftungen oder aus anderen Quellen kommen können. Und es gibt bereits Konkurrenz: China will schon 2030 mit einem ähnlichen Projekt starten. Selbst wenn am CERN alles nach Plan laufen sollte, hätten die Chinesen entsprechend die Nase vorn. Sicher ist damit lediglich: Es muss noch sehr viel Überzeugungsarbeit geleistet werden.
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