Chatfishing: Verliebt in einen Roboter?

Es ist eine bekannte Weisheit des Internetzeitalters: Menschen sind oft nicht diejenigen, die sie online zu sein scheinen. Zumindest konnte man sich bis vor Kurzem aber sicher sein, dass man es mit einem Menschen zu tun hat. Doch jetzt erobert das »Chatfishing« als neue Form der Täuschung die Dating-Apps. Anstelle des bereits bekannten »Chatfishing« – also der Verwendung einer völlig falschen Identität – setzen Menschen zunehmend auf künstliche Intelligenz, um sich mit ihren Matches zu unterhalten und ein Treffen mit ihnen zu sichern.
Die nötige Technologie dazu gibt es bereits. Menschen, die Dating-Apps nutzen, können die Nachrichten ihres potenziellen Dates kopieren oder Screenshots ihrer Unterhaltungen in Chatbots wie ChatGPT einfügen und um Rat bitten. Auch »Wingman-Apps« wie Rizz, Winggg und YourMove AI schlagen Antworten auf hochgeladene Screenshots von Chatnachrichten vor. Das Marketing von YourMove AI behauptet, dass es »das Texting auf Tempomat stellt«. Auch einige Dating-Plattformen selbst setzen auf KI: Hinge verwendet ein KI-gestütztes Tool, das Nutzende zu besseren Antworten ermutigt, und Facebook Dating testet einen »Dating-Assistenten«, um kreative Verabredungsideen zu generieren. Volar, eine Dating-App, die Ende 2023 auf den Markt kam, ließ Nutzende sogar eine KI-Version von sich selbst trainieren, die wiederum mit der KI einer anderen Person flirtete. Vor einer Verabredung prüften sich die KI-Doubles also gegenseitig. (Volar wurde 2024 eingestellt, was darauf hindeutet, dass Menschen noch ein gewisses Maß an Mitsprache bei der Wahl ihrer Partnerinnen und Partner wünschen.)
Eine Umfrage des Dating-Anbieters Match und von Forschenden des Kinsey-Instituts ergab, dass 26 Prozent der US-Singles KI zur Verbesserung der Partnersuche nutzen – ein Anstieg von 333 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Eine 2025 durchgeführte Studie von Norton untermauert dies: Sechs von zehn Dating-App-Nutzenden glauben, dass sie mindestens eine von KI geschriebene Unterhaltung miterlebt haben. Und das US-Magazin »Time« berichtete, dass die Rizz-App im vergangenen Jahr rund 1,5 Millionen monatlich aktive Nutzerinnen und Nutzer hatte.
Doch zunehmend berichten Nutzende von Dating-Apps, dass sie sich mit Menschen verabredet hatten, die zwar beim Chatten interessant, im persönlichen Gespräch hingegen langweilig waren. Es gibt allerdings noch keine Studien, die untersucht haben, ob Chatfisher tatsächlich mehr Dates bekommen. Einige Forschungsarbeiten legen jedoch nahe, dass es Menschen schwerfällt, zwischen menschlichem und maschinell geschriebenem Text zu unterscheiden. In einer Studie aus dem Jahr 2024 konnten Menschen nur in 57 Prozent der Fälle erkennen, ob ein Nachrichtenartikel von einem Menschen oder einer künstlichen Intelligenz verfasst worden war. Auch eine Preprint-Veröffentlichung aus dem Jahr 2025 zeigte, dass Personen, die gleichzeitig mit dem OpenAI-Modell GPT-4.5 und einem Menschen chatteten, die künstliche Intelligenz in 73 Prozent der Fälle für einen Menschen hielten.
Auch außerhalb des Dating-Kontextes gelingt es KI oft, den Menschen zu verführen: Das MIT Media Lab untersuchte eine schnell wachsende Reddit-Community namens r/MyBoyfriendIsAI und stellte fest, dass die romantische Bindung zu einem Chatbot oft ungewollt ist. Die Leute wenden sich an ChatGPT oder Gemini, um praktische Hilfe zu erhalten – zum Beispiel beim Schreiben oder beim Lösen von Problemen –, und bleiben, um Gesellschaft zu haben. Bald werden Spitznamen und Gute-Nacht-Nachrichten ausgetauscht, und die Nutzer trauern, wenn das Modell aktualisiert wird und sich die scheinbare Persönlichkeit des Chatbots ändert.
Eine Mensch-Maschine-Romanze mag abschreckend klingen, ist aber nicht überraschend. ChatGPT wurde, wie der Name schon sagt, zum Chatten entwickelt, und es gibt zahlreiche Untersuchungen, die zeigen, dass Menschen durch Kommunikation Beziehungen schaffen. Aber wenn Beziehungen an sich etwas so grundlegend Menschliches sind, warum beanspruchen wir für sie dann die Hilfe von Maschinen?
Dating-Apps und Chatbots passen so gut zusammen, weil die Apps unser Leben auf Text reduzieren
Die Antwort ist, dass wir uns mit Dating-Apps auf dem Terrain von Computern bewegen – hier sind wir im Nachteil. Wir haben uns entwickelt, um persönlich miteinander zu sprechen: mit Gesten, Mimik, Körpersprache und Blickkontakt. All das sorgt dafür, dass wir auch die halbfertigen Gedanken unseres Gegenübers vervollständigen können. Dating-Apps und Chatbots passen so gut zusammen, weil die Apps unser Leben auf Text reduzieren: Computer wurden seit einem halben Jahrhundert darauf optimiert, per Text so menschlich wie möglich zu klingen.
Turing-Test für Chatbots
Der klassische Test der Computerintelligenz, 1950 vom britischen Computerpionier Alan Turing vorgeschlagen, ist einem Dating-Chat sehr ähnlich. Beim Turing-Test kommuniziert eine Person per Text mit zwei unsichtbaren Gesprächspartnern – einem Menschen und einer Maschine – und versucht, sie voneinander zu unterscheiden. Wenn sie dies nicht kann, hat die Maschine »bestanden«. Jahr für Jahr wetteifern Ingenieurinnen und Ingenieure darum, Chatbots zu entwickeln, die in einem solchen Test bestehen würden. Im Jahr 2024 übertrafen die Maschinen den Menschen erstmals, und im Jahr 2025 täuschte ChatGPT die Beurteilenden schon in mehr als 70 Prozent der Fälle.
Ironischerweise überzeugten jahrzehntelang auch Menschen nicht durchgehend beim Online-Dating – sie wirkten mechanisch, einstudiert oder sprachen zu allgemein. Auf Dating-Apps werden jetzt gewissermaßen Turing-Tests in Echtzeit durchgeführt: Eine Frau sendet an zwei potenzielle Matches je eine Nachricht; ein Match schreibt die Antwort selbst, während das andere den Austausch einem Bot überlässt. Wenn sich die Frau mit der KI verabredet, hat die Maschine bestanden.
Sag nicht einfach, du magst Musik – sag, dass du beim zweiten Vers weinen musstest. Sag nicht bloß, du liebst Hunde – erzähl von dem Dobermann deiner Kindheit, der aus Angst vor dem Saugroboter in der Hängematte schlief
Der Autor Brian Christian hat diese Ironie in seinem 2011 erschienenen Buch »The Most Human Human« (zu Deutsch: »Der menschlichste Mensch«) aufgegriffen. Darin beschreibt er seine Erfahrungen im Wettbewerb mit Chatbots bei Turing-Tests. Um besonders menschlich zu wirken, schlägt er vor, die eigenen Erzählungen auszuschmücken. Sag nicht einfach, du magst Musik – sag, dass du beim zweiten Vers weinen musstest. Sag nicht bloß, du liebst Hunde – erzähl von dem Dobermann deiner Kindheit, der aus Angst vor dem Saugroboter in der Hängematte schlief. »Die statistischen, kulturellen und rituellen Regelmäßigkeiten der menschlichen Interaktion sind die Schwachstellen, die diese Maschinen ausnutzen«, schreibt er.
Zwar spielt das moderne Leben mit seiner schier endlosen Flut an Textnachrichten den Maschinen in die virtuellen Hände, doch ihre Hilfe zu suchen, ist kein sicherer Weg zur wahren Liebe. Wie Studien und Geschichten aus der Dating-Praxis zeigen, verlieben sich unsere Gegenüber womöglich in die KI – aber nicht in uns. Die Lösung liegt vielleicht darin, den Drang loszulassen, immer das Richtige zu sagen, und stattdessen einfach echt zu sein – das zu geben und zu suchen, was wahr, unvollkommen und unverkennbar menschlich ist.
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