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News: Chemisch gespeichert und elektrisch abgerufen

Im Gedächtnis- und Lernprozess gibt es mehrere Stufen. Zuerst wird Wissen erworben, dann gespeichert und letztendlich, hoffentlich, abgerufen. Anhand des manipulierten Gehirns der kleinen Taufliege zeigen sich nun grundsätzliche Unterschiede in der Vorgehensweise. Erworben und gespeichert wird über chemische Signale, aber zum Abrufen der Information benötigt das Gehirn elektrische Signale.
Auch kleine Taufliegen (Drosophila melanogaster) beherrschen die Kunst des assoziativen Lernens. Was sich dahinter verbirgt, kennt jeder Hunde- oder Katzenbesitzer bestimmt. Allein beim Geräusch des Dosenöffners, scheppernden Futternapfs oder der sich öffnenden Kühlschranktür kommen die hungrigen Kleinen angeflitzt. Zu diesen Geräuschen gehört Futter. Das haben sie gelernt.

Im Labor von Tim Tully lernten nicht klassische Haustiere, sondern Taufliegen. Zwar sollten sie nicht durch Geräusche angelockt werden, sondern im Gegenteil einen ganz bestimmten Duft meiden. Die Forschungsgruppe des Cold Spring Harbor Laboratory wollte mit diesen Versuchen eine alte Frage der Neurobiologie lösen: Ist eine permanente elektrische Aktivität zur Formation von Erinnerungen nötig?

Der Schlüssel zu ihrer Studie war eine mutierte Version des Gens Shibire im Gehirn der Fliegen. Normalerweise wird über dieses Gen die Freisetzung von Botenstoffen im Gehirn reguliert. Die mutierte Form jedoch produziert das entsprechende Protein nur bei niedrigen Temperaturen um 20 Grad Celsius. Steigt die Umgebungstemperatur um zehn Grad Celsius an, werden keine Neurotransmitter mehr ausgeschüttet. So können die Forscher die elektrische Gehirnaktivität allein durch Temperaturunterschiede an- oder abschalten. Ganz wie sie es benötigen. Denn ein nicht funktionierendes Gen führt zu einem "Leerlaufen" des Botenstoffes. Bestimmte Gehirnregionen werden somit lahmgelegt und können keine elektrischen Signale mehr weiterleiten.

Diese manipulierten Fliegen sollten nun lernen, einen bestimmten Duftstoff zu meiden. Später testeten die Forscher die Gedächtnisleistung, indem sie die Tiere erneut mit dem Duft konfrontierten und ihre Abwehrreaktionen festhielten. Hierbei zeigte sich, dass die Temperatur-empfindlichen Fliegen problemlos lernten, das Wissen aber nicht mehr abrufen konnten. "Eine einfache Form von Erinnerung kann auch in Abwesenheit von elektrischer Aktivität normal erworben und gespeichert werden Aber das Abrufen ist blockiert", sagte Tully. "Dies legt nahe, dass diese Erinnerungen als chemische Prozesse passieren und elektrische Aktivität nur zum Abrufen dieser Erinnerungen nötig ist".

  • Quellen
Nature 411: 476–480 (2001)

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