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Chili-Schärfe: Warum die berühmte »Scoville-Skala« fehlerhaft ist

Die Schärfe einer Chili misst man scheinbar objektiv anhand des enthaltenen Capsaicins. Doch die Sache hat einen Haken. Der könnte gar zur Entwicklung eines »Anti-Gewürzes« oder von Schmerzmedikamenten führen.
Ein Korb voller bunter Paprikaschoten, darunter rote, grüne und orangefarbene Sorten, steht auf einem Tisch. Eine Hand greift nach einer der Paprikaschoten. Der Hintergrund ist unscharf, was den Fokus auf die Paprikaschoten lenkt.
Ein Schälchen extrem scharfer Chilis steht zum Wettessen bereit. Die aktuell schärfste Chili »Pepper X« bringt es auf gemessene 2 693 000 SHU.

Wie sehr eine Chili auf der Zunge oder im Rachen brennen wird, verrät die Scoville-Skala: 0 SHU entspricht einer normalen Paprika, hier brennt also gar nichts. Eine klassische Habanero liegt bei 350 000 SHU. Und die schärfsten Züchtungen übertreffen sogar die Zwei-Millionen-Marke – das sind Werte, ab denen der Spaß aufhört, jedenfalls für den Esser. Doch die einfache Gleichung »mehr SHU = mehr scharf« geht anscheinend nicht immer auf. Womöglich gelingt es künftig sogar, chilischarfe Gerichte so abzumildern, dass sie auch für empfindlichere Gaumen am Tisch genießbar werden.

Auf wie viele SHU-Einheiten es eine Sorte bringt, lässt sich chemisch relativ einfach anhand des Gehalts der scharf machenden Substanz Capsaicin und des nah verwandten Dihydrocapsaicins ermitteln. Wie ein dreiköpfiges Forscherteam der Ohio State University um Devin Peterson nun allerdings erklärt, ist die SHU-Skala in Wahrheit, nun ja, unscharf: Im »Journal of Agricultural and Food Chemistry« schildern die Forscher, wie sie Testessern Tomatensaft zum Probieren gaben, der mit unterschiedlichen Chilisorten gewürzt war. Dabei nahmen die Verkoster eine unterschiedliche Schärfe wahr, obwohl alle Proben auf 800 SHU eingestellt waren. Die Schlussfolgerung: Manche Chilis waren erkennbar milder, als ihr SHU-Wert erwarten ließ.

In allen zehn getesteten Chilisorten gingen die Wissenschaftler auf Erklärungssuche. Am Ende ermittelten sie drei Substanzen, die den Schärfeeindruck einer Chili verändern: Capsianosid I, Gingerglycolipid A und Roseosid. Folgetests bestätigten, dass man durch gezielte Zugabe dieser – für sich genommen geschmacklosen – Substanzen auch künstlich den Schärfeeindruck reduzieren kann.

Die Erkenntnisse könnten deshalb eventuell in der Entwicklung eines »Anti-Gewürzes« münden, überlegt Peterson in einer Pressemitteilung: ein haushaltstaugliches Mittel, mit dem je nach Geschmacksvorlieben zu scharf geratene Gerichte abgemildert werden könnten. Vielleicht hilft das Wissen um die drei Entschärfer auch bei der Züchtung von neuen Sorten mit noch variantenreicheren Schärfeprofilen.

Und nicht zuletzt könnte ein medizinischer Nutzen hinter der Forschung stecken. Die Schärfe einer Chili rührt daher, dass das enthaltene Capsaicin an Schmerzrezeptoren andockt. Wenn die drei ermittelten Inhaltsstoffe, wie sich nun zeigte, die Schmerzwahrnehmung abmildern können, steckt in ihnen möglicherweise auch Potenzial für die Entwicklung von Schmerzmitteln – ganz unabhängig von der Gastronomie, erklärt Peterson in der Mitteilung.

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