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News: Chinesische Botschaft

Vor 5000 Jahren entwickelte sich in Mesopotamien eines der grundlegendsten Kulturgüter der Menschheit: die Schrift. Doch jetzt zweifeln Forscher diese gängige Theorie an. Sie vermuten den Ursprung symbolischer Schrift in China.
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"Am Anfang war das Wort" – zumindest bei der Schrift. Denn bevor sich unsere heutigen 26 Buchstaben durchsetzten, wurde Wichtiges oder auch weniger Wichtiges in Bildern fixiert, die jeweils einzelne Wörter darstellten. Aus solchen Bilderschriften entwickelten dann die Sumerer in Mesopotamien um 3000 vor Christus die erste symbolische Schrift. Damit konnten schriftliche Aufzeichnungen – sei es die Lutherbibel, der letzte Einkaufszettel oder auch dieser Text – für die Nachwelt festgehalten werden.

Grundsätzlich möchte Garman Harbottle diese Kulturleistung Mesopotamiens nicht anzweifeln. Doch der Chemiker und Experte für Radiokarbondatierungen vom Brookhaven National Laboratory in New York glaubt, Schriftzeichen gefunden zu haben, die fast 3000 Jahre älter sind als die Aufzeichnungen der alten Sumerer.

Das Schriftgut, das er zusammen mit einem chinesischen Archäologenteam entdeckt hat, stammt aus Jiahu in der Provinz Henan im westlichen China. Die hier freigelegten 24 Gräber aus dem Neolithikum hatten sich schon als wahre Fundgrube für die Archäologen bewährt: Harbottle hatte hier bereits eine fast 9000 Jahre alte Flöte zutage gefördert – das älteste funktionierende Musikinstrument der Welt.

Aus der gleichen Periode stammen Überreste von Schildkrötenpanzern, deren Radiokarbondatierung ein Alter von 8600 bis 8200 Jahren ergab. Und auf diesen Panzern befanden sich rätselhafte Zeichen, die den Forschern allerdings bekannt vorkamen: Denn in der chinesischen Shang-Dynastie war es üblich, Schildkrötenpanzer mit eingravierten Schriftzeichen ins Feuer zu werfen, um aus den entstehenden Rissen Vorhersagen für das kommende Jagd- und Kriegsglück abzuleiten. Die magischen Symbole der Shang-Zeit gelten damit als Ursprung der chinesischen Schrift.

Ähnliche Gravuren wie aus der Shang-Zeit meint Harbottle auf den jetzigen Fundstücken wiederzufinden: Elf unterschiedliche Zeichen deutet er als Symbole für Wörter wie "Auge" oder "Fenster" sowie für die Zahlen 1, 2, 8, 10 und 20.

Dabei ergibt sich allerdings ein Problem: Die Shang-Dynastie wird auf die Zeit vom 16. bis 11. Jahrhundert vor Christus datiert – und ist damit 5000 Jahre jünger als die Periode, in der die Bewohner von Jiahu ihre Schildkrötenpanzer mit ins Grab nahmen.

Angesichts dieser 5000 Jahre alten Lücke bleiben andere Forscher entsprechend skeptisch. "Spekulationen, die lediglich auf grafischer Ähnlichkeit beruhen, sind über einen solch großen Zeitraum so gut wie bedeutungslos", meint beispielsweise der China-Experte William Boltz von der University of Washington. "Ohne einen Zusammenhang, der auch die Kenntnis der verwendeten Sprache mit einschließt, ist es unmöglich, irgendetwas über diese Zeichen zu sagen und sie als Schrift zu deuten."

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