Verschränkung: »Clars Becher« soll 50 Jahre altes Quantenrätsel lösen

50 Jahre lang war »Clars Becher«, in dem zwei Elektronen eine mysteriöse Quantenverbindung eingehen, ein rein theoretisches Konstrukt. Nun haben Fachleute aus Hongkong und Singapur das extrem instabile Molekül erstmals mit konventionellen chemischen Methoden hergestellt. In der hantelförmigen Verbindung aus elf Kohlenstoffringen sind zwei weit voneinander entfernte Elektronen quantenverschränkt und verhalten sich, als wären sie ein Elektronenpaar in einer Bindung. Dank der jetzt in der Fachzeitschrift »Nature Chemistry« beschriebenen Technik können Fachleute das seltsame Phänomen nun gründlich untersuchen. Die Arbeitsgruppe um Jishan Wu von der National University of Singapore hofft, dass die Erkenntnisse Fortschritte bei Quantencomputern bringen.
Der deutsche Chemiker Erich Julius Clar sagte 1972 die Existenz und die besonderen Eigenschaften dieser Struktur voraus. Das Molekül ist ein Aromat, in dem bestimmte Bindungselektronen eine über das ganze Gebilde verteilte Riesenbindung ausbilden. Normalerweise besteht diese aus abwechselnden Doppel- und Einfachbindungen. Doch in Clars Becher gibt es keine Möglichkeit, Doppel- und Einfachbindungen abwechselnd anzuordnen – man bezeichnet solche Moleküle als topologisch frustriert. Das führt dazu, dass zwei Elektronen einzeln bleiben: Clars Becher ist ein doppeltes Radikal mit je einem sehr reaktiven ungepaarten Elektron in jeder Hälfte.
Diese reaktiven Radikale sorgen dafür, dass die Verbindung extrem schwer herzustellen ist. Erst 2019 gelang es einem Team aus Dresden und Bern, einzelne Moleküle von Clars Becher im Hochvakuum anzufertigen und zu untersuchen. Das Team um Wu stellt nun ein Verfahren vor, um die Struktur in großen Mengen chemisch im Labor zu erhalten. Die Fachleute produzierten dazu – zuerst rein zufällig, wie sie betonen – ein Zwischenprodukt mit der korrekten Anordnung der Sechsringe, aber ohne Radikale. Anschließend erzeugten sie das Doppel-Radikal durch eine weitere chemische Reaktion. Stabil bleibt das Konstrukt, weil große, an den Seiten angebrachte Molekülteile unerwünschte Reaktionen verhindern.
Die beiden Radikal-Elektronen sind einerseits weit voneinander entfernt, andererseits Teil der gemeinsamen aromatischen Bindung. Dadurch sind ihre Spins, also die Quantenäquivalente des Drehmoments, gekoppelt: Sie zeigen immer in entgegengesetzte Richtungen. Das macht das Molekül nicht nur magnetisch, was für organische Moleküle sehr ungewöhnlich ist, sondern könnte zum Beispiel auch als logisches NOT-Gatter in der Spintronik dienen. Das wandelt einen Eingangswert in sein Gegenteil um und ist eines jener fundamentalen Bauelemente, mit denen Computer Berechnungen durchführen.
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