Direkt zum Inhalt

CO2-Abscheidung: Unterirdische Kohlenstoffspeicher frühestens in zehn Jahren

Die Bundesregierung will das Speichern von Kohlendioxid unter der Erde erlauben. Doch die Technik ist teuer und sie verbraucht viel Energie. Zunächst wird Deutschland das Treibhausgas zudem exportieren müssen.
Luftaufnahme der Zementfabrik im industriellen Produktionsbereich. Rauch kommt aus dem Schornstein.
In Zementfabriken entsteht viel Kohlendioxid. Mittels CCS-Technik könnte es abgeschieden werden.

Deutschland und Europa sollen klimaneutral werden – doch in der Industrie gibt es Prozesse, die zwangsläufig CO2 ausstoßen. Dazu gehören Zementwerke oder die Müllverbrennung. Deswegen will die Bundesregierung nun den Weg frei machen, damit Unternehmen ihre schwer vermeidbaren CO2-Emissionen aus ihren Prozessen abscheiden und im tiefen Untergrund speichern lassen können. Dieses Carbon Capture and Storage genannte Verfahren, kurz CCS, soll dann für kommerzielle Anbieter geöffnet werden. Die notwendigen Änderungen im so genannten Kohlendioxid-Speicherungsgesetz will das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie in den nächsten Tagen im Kabinett beschließen lassen.

Danach könnten Unternehmen abgeschiedenes CO2 entweder exportieren oder im Boden unter der Nordsee speichern. Zusätzlich soll voraussichtlich die Möglichkeit geschaffen werden, dass Bundesländer das Gas auch onshore, also an Land speichern lassen können. Bedarf für die Speicher ist jedenfalls da. Allein die Zement- und Kalkindustrie sowie die Müllverbrennung verursachen jährlich 50 Megatonnen CO2 – und werden das, möglicherweise in geringerem Maß, absehbar auch in Zukunft tun.

Die Technik für die CO2 -Abscheidung steht grundsätzlich bereit. »Die einzelnen Verfahren für Abscheidung, Transport und Speicherung von CO2 sind aus heutiger Sicht technisch erprobt«, sagt Peter Viebahn vom Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie gegenüber dem Science Media Center (SMC). Abscheideraten von typischerweise 90 Prozent bei Kraftwerken und 95 Prozent bei Zementwerken oder der Abfallverbrennung seien möglich. Franziska Holz vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) weist jedoch darauf hin, dass dies nur unter optimalen Bedingungen passiere. »Je nach Industrieprozess und Abscheidetechnologie liegen viele Schätzungen mit Abscheideraten zwischen 70 Prozent und 90 Prozent noch deutlich niedriger – dann würden also weiterhin 10 bis 30 Prozent des CO2 emittiert.«

Dazu kommen die hohen Kosten des Verfahrens. »Schätzungen liegen zwischen 150 und 250 Euro pro Tonne für die ganze Kette«, sagt Klaus Wallmann vom Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel (GEOMAR).

Wilfried Rickels vom Institut für Weltwirtschaft (IfW) geht von etwas niedrigeren Kosten aus. Er rechnet mit etwa 49 Euro pro Tonne für die organisch-chemische Industrie über 83 Euro für die Stahlindustrie bis zu etwa 109 Euro für die Zementindustrie. Er weist jedoch darauf hin, dass es sich hier um tendenziell zu niedrige Kostenschätzungen handelt. In den Zahlen sei noch nicht berücksichtigt, dass es sich bei den Speicherkapazitäten voraussichtlich um ein sehr knappes Gut handeln dürfte.

CO2-Speicher frühestens in zehn Jahren

Zwar verfügt Deutschland prinzipiell über genügend Speicherkapazität. Allein in der deutschen Nordsee könnten etwa 0,9 bis 5,5 Gigatonnen von dem Gas untergebracht werden. Wie viel davon nutzbar sein wird, ist jedoch noch nicht sicher. Die Flächen sind nämlich bereits komplett verplant – für Windparks, Schifffahrtsrouten oder für militärische Zwecke. Flächen müssten also mehrfach genutzt werden. »Der größte Bottleneck ist, dass noch gar keine Speicherstätten erkundet wurden«, schätzt Klaus Wallmann vom GEOMAR. »Und die Erkundung wird sehr teuer und zeitaufwändig.« Erkundungsbohrungen und Analysen darüber, ob der Boden dicht und sicher ist, dauerten viele Jahre und kosteten mehr als 100 Millionen Euro – je Standort. Frühestens in zehn Jahren rechnet er mit einem ersten Speicherprojekt in Deutschland. Das deckt sich mit Peter Viebahns Einschätzung: »Der erste deutsche CO2-Speicher dürfte frühestens 2036 einsatzbereit sein.«

Damit die Energiewirtschaft und die Industrie aber bis 2040 de facto klimaneutral sein können, besteht schon früher Handlungsdruck. Verschärft wird das dadurch, dass der Preis für CO2-Zertifikate steigt und CCS trotz der hohen Kosten dann wirtschaftlich attraktiv wird. »Industrieunternehmen müssen spätestens in den frühen 2030er Jahren mit Investitionen in die Transformation beginnen, damit diese bis 2040 umgesetzt werden können.«

Andere Länder sind schon weiter

Und somit könnte zunächst der Export von abgeschiedenem CO2 an Fahrt aufnehmen, bevor heimische Speicher bereitstehen. Andere europäische Länder sind nämlich schon weiter als Deutschland. Die ersten Speicherprojekte in Dänemark, Norwegen und den Niederlanden sollen bis 2026 starten. Ihre Kapazität von 4,4 Megatonnen pro Jahr ist laut Viebahn allerdings bereits vollständig vergeben. Doch das ist auch erst der Anfang: Bis 2030 planen Speicherbetreiber in Europa inklusive Norwegen mit einer Kapazität von rund 80 bis 100 Megatonnen pro Jahr.

»Der Export von CO2 könnte optimistisch gerechnet schon 2030 starten: Pipelines könnten das CO2 an die Küste bringen, von dort könnten es Schiffe nach Norwegen, Dänemark, Großbritannien und in die Niederlande bringen«, so Klaus Wallmann. Das wäre allerdings noch eine vergleichsweise teure Lösung. Bei großen Mengen an CO2 wäre der Export per Pipeline gegenüber dem Schiff um etwa ein Viertel günstiger. Allerdings existiert ein solches CO2-Pipelinenetz weder in Deutschland noch in Europa. Daran wird ein in Deutschland geplantes »Startnetz« zunächst auch nicht viel ändern.

Kritik an CCS bei Gaskraftwerken

Kontrovers diskutiert wird derweil außerdem, welche Sektoren ihr CO2 verpressen dürfen. Dass Kalk- und Baustoffindustrie dazugehören sollten, darüber herrscht unter Expertinnen und Experten Einigkeit. Ebenso die Müllverbrennung, über die sogar Negativemissionen möglich wären, wenn der verbrannte Müll biogenen Ursprungs ist. Schwieriger ist die Lage bei fossilen Kraftwerken, die zweifellos zu den großen Emittenten gehören.

Die Debatte um den Einsatz von CCS an Gaskraftwerken hält Klaus Wallmann für eine ideologische. Die von der Bundesregierung geplanten Gaskraftwerke seien nämlich nicht für Dauerbetrieb vorgesehen, sondern für Zeiten von Stromknappheit. Das mache den Einsatz von CCS deutlich teurer. Ähnlich verhält es sich für Kohlekraftwerke. »Da CCS sehr energieintensiv ist, müsste ein Kohlekraftwerk dann konstant 20 bis 30 Prozent mehr Kohle verbrennen. Damit würde die Abhängigkeit von fossilen Energieträgern eher noch verschärft. Ich gehe stark davon aus, das CCS dort nicht eingesetzt wird.«

Problematisch wäre das auch angesichts der zunächst voraussichtlich knappen Speicherkapazitäten, wie Peter Viebahn erläutert. Prozesse mit schwer oder leicht vermeidbaren Emissionen würden dann Prozessen mit unvermeidbaren Emissionen den raren Speicherplatz wegnehmen. »Dies könnte dazu führen, dass Zement- und Kalkwerke sowie Müllverbrennungsanlagen in Deutschland ab dem Jahr 2040 schließen müssen.«

WEITERLESEN MIT »SPEKTRUM +«

Im Abo erhalten Sie exklusiven Zugang zu allen Premiumartikeln von »spektrum.de« sowie »Spektrum - Die Woche« als PDF- und App-Ausgabe. Testen Sie 30 Tage uneingeschränkten Zugang zu »Spektrum+« gratis:

Jetzt testen

(Sie müssen Javascript erlauben, um nach der Anmeldung auf diesen Artikel zugreifen zu können)

Schreiben Sie uns!

Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.

Partnerinhalte

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.