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News: Computergesteuerte Chemie

Das Verständnis spontaner Strukturbildung, wie sie in vielen natürlichen und technischen Systemen auftritt, ist bisher nur elementar. Jetzt ist es Wissenschaftlern gelungen, lokal, direkt und sehr schnell in eine strukturbildende chemische Reaktion einzugreifen. Mit Hilfe eines fokussierten Lasers konnten sie bestimmte Reaktionsmuster beliebig erzeugen, formen, beschleunigen und leiten. Über eine computergestützte Bildverarbeitung wird eine direkte raum-zeitliche Steuerung chaotisch ablaufender chemischer Reaktionen möglich.
Strukturbildung durch Selbstorganisation tritt in der Natur in vielen Formen auf: von der Bildung von Strudeln in Flüssigkeiten über Wirbelstürme bis hin zur Spiralbildung in Galaxien oder zu Mustern, die bei chemischen Reaktionen in so genannten Reaktions-Diffusions-Systemen entstehen. Solche Muster treten in chemischen Systemen dann auf, wenn diese sich fern des Gleichgewichts befinden. Das wird dadurch erreicht, dass der Reaktion ständig Reaktionsprodukte entnommen und Ausgangsstoffe zugeführt werden.

Wissenschaftlern am Fritz-Haber-Institut ist es nun gelungen, eine solche chemische Strukturbildung bei der katalytischen Oxidation von Kohlenmonoxid gezielt zu beeinflussen. Bei dieser Reaktion haften Sauerstoff und Kohlenmonoxid (CO) zunächst auf einer katalytischen Platin-Einkristalloberfläche. Die auf der Oberfläche beweglichen CO-Moleküle reagieren jeweils mit einem Sauerstoffatom zu Kohlendioxid, das die Oberfläche sogleich wieder verlässt. Dabei bilden sich selbstorganisierte Muster aus mikroskopisch kleinen dunklen und hellen Bereichen, die jeweils entweder von Sauerstoff oder von Kohlenmonoxid bedeckt sind.

Um diese Muster lokal zu beeinflussen, haben die Forscher um Gerhard Ertl zusammen mit Ioannis Kevrekidis von der Princeton University eine Apparatur gebaut, mit deren Hilfe das Licht eines Lasers auf einen beliebigen Punkt der Platinoberfläche fokussiert werden kann. Der fokussierte Punkt erwärmte sich kurzzeitig, so dass sich auch die Bedingungen für die Musterbildung an dieser Stelle veränderten. Mit zwei computerkontrollierten Spiegeln konnten die Wissenschaftler den Brennpunkt des Lasers beliebig auf der Oberfläche hin und her bewegen – und damit in die chemische Reaktion hinein "schreiben".

Dieses "Schreiben" in eine chemische Oberflächenreaktion hatte verschiedene Auswirkungen: Es entstanden neue Muster, die an eine Bugwelle eines fahrenden Schiffes erinnerten. Bestehende Muster konnten die Forscher nicht nur löschen, sie konnten auch ihre Ausbreitungsrichtung vorgeben oder andere Richtungen blockieren.

Mit einem computergestützten Bildverarbeitungssystem gelang es den Wissenschaftlern durch Rückkopplung, dieses Reaktionssystem zu einem völlig neuen Verhalten zu zwingen. Während die Reaktion zwischen Kohlenmonoxid und Sauerstoff homogen zwischen den Kohlenmonoxid-bedeckten und Sauerstoff-bedeckten Zuständen oszillierte, fokussierten sie den Laserstrahl auf der Katalysatoroberfläche in schneller Abfolge auf die vier Ecken eines Quadrates. Verblieb der Laser gleich lang an jedem Eckpunkt, blieben die Oszillationen weiterhin regelmäßig. Maßen sie nun die Helligkeit der Reaktion in vier beliebig gewählten Bereichen gleichzeitig und verknüpften sie mathematisch mit der konkreten Verweildauer des Lasers auf jedem Quadrateckpunkt, so entstanden vollständig andere Muster.

Am Beispiel dieser relativ einfachen Reaktion zwischen Kohlenmonoxid und Sauerstoff haben die Forscher gezeigt, dass es möglich ist, eine chemische Reaktion direkt mit einem Computer zu koppeln und zu steuern. Diese Rückkopplung in die chemische Reaktion wirkt schnell und direkt. Sie kann an mehreren Stellen erfolgen und ist nicht an die Positionen gebunden, an denen die einzelnen Messungen durchgeführt werden.

Damit werden sogenannte "Hybrid-Systeme" möglich, in denen ein auf dem Computer laufendes Programm über eine Schnittstelle mit einer chemischen Reaktion gekoppelt wird. Die Schnittstelle in die eine Richtung ist der Laser, in die andere Richtung das bildgebende Verfahren. Die Wissenschaftler sehen darin völlig neue Wege, um chemische Prozesse zu kontrollieren. Auch bestimmte Ziele, wie eine höhere Reaktionsrate oder der selektiven Anreicherung eines bestimmten Produktes, ließen sich damit erreichen.

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  • Quellen
Science 294(5540): 134–137 (2001)

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