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Überraschender Kollaps: Eisschelf in der Ostantarktis zerfällt

Die Ostantarktis schien bisher dem Klimawandel zu trotzen. Doch 2022 häufen sich die Warnzeichen auch dort. Während einer Hitzewelle brach dort nun ein Eisschelf zusammen.
Nansen-Eisschelf

In der Ostantarktis, die vom Klimawandel als vergleichsweise wenig betroffen gilt, ist ein Eisschelf von etwa der halben Größe des Saarlandes zerfallen. Satellitenbilder zeigen, dass das zwischen dem Festland und der knapp 50 Kilometer entfernten Bowman-Insel verankerte Conger-Eisschelf etwa um den 15. März herum auseinanderbrach. Die Eisplattform lag in einer Region, die nahezu gleichzeitig von einer extremen Hitzewelle betroffen war, bei der die Temperaturen bis zu 30 Grad Celsius höher lagen als für die Jahreszeit normal. Mit lediglich 1200 Quadratkilometer Fläche war das Eisschelf recht klein, sein Verlust ist jedoch der bedeutendste Kollaps einer solchen Eisplattform seit dem Zusammenbruch des Larsen-B-Schelfeises im Jahr 2002.

Welche Rolle die extrem hohen Temperaturen im März 2022 für den Kollaps der Eisplattform spielen, ist noch unklar. Als dieTemperaturrekorde auf der Eiskappe des Südkontinents Schlagzeilen machten, war das Conger-Eisschelf schon verschwunden. Es ist zwar plausibel, dass die von Australien heranströmende Warmluft und die dadurch ausgelöste Schmelze an der Oberfläche der letzte Auslöser war, aber das Ende des Eisschelfs hatte sich schon in den Monaten zuvor angekündigt: Zwischen Januar und März 2022 hatte es bereits die Hälfte seiner Fläche verloren.

Möglicherweise hängt der rapide Eisverlust mit den Bedingungen zusammen, die das Meereis um den Südkontinent im Februar 2022 auf die geringste jemals beobachtete Ausdehnung schrumpfen ließen. Sowohl der große Verlust an Meereis – der zweite Minusrekord in fünf Jahren – als auch der Kollaps des Conger-Eisschelfs kommen für die Fachwelt unerwartet. Die Ostantarktis hatte sich in den letzten Jahrzehnten durch einen als negativen Treibhauseffekt bezeichneten Mechanismus sogar leicht abgekühlt, und im Gegensatz zur Arktis schrumpfte das Meereis nicht.

Allerdings zeigen Untersuchungen, dass die Ostantarktis in einem wärmeren Klima womöglich weit weniger stabil ist, als es derzeit den Anschein hat. So ergab eine Analyse von 2020, dass das Wilkes-Becken, ein heute mit kilometerdickem Eis gefüllter Trog, in einer Warmphase vor rund 450 000 Jahren entgegen den Erwartungen wohl eisfrei war. Zusätzlich macht der steigende Meeresspiegel sowie wärmeres Wasser an den Küsten der Antarktis die Ränder der Eiskappe weniger stabil, so dass sich der Eisverlust auch in der Ostantarktis beschleunigen könnte.

Schwimmende Eisplattformen wie das Conger-Eisschelf blockieren die von der Eiskappe herabströmenden Gletscher. Ihr Verlust lässt langfristig mehr Eis vom Kontinent ins Meer fließen. Viele Gletscher der Ostantarktis werden von vergleichbaren Eisschelfen gebremst. Bisher ist unbekannt, ob diese Plattformen ebenfalls von den Prozessen geschwächt werden, die das Conger-Eisschelf zusammenbrechen ließen. Ein großflächiger Zerfall des schwimmenden Eises vor der Ostantarktis hat potenziell dramatische Folgen, weil dadurch der Eisverlust zunehmen und der Meeresspiegel schneller steigen könnte. Die Ostantarktis enthält den größten Teil des gefrorenen Wassers auf dem Planeten, so dass auch eine kleine Veränderung der Eisbilanz erhebliche Folgen weltweit haben kann.

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