Klimakonferenz COP30: Geopolitik überschattet Klimapolitik

Es gibt sie noch, die guten Nachrichten zum Klimaschutz. In der ersten Jahreshälfte 2025 haben erneuerbare Energien weltweit 34 Prozent der Elektrizität geliefert und damit erstmals die Kohle überholt, den bisher wichtigsten Brennstoff des Industriezeitalters. Neue Solarmodule und Windkraftanlagen konnten den weltweiten Zuwachs des Stromverbrauchs komplett decken. Vor allem China und Indien treiben den Umbruch voran. In Deutschland stieg der Anteil der Erneuerbaren im bisherigen Jahresverlauf sogar auf 63,5 Prozent, was ebenfalls ein neuer Rekord ist.
Im Amazonasbecken ist die Entwaldung im vierten Jahr in Folge deutlich zurückgegangen, wie das Nationale Institut für Weltraumforschung (Inpe) Brasiliens Ende Oktober mitteilte. Zwischen Mitte 2024 und Mitte 2025 zerstörten Holzfäller eine zusammengenommen 76 mal 76 Kilometer große Waldfläche. Das ist der niedrigste Wert seit 2014. Die Regierung von Präsident Lula sieht sich auf einem guten Weg, ihr Ziel zu erreichen, dass 2030 gar kein amazonischer Regenwald mehr abgeholzt wird.
Gute Nachrichten für den Klimaschutz gibt es auch bei den Finanzen: Die 35 Staaten und fünf großen öffentlichen Geldinstitute, die sich beim UN-Klimagipfel 2021 in Glasgow verpflichtet haben, ihre Förderzahlungen für fossile Energie zu reduzieren, setzen dies auch um. »Es wird nicht nur geredet, es wird auch gehandelt«, sagt Pieter de Pous vom Klima-Thinktank E3G. Um bis zu 78 Prozent seien diese Zahlungen seither zurückgegangenen, meldete das International Institute for Sustainable Development Ende September.
Doch wenn sich nun in der Amazonasstadt Belém zehntausende Vertreter von Staaten, indigenen Gruppen, NGOs und Wirtschaft zum 30. Klimagipfel der Vereinten Nationen treffen, steht eine bittere Erkenntnis im Vordergrund: Noch ist die Menschheit weit davon entfernt, einen gefährlichen Klimawandel, vor dem Wissenschaftler seit Jahrzehnten eindringlich warnen, abzuwenden.
Planlos am Amazonas
Das Gastgeberland Brasilien spricht zwar von einer »Klimakonferenz der Taten«. Doch nur 61 Staaten legten fristgerecht zur COP30 neue Klimaschutzpläne vor. Die EU als bisheriger Vorreiter im internationalen Klimaschutz stand bis kurz vor knapp mit leeren Händen da. Erst am Mittwoch konnten sich die Umweltminister der 27 Staaten auf ein neues Ziel einigen, das sie nach Belém mitnehmen werden: Die Emissionen sollen bis 2035 in einem Korridor von minus 66,25 bis 72,5 Prozent sinken im Vergleich zu 1990 und dann bis 2040 um 90 Prozent.
»Es wird nicht nur geredet, es wird auch gehandelt«Pieter de Pous, Klima-Thinktank E3G
Das deutsche Umweltministerium hatte die Untergrenze von minus 66 Prozent für 2035 vor der Sitzung noch als absolut unzureichend bewertet. Im Anschluss an die Sitzung in der Nacht auf Mittwoch zeigte sich Bundesumweltminister Carsten Schneider aber erleichtert, dass trotz Widerständen vor allem aus Polen, Ungarn und Tschechien überhaupt eine Einigung zustande kam.
Im weltweiten Vergleich steht die EU immer noch als ambitioniert da. Die USA als einer der wichtigsten Verursacher von Emissionen werden zum 1. Januar 2026 aus dem Klimaschutzvertrag von Paris aussteigen. Das von dem Rechtspopulisten Javier Milei geführte Argentinien lässt bis zuletzt offen, ob es am Gipfel im Nachbarland teilnehmen wird. Und der russische Präsident Vladimir Putin unterzeichnete Anfang August ein Dekret, das es dem an fossilen Brennstoffen reichen Land erlaubt, seine CO2-Emissionen bis 2035 im Vergleich zu 2021 um rund ein Fünftel zu steigern.
»Wir haben eine sehr schlechte Großwetterlage«, sagte Susanne Dröge, Vorstand im Deutschen Klima-Konsortium, einem Zusammenschluss von Hochschulen und Forschungsinstituten, am Dienstag bei einem Briefing des Auswärtigen Amts zur COP30 in Berlin. Der Klimaschutz sei »auf allen Ebenen unter Beschuss«, von der Forschung bis zur Umsetzung.
Als vor 30 Jahren knapp 200 Staaten in Berlin zum allerersten Weltklimagipfel, der COP1, zusammenkamen, lag die CO2-Konzentration in der Atmosphäre bei 361 Teilen pro Million (ppm) und damit bereits 76 ppm über dem Wert von 1850. Vor zehn Jahren, als die Staaten sich in Paris nach langwierigen Verhandlungen erstmals auf verbindliche Ziele für alle einigten, war der CO2-Gehalt bereits auf 399 ppm gestiegen. Bis 2024 sei der Wert seither auf 423 ppm hochgeschnellt, teilte die Weltorganisation für Meteorologie Mitte Oktober mit – und warnte, dass sich der jährliche Zuwachs beschleunige.
Nur die allerschlimmsten Szenarien werden wohl vermieden
Allenfalls die schlimmsten Zukunftsszenarien konnten seit der Paris-Konferenz eliminiert werden. »2015 sah es noch so aus, dass wir bis 2100 bei einem Plus von 3,5 bis 4 Grad Celsius landen werden«, sagte Niklas Höhne, Leiter des New Climate Institute in Köln, bei der Konferenz im Außenministerium. Mit einem derart gewaltigen Klimawandel hätte die Menschheit überhaupt nicht umgehen können, urteilte der Professor für Klimaschutz an der Universität Wageningen in den Niederlanden. Nun sei, wenn alle Klimaschutzversprechen umgesetzt würden, bis zum Ende des Jahrhunderts eine Erwärmung zwischen zwei und drei Grad zu erwarten. »Das ist aber immer noch ein katastrophaler Klimawandel«, warnte Höhne.
Der frisch veröffentlichte jährliche »Lücken-Report« des Umweltprogramms der Vereinten Nationen zeigt ebenfalls, wie weit die Menschheit noch von dem Ziel des Klimavertrags von Paris entfernt ist, die Erderwärmung möglichst unter 1,5 Grad Celsius zu halten und auf keinen Fall zwei Grad Erwärmung im Vergleich zur Zeit vor Beginn der industriellen Zeit zu überschreiten. Wenn alle bisherigen Zusagen der 200 Vertragsstaaten vollständig umgesetzt würden, sei mit einer Erwärmung um 2,3 bis 2,5 Grad zu rechnen, bei einem Weiter-so-wie-heute mit 2,8 Grad, teilte UNEP mit.
Zum Vergleich: Auf dem Höhepunkt der letzten Eiszeit, als sich auch in Deutschland Gletscher hunderte Meter hoch auftürmten, lag die weltweite Durchschnittstemperatur zwischen 4,5 und 6,8 Grad niedriger als vor Beginn der Industrialisierung. Ob kälter oder wärmer, eine Erwärmung um 2,8 Grad stellt eine dramatische Veränderung des Erdklimas dar. 2024 war es auf der Erde erstmals ganzjährig um 1,5 Grad wärmer als am Beginn der Industrialisierung. Der bereits in Form von Wassermangel, Wetterextremen, schmelzenden Gletschern und steigendem Meeresspiegel spürbare Klimawandel ist demnach nur ein Vorgeschmack.
»Wir haben eine sehr schlechte Großwetterlage«Susanne Dröge, Deutsches Klima-Konsortium
Eine entscheidende Frage in Belém wird sein, ob die Staaten angesichts der Warnungen aus der Wissenschaft zusammenrücken und ihre Zusammenarbeit intensivieren oder ob es den USA gelingt, einen Spaltkeil in die UN-Klimapolitik zu treiben. Während Trump auf nationalen Egoismus setzt und die Erkenntnisse der Klimaforschung leugnet und lächerlich macht, setzt Außenminister Johann Wadephul für Deutschland einen Kontrapunkt: Der Klimawandel sei die »größte globale Herausforderung unserer Zeit« und die multilaterale Zusammenarbeit die beste Antwort darauf, sagte er bei der Konferenz in seinem Ministerium.
Interessant wird bei der COP30, ob China als wichtigster CO2-Emittent sich von den Absetzbewegungen der USA anstecken lässt – oder im Gegenteil das klimapolitische Vakuum zu seinen Gunsten auszunutzen versucht. Unter Präsident Donald Trump haben die USA bereits internationale Verhandlungen über die Reduktion von Plastik und über den Weg zu einer klimaneutralen Schifffahrt mit Erfolg torpediert. Klimapolitikforscher Höhne sieht es deshalb als positiv, dass die USA keine Delegation mit hochrangigen Vertretern nach Belém entsenden wird: Dann können Trump-Vertreter das Treffen nicht aktiv sabotieren.
Umstrittener Fonds für den Waldschutz
China versucht sich bisher im Kontrast zu den USA als verläßliche Großmacht zu profilieren. Im Vorfeld der COP30 erklärte Präsident Xi Jinping, sein Land wolle die CO2-Emissionen bis 2035 vom bisherigen Spitzenwert aus um sieben bis zehn Prozent reduzieren. Das ist zwar weniger, als Experten für nötig erachten, würde jedoch nach Jahrzehnten des steilen Anstiegs erstmals überhaupt einen Rückgang bedeuten. China hat allein in den ersten sechs Monaten dieses Jahres 212 Gigawatt Solarkapazität installiert und damit doppelt so viel wie Deutschland seit Beginn der Energiewende. Allerdings baut das Land auch seine Kapazitäten für Strom aus Kohle massiv aus. Dennoch wird angestrebt, Klimaneutralität schon vor dem offiziellen Zieljahr 2060 zu erreichen.
Neben der Debatte darüber, wie groß die Lücke zu den Zielen des Paris-Vertrags noch ist und wie sie durch neue Verpflichtungen kleiner werden kann, will das Gastgeberland Brasilien drei weitere inhaltliche Schwerpunkte setzen, kündigte der Botschafter des Landes in Deutschland, Rodrigo Baena Soares, am Dienstag an: einen neuen Finanzierungsmechanismus für den Schutz von Tropenwäldern, eine Initiative, den Einsatz sogenannter Biokraftstoffe aus Pflanzen bis 2035 zu vervierfachen, und eine Deklaration, wie verhindert werden kann, dass der Klimawandel die Zahl von Armut betroffener Menschen noch vergrößert.
Die »Tropical Forest Forever Facility«, wie der TFFF abgekürzte Finanzierungsmechanismus heißt, ist das Prestigeprojekte der Regierung Lula für die Klimakonferenz im Amazonas. Es handle sich um einen »sehr kreativen, sehr innovativen und sehr durchdachten« Mechanismus, sagt Botschafter Soares.
Angestrebte 25 Milliarden Dollar Einzahlungen von Regierungen sollen als Sicherheit benutzt werden, damit private Kapitalgeber mit einem Vielfachen dieser Summe in den Fonds einsteigen. Projekte zum Schutz des Regenwalds sollen aus den jährlichen Renditen bezahlt werden. 20 Prozent des Budgets sollen an indigene Gruppen fließen, die auf ihren Territorien den Regenwald bewahren.
Während die brasilianische Regierung behauptet, mit dem TFFF ein Mittel gegen schrumpfende Hilfszahlungen westliche Industrieländern parat zu haben und die Privatwirtschaft für den Regenwald mobilisieren zu können, wenden Kritiker ein, dass die eingeplanten Renditen alles andere als sicher sind. Die britische Regierung erteilte dem Fonds bereits eine Absage. Bundeskanzler Friedrich Merz kündigte dagegen bei seiner Rede am Freitag in Belém an, Deutschland werde den Waldschutzfonds mit einem »namhaften Betrag« unterstützen, um zu seinem Gelingen beizutragen. Die Tropenwälder seien einer der wichtigsten Kohlenstoffspeicher weltweit und Lebensraum für Menschen und unzählige Tiere und Pflanzen. Eine genaue Summe nannte Merz nicht.
Hoffen auf Aufmerksamkeit
Kritischer wird es, wenn weitere Zusagen von Regierungen reicher Länder für direkte Zahlungen an ärmere Länder ausbleiben. Die sogenannte »Baku-to-Belém«-Roadmap sieht vor, dass die Finanzierung von Klimaschutz bis 2035 auf einen jährlichen Betrag von 1,3 Billionen Dollar steigt. Bisher haben sich reiche Länder nur zu einer Summe von 300 Milliarden Dollar jährlich verpflichtet, die zum Beispiel in den Ausbau erneuerbarer Energien in Entwicklungsländern fließen.
Noch fehlt es an Zusagen oder einem Mechanismus, um die erforderlichen Investitionen zu garantieren. Die brasilianische Regierung hofft, dass das internationale Flutlicht, das sich nun auf Belém richtet, Regierungen dazu bringt, entgegen dem Trend zu Kürzungen neue Milliardenhilfen zuzusagen.
Ein weiteres wichtiges Thema auf der COP30 wird die Anpassung an den bereits unvermeidlichen Teil des Klimawandels sein. So müssen zum Beispiel Städte auf den steigenden Meeresspiegel reagieren und sich besser vor Sturmfluten schützen. In anderen Regionen muss die Wasserversorgung auf extreme und lang anhaltende Dürren vorbereitet werden. Vor Beginn der eigentlichen Staatenkonferenz kündigten 33 Städte deshalb bei einer Konferenz von 300 Bürgermeistern in Belém an, ein Bündnis für eine bessere Adaptation zu schließen. Der »Cool Cities Accelerator« soll Städte weltweit dabei unterstützen, das Tempo für die Pflanzung schattenspendender Bäume zu erhöhen, rechtzeitig Hitzewarnungen herauszugeben und ausreichend kühle Schutzräume zu bieten.
Dass Städte sich auf der Konferenz der Staaten so in den Vordergrund rückten, ist kein Zufall. Da die Erfolgsbilanz der Nationalregierungen bisher mau ist, steigern andere ihre Aktivitäten. So reisen aus den USA Vertreter eines Bündnisses von 24 Bundesstaaten an, darunter zahlreiche Gouverneure. Sie wollen zeigen, dass der Klimaschutz in den USA keinesfalls am Ende ist, sondern auf Ebene der Staaten vorangetrieben wird.
Vertreter der weltweit 400 Millionen Indigenen treten in Belém ebenfalls als Advokaten von mehr Klima- und Naturschutz auf. Indigene haben auf der COP30 einen Heimvorteil. Im Amazonas-Regenwald, der sich jenseits der Grenzen der am Atlantik gelegenen Stadt bis in die Anden erstreckt, leben knapp drei Millionen Indigene in 350 Volksgruppen. Ihre Territorien werden von Holzfällern und Bergbaufirmen oft illegal genutzt und ökologisch zerstört. Indigene Gruppen sehen die erste UN-Klimakonferenz im Regenwald deshalb als Chance an, sich Gehör zu verschaffen und Druck auf die Politiker aus weit entfernten Erdregionen zu machen. Ob sie damit Erfolg haben, wird sich am für den 21. November geplanten Ende der COP30 zeigen.
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