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Covid-19-Impfung: Wie lange schützen Chinas Coronaimpfstoffe?

Weltweit wurden Milliarden Menschen mit den chinesischen Impfstoffen CoronaVac und Sinopharm geimpft. Das hat Leben gerettet. Doch nun ist der langfristige Schutz der Mittel fraglich.
Eine Frau wird im Westen der Stadt Caracas, Venezuela, mit dem in China von Sinopharm hergestellten Präparat gegen Covid-19 geimpft.

Mehr als sieben Milliarden Covid-19-Impfdosen wurden weltweit verabreicht. Beinahe die Hälfte davon entfällt auf die chinesischen Impfstoffe CoronaVac und Sinopharm. Sie waren enorm wichtig, um die Pandemie zu bekämpfen, insbesondere in weniger wohlhabenden Ländern. Doch mit der zunehmenden Zahl der Impfungen gibt es neue wissenschaftliche Erkenntnisse: Studien deuten darauf hin, dass die Immunität nach zwei Dosen eines der beiden Impfstoffe schnell abnimmt und der Schutz für ältere Menschen begrenzt ist. Anfang Oktober 2021 hat die Strategische Beratende Expertengruppe für Impfungen (SAGE) der Weltgesundheitsorganisation daher empfohlen, dass Menschen, die älter als 60 Jahre alt sind, eine dritte Dosis desselben oder eines anderen Impfstoffs erhalten sollten, um ausreichend geschützt zu sein.

»Die Empfehlung ist sinnvoll und notwendig«, sagt Manoel Barral-Netto, Immunologe an der Oswaldo Cruz Foundation in Salvador, Brasilien. Eine Reihe von Ländern bietet bereits allen Erwachsenen eine dritte Dosis an. Manche Experten stellen allerdings sogar in Frage, ob Chinas Impfstoffe – die auf inaktivierten Viren basieren – überhaupt noch verwendet werden sollten, wenn es andere Möglichkeiten gibt. Einige verteidigen die Mittel: »Das sind keine schlechten Impfstoffe, sie wurden nur bislang nicht optimiert«, sagt Gagandeep Kang, ein Virologe am Christian Medical College in Vellore, Indien, der SAGE berät.

CoronaVac, hergestellt von dem in Peking ansässigen Unternehmen Sinovac, ist der weltweit am häufigsten verwendete Covid-19-Impfstoff. Nicht weit dahinter liegt der von der staatlichen Firma Sinopharm in Peking entwickelte Impfstoff. Mitte 2021 hatte die Weltgesundheitsorganisation (WHO) die Impfungen für den Notfalleinsatz genehmigt auf der Grundlage erster klinischer Studiendaten, die darauf hindeuteten, dass CoronaVac zu 51 Prozent und Sinopharm zu 79 Prozent symptomatische Erkrankungen verhinderte. Das war vergleichbar mit der Wirksamkeit von 63 Prozent, die für den Vektorimpfstoff AstraZeneca zum Zeitpunkt der WHO-Zulassung angegeben wurde, lag aber unter der 90-prozentigen Wirksamkeit der von Biontech/Pfizer und Moderna entwickelten mRNA-Impfstoffe.

mRNA- und Virusvektor-Impfstoffe wirken gezielter

Bei den beiden chinesischen Impfstoffen handelt es sich um inaktivierte Impfstoffe, bei denen abgetötete Sars-CoV-2-Viren verwendet werden. Das löst eine Immunreaktion gegen viele virale Proteine aus. Im Gegensatz dazu zielen mRNA- und Virusvektor-Impfstoffe auf das Spike-Protein ab, mit dem das Virus in menschliche Zellen eindringt. »Bei inaktivierten Impfstoffen wählt man das Ziel nicht konkret aus, sondern man gibt einfach all diese verschiedenen Antigene hinein«, erklärt Jorge Kalil, Arzt und Immunologe an der Medizinischen Fakultät der Universität von São Paulo, Brasilien.

Etwa 2,4 Milliarden Dosen der chinesischen Impfstoffe wurden in China verabreicht, aber fast eine Milliarde Dosen gingen in 110 andere Länder auf der ganzen Welt. Und nun zeigen sich erste Korrelationen: Zu Beginn des Jahres 2021 gab es in mehreren dieser Länder einen Anstieg der Covid-19-Infektionen – beispielsweise auf den Seychellen und in Indonesien. Inzwischen wurden zahlreiche Studien in Ländern wie Brasilien, Chile und Thailand durchgeführt, um die nachlassende Immunität und den Schutz in verschiedenen Gruppen zu untersuchen.

Wie entwickelt sich die Pandemie? Welche Varianten sind warum Besorgnis erregend? Und wie wirksam sind die verfügbaren Impfstoffe? Mehr zum Thema »Wie das Coronavirus die Welt verändert« finden Sie auf unserer Schwerpunktseite. Die weltweite Berichterstattung von »Scientific American«, »Spektrum der Wissenschaft« und anderen internationalen Ausgaben haben wir zudem auf einer Seite zusammengefasst.

Geringere Antikörperreaktionen

Einige Studien haben ergeben, dass Chinas inaktivierte Impfstoffe im Vergleich zu Impfstoffen, die mit anderen Technologien hergestellt werden, anfänglich geringere Mengen an neutralisierenden oder virusblockierenden Antikörpern erzeugen. Außerdem würden diese mit der Zeit schnell abnehmen, heißt es. Antikörper gelten als Indikator für den Schutz, den eine Impfung bietet.

Eine noch nicht von Fachkollegen begutachtete Studie mit 185 Beschäftigten des Gesundheitswesens in Thailand hat ergeben, dass 60 Prozent einen Monat nach der zweiten Dosis CoronaVac hohe Werte an neutralisierenden Antikörpern aufwiesen, während 86 Prozent derjenigen, die zwei Impfungen mit dem Oxford-AstraZeneca-Impfstoff erhalten hatten, hohe Antikörperwerte hatten. Mitautor Opass Putcharoen, ein Spezialist für Infektionskrankheiten am Thai Red Cross Emerging Infectious Diseases Clinical Center in Bangkok, sagt, das Team habe auch festgestellt, dass drei Monate nach der zweiten CoronaVac-Impfung die Antikörperprävalenz auf nur noch zwölf Prozent gesunken sei

Allerdings sollte man eines bedenken, sagt Ben Cowling, Epidemiologe an der Universität Hongkong: »Das Nachlassen der Antikörper ist nicht unbedingt gleichbedeutend mit dem Nachlassen des Immunschutzes.« Er sagt, dass Impfstoffe komplexe Immunreaktionen auslösen, einschließlich B-Zellen und T-Zellen, die möglicherweise langlebiger sind als neutralisierende Antikörper. So hat eine ebenfalls noch nicht begutachtete Studie aus Hongkong gezeigt, dass CoronaVac einen Monat nach zwei Dosen zwar eine deutlich geringere Antikörperreaktion auslöst als der mRNA-Jab von Biontech/Pfizer, dass aber die T-Zell-Reaktion vergleichbar war.

Weniger Antikörper heißt nicht unbedingt weniger Schutz

In einer dritten, auch noch nicht von Fachkollegen begutachteten Studie an Beschäftigten des Gesundheitswesens in China wurde ebenfalls festgestellt, dass fünf Monate nach zwei Dosen des Sinopharm-Impfstoffs B- und T-Zellen nachgewiesen werden konnten, die für Sars-CoV-2 spezifisch sind. Bislang gibt es aber nur wenige Studien, die den Schutz über einen längeren Zeitraum bewerten. Eine vorläufige Analyse einer Massenimpfkampagne mit CoronaVac in Chile deutet jedoch auf einen geringen, aber signifikanten Rückgang der Wirksamkeit gegen symptomatische Erkrankungen hin. Dennoch sei der Schutz vor schwer wiegenden Verläufen mit Krankenhausaufenthalten weiterhin hoch, betont Eduardo Undurraga, Forscher im Bereich öffentliche Gesundheit an der Päpstlichen Katholischen Universität von Chile in Santiago.

Bei Impfstoffen auf Basis anderer Technologien ist ein ähnlicher Trend zu beobachten: Die Antikörper und der Schutz vor Infektionen nehmen ab, der Schutz vor schweren Erkrankungen und Tod scheint hingegen stabiler. Da die chinesischen inaktivierten Impfstoffe jedoch von einer niedrigeren Basis an neutralisierenden Antikörpern ausgehen, könnte der Schutz, den sie bieten, schneller abnehmen als bei Impfstoffen mit einem größeren Vorsprung, so die Forscher.

Die weniger starke Immunreaktion auf inaktivierte Impfstoffe hat auch Auswirkungen auf den Schutz, den sie älteren Menschen bieten. Das Immunsystem wird mit zunehmendem Alter schwächer, und Impfstoffe sind bei älteren Menschen im Allgemeinen weniger wirksam, sagt Kang, doch scheint dieser Effekt bei inaktivierten Impfstoffen stärker ausgeprägt zu sein. Eine umfangreiche Analyse von etwa einer Million Menschen, die in Brasilien mit Covid-19 ins Krankenhaus eingeliefert wurden, ergab, dass CoronaVac bis zum Alter von 79 Jahren einen Schutz von bis zu 60 Prozent gegen schwere Erkrankungen bietet; also nicht weit entfernt von dem 76-prozentigen Schutz, den der Impfstoff von Oxford/AstraZeneca bietet.

Ältere Menschen profitieren am wenigsten

Doch bei Menschen über 80 Jahren ändert sich das Bild drastisch, sagt Mitautor Daniel Villela, Epidemiologe an der Oswaldo Cruz Foundation in Rio de Janeiro, Brasilien. In dieser Gruppe war CoronaVac nur zu 30 Prozent wirksam bei der Vorbeugung schwerer Erkrankungen und zu 45 Prozent wirksam gegen den Tod, verglichen mit 67 Prozent bzw. 85 Prozent bei der Impfung von Oxford/AstraZeneca.

Untersuchungen von Barral-Netto und seinen Kollegen ergaben, dass CoronaVac nur 33 Prozent der Todesfälle auf Grund von Covid-19 bei Menschen über 90 Jahren verhinderte. Keine der beiden Studien wurde von Fachleuten begutachtet, doch laut Villela haben sie die brasilianische Regierung dazu bewogen, Menschen, die älter als 70 Jahre sind, im August eine dritte Impfung mit einem mRNA- oder Virusvektor-Impfstoff zu verabreichen. Das wurde jetzt auch auf Menschen über 60 Jahre ausgeweitet.

»Es war besser, CoronaVac zu erhalten als gar nichts«
Manoel Barral-Netto, Immunologe

»Es war besser, CoronaVac zu erhalten als gar nichts«, sagt Barral-Netto, »aber jetzt, da es auch andere Impfstoffe in Brasilien gibt, ist es wahrscheinlich nicht sehr klug, die Menschen weiterhin mit diesem Impfstoff zu impfen.« Die brasilianische Regierung habe erklärt, sie werde den Kauf von CoronaVac einstellen. Andere Länder, darunter Chile, Abu Dhabi in den Vereinigten Arabischen Emiraten und China, bieten ebenfalls Auffrischungsimpfungen für Personen an, die mit den Impfstoffen von CoronaVac oder Sinopharm geimpft wurden.

Klinische Studiendaten aus China, die noch nicht begutachtet wurden, deuten darauf hin, dass eine dritte Dosis CoronaVac die neutralisierenden Antikörperspiegel erhöht, und ein ähnlicher Anstieg wurde in Studien mit dritten Dosen des Impfstoffs von Sinopharm beobachtet. Und Anfang Oktober 2021 berichtete die chilenische Regierung über vorläufige Ergebnisse zur Wirksamkeit von Auffrischungsimpfungen, die auf den Daten von etwa zwei Millionen Menschen basieren, die zwei Impfungen mit CoronaVac und eine dritte Impfung mit den Impfstoffen von CoronaVac, Biontech/Pfizer oder Oxford/AstraZeneca erhalten hatten. Der Schutz vor Covid-19 erhöhte sich von 56 Prozent nach zwei Impfungen auf 80 Prozent oder mehr nach einer dritten Impfung mit einem beliebigen Impfstoff, wobei der Schutz vor Krankenhausaufenthalten von 84 Prozent auf 87 Prozent anstieg.

Eine Alternative zu einem Drei-Dosen-Schema könnte sein, nur zwei Dosen zu verabreichen und diese aus verschiedenen Impfstoffen zu kombinieren. Sompong Vongpunsawad, Virologe an der Chulalongkorn-Universität in Bangkok, hat mit seinem Team die Antikörperspiegel bei 54 Personen untersucht, die eine Dosis CoronaVac und eine Dosis Oxford/AstraZeneca erhalten hatten. Die noch nicht begutachteten Ergebnisse deuten darauf hin, dass die Immunantwort ähnlich wie bei zwei Dosen AstraZeneca und höher als bei zwei Dosen CoronaVac war.

»Impfstoff zu mischen war ein Volltreffer: Wir können die Krise der Impfstoffknappheit tatsächlich lösen«
Sompong Vongpunsawad, Virologe

Laut Vongpunsawad ist diese Erkenntnis nützlich, wenn die Dosen einiger Impfstoffe knapp sind. »Es war ein Volltreffer: Wir können die Krise der Impfstoffknappheit tatsächlich lösen«, sagt er. Das Ergebnis habe die thailändische Regierung dazu veranlasst, Mischimpfungen zu empfehlen, sagt er. Eine Studie in China ergab außerdem, dass die Verwendung eines Adenovirus-Vektor-Impfstoffs, der von dem in Tianjin ansässigen Unternehmen CanSino Biologics hergestellt wird, zusätzlich zu einer oder zwei Dosen CoronaVac zu höheren neutralisierenden Antikörperspiegeln führte als zwei Dosen CoronaVac allein.

Es ist noch nicht klar, wie lange dieser Schutz anhält und wie sich diese Antikörperspiegel auf den tatsächlichen Schutz auswirken, aber die Forscher sagen, dass eine solche Mischung sinnvoll ist. »Bei allen Impfstoffen ist die Situation noch in der Entwicklung begriffen«, sagt Kang. »Inaktivierte Impfstoffe sind ein wichtiger Bestandteil unseres Portfolios. Wir müssen also wirklich herausfinden, wie wir sie einsetzen können«.

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