Corona-Mutationen: Neue Namen für das Virus
Während Wissenschaftler immer mehr potenziell besorgniserregende Varianten des Coronavirus Sars-CoV-2 identifizieren, ringen sie um passende Namen. Während eines Treffens der Weltgesundheitsorganisation (WHO) am 12. Januar, das den Coronavirus-Varianten gewidmet war, haben Gesundheitsbeamte und Forscher begonnen, ein neues Benennungssystem auszuarbeiten.
»Alle sind sehr verwirrt von den verschiedenen Variantennamen«, sagte Maria Van Kerkhove, eine Epidemiologin für Infektionskrankheiten und technische Leiterin in Sachen Covid-19 bei der WHO in Genf, auf dem Treffen.
So viel ist klar: Bisher gibt es keinen einheitlichen Ansatz für die Benennung von Abwandlungen des Corona-Virus Sars-CoV-2. Als Ende 2020 in Großbritannien eine sich schnell ausbreitende Variante aufgetaucht ist, nannten die Gesundheitsbehörden sie zunächst »Variant Under Investigation 202012/01« (kurz VUI 202012/01). Nach einer Risikobewertung katalogisierten die Beamten sie dann als »Variant of Concern 202012/01« (oder VOC 202012/01).
Eine Variante, viele Namen
Ein von Forschern entwickeltes Benennungssystem soll hingegen die evolutionären Beziehungen zwischen den Sars-CoV-2-Stämmen aufzeigen. Demzufolge hat die Variante den Namen B.1.1.7. Ein anderes Schema, das dasselbe Ziel verfolgt, listet sie als 20I/501Y.V1. Viele Medien sprechen dagegen bis heute gerne von der »britischen Variante«. In Großbritannien selbst sind einige Zeitungen dazu übergangen, die mutierte Linie als »Kent-Variante« zu bezeichnen. So heißt die Grafschaft im Südosten Englands, in der zuerst eine Häufung der leichter übertragbaren Virusmutation aufgefallen war.
Die Varianten, deren Ursprung Forscher in Südafrika beziehungsweise Brasilien vermuten, haben ähnliche Bezeichnungen erhalten. Für Verwirrung sorgt auch, dass Begriffe wie Variante, Linie und Stamm keine eindeutigen Definitionen haben und oft als Synonyme verwendet werden.
Der Evolutionsbiologe Oliver Pybus von der University of Oxford plädiert daher für ein einfacheres Namenssystem. Wegen der hohen Relevanz für die Öffentlichkeit sehe er »die Notwendigkeit einer einfacheren Benennung jener Varianten, die von Bedeutung sind«, sagt er. Einen entsprechenden Vorschlag hat er gemeinsam mit Kollegen ausgearbeitet.
Nicht nur für Phylogenetik-Freaks
Dabei enthalten die Namen Hinweise auf die Beziehungen zwischen den jeweiligen Linien von Sars-CoV-2 und ihren evolutionären Nachkommen. Daraus leitet sich auch der Name B.1.1.7 ab, bei dem jedes aufeinander folgende Zeichen eine Untergruppe der vorhergehenden bezeichnet. »Es gibt bereits Namensschemata für all diese Abstammungslinien, aber die sind meist nur für Phylogenetik-Freaks wie mich von Bedeutung«, sagt Pybus.
Die Experten wollen mit ihrem Vorstoß auch die Namen abschaffen, die eine Variante mit dem Land oder der Region assoziieren, in der sie identifiziert wurde. »Wir möchten, dass die neue Nomenklatur leicht verständlich ist und keine Ländernamen enthält, weil sonst geopolitische Fragen mitschwingen«, sagt Van Kerkhove. Entsprechend versuche man, Namen wie »die britische Variante«, »die südafrikanische Variante«, »die brasilianische Variante« zu vermeiden.
B.1.351 statt der südafrikanischen Variante
Auch werden Varianten nicht notwendigerweise in dem Land identifiziert, in dem sie aufgetaucht sind. Und eine sich schnell ausbreitende Mutation wie B.1.1.7 (oder VOC 202012/01, wenn man so will), bleibt nicht dort, wo sie entstanden ist, sondern schwappt früher oder später in die weite Welt hinaus. Geografische Assoziationen könnten außerdem Länder stigmatisieren und so die Verfolgung des Virus erschweren, sagt Pybus. »Auf gar keinen Fall wollen wir Behörden entmutigen, eine neue Besorgnis erregende Variante zu melden.« Das Gegenteil sei das Ziel – und dazu könne eine ganz nüchterne Benennung einen Beitrag leisten.
So hätten südafrikanische Forscher beispielsweise davon abgesehen, ihr Heimatland in die Benennung einer Besorgnis erregenden Variante des Virus einzubeziehen, sagt Teammitglied Tulio de Oliveira, ein Bioinformatiker an der Universität von KwaZulu-Natal in Durban. Dies sei auf Wunsch des südafrikanischen Präsidenten und des Gesundheitsministers geschehen. Stattdessen haben sich die Wissenschaftler für den Namen 501Y.V2 entschieden; nach dem System, das Pybus' Team entwickelt hat. Demnach heißt die Variante nun B.1.351.
Ob und wann das neue Schema Anklang findet, ist offen. Bis sich Forscher auf ein weniger verwirrendes Namenssystem geeinigt hätten, würden Medien und die Öffentlichkeit wohl weiterhin von der »die südafrikanische Variante« sprechen, sagt de Oliviera. »Die Nomenklatur ist im Moment ein furchtbares Durcheinander.«
Einige Wissenschaftler wollen auch die Namen abschaffen, die einzelne Mutationen kennzeichnen. De Oliveiras Team nannte die von ihm identifizierte Variante 501Y.V2, weil sie eine Substitution in der 501. Aminosäure des Spike-Proteins des Virus trägt, die den dortigen Rest von einem Asparagin zu einem Tyrosin verändert (in der biochemischen Kurzschrift mit Y bezeichnet). Der Name habe dabei geholfen, die Arbeit von hunderten Forschern zu bündeln, die in unterschiedlichen Bereichen die Auswirkungen der Mutation untersuchen, sagt de Oliveira. Andererseits lasse der Name wichtige Abweichungen der Variante außen vor.
Keine Einigung, große Verwirrung
B.1.351 trägt mehrere andere potenziell besorgniserregende Veränderungen des Spike-Proteins, die sich auf die Immunantwort auswirken könnten, darunter die Veränderungen mit der Bezeichnung 484K und 417N. Eine Möglichkeit wäre, Besorgnis erregende Varianten nach den Konstellationen von Mutationen zu benennen, die sie tragen, sagt Emma Hodcroft, eine Molekularepidemiologin von der Universität Bern. Sie wirkt an Nextstrain mit, der Sars-CoV-2-Benennungsaktion, die die »britische Variante« 20I/501Y.V1 genannt hat. Nach dem Nextstrain-Schema würden Varianten, die ähnliche Mengen an wichtigen Mutationen tragen, ähnliche Namen erhalten, sagt Hodcroft.
Auf der WHO-Tagung haben sich die Forscher nicht auf ein neues Benennungssystem für die betroffenen Varianten geeinigt. Pybus, der Teil einer Arbeitsgruppe zu dem Thema ist, findet, dass ein neues System Hand in Hand mit Identifikationskriterien gehen sollte. Sobald man mehr über Sars-CoV-2 wisse, könnte ein Name die erhöhten (oder verringerten) Bedenken bezüglich einer bestimmten Variante widerspiegeln, »fast wie ein Ampelsystem«, sagt er.
Hodcroft stimmt zu, dass es Verwirrung bei der Benennung von Varianten gibt. Aber sie ist sich nicht sicher, dass ein weiteres neues Benennungssystem das Problem lösen wird. »Wir müssen behutsam vorgehen.«
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