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Immunisierung: Was man von einem Impfstoff erhoffen kann

Die ersten Impfstoffe gegen Sars-CoV-2 werden wohl keinen kompletten Schutz bieten. Fachleute schauen trotzdem hoffnungsvoll auf den Zulassungsprozess. Doch wann kommt der Impfstoff?
Impfung

Impfen macht immun – oder? Für die ersten Impfstoffe gegen Sars-CoV-2 wird das wohl nicht gelten. »Die Daten aus den Tierstudien deuten darauf hin, dass nur im Einzelfall ein Schutz vor Infektion mit Sars-Cov-2 durch die Impfung erreicht wird«, sagt Klaus Cichutek, Präsident des Paul-Ehrlich-Instituts, der deutschen Behörde, die für die Zulassung von Impfstoffen zuständig ist, bei seinem letzten Presse-Briefing Anfang des Monats. Warum ist das so, und was bringt uns ein Impfstoff dann überhaupt?

Ganz vorn im Rennen um den Impfstoff liegen solche Kandidaten, die auf neuartigen Technologien basieren – und das bedeutet, dass sie auch immunologisch ganz anders wirken als herkömmliche Vakzine. Die traditionellen Impfstoffe basieren meist auf Erreger-Proteinen, während bei den neuen Impfstoffkandidaten Sars-Cov-2-Gene in den Geimpften eingeschleust werden. Erst dort wird die Virus-Erbinformation in Proteine übersetzt, die wiederum eine Immunreaktion auslösen sollen. Dieses Prinzip ist dafür verantwortlich, dass diese Impfstoffe am weitesten im Zulassungsprozess sind. Die Forscher brauchten Anfang 2020 nicht einmal Virusmaterial, um mit der Entwicklung anzufangen. Es reichte die veröffentlichte Gensequenz.

Wie entwickelt sich die Pandemie? Welche Varianten sind warum Besorgnis erregend? Und wie wirksam sind die verfügbaren Impfstoffe? Mehr zum Thema »Wie das Coronavirus die Welt verändert« finden Sie auf unserer Schwerpunktseite. Die weltweite Berichterstattung von »Scientific American«, »Spektrum der Wissenschaft« und anderen internationalen Ausgaben haben wir zudem auf einer Seite zusammengefasst.

Das ist nicht nur ein technischer Unterschied. Protein-Vakzine werden injiziert, gelangen in die Blutbahn – und sind damit außerhalb der Zellen. Genbasierte Impfstoffe dagegen müssen in menschliche Zellen hineinkommen. Diese Schwierigkeit zu überwinden lohnt sich aber, wie das Beispiel des am weitesten fortgeschrittenen Kandidaten zeigt.

Schimpansenvirus als Taxi

Bei dem an der University of Oxford entwickelten Vakzin AZD1222, das der britisch-schwedische Pharmakonzern AstraZeneca bis zur Marktreife bringen will, handelt es sich um einen Vektor-Impfstoff. Das bedeutet, das Erbgut von Sars-Cov-2 reist in einem harmlosen Virus mit, das es in die Zellen hineinträgt. Forscher der University of Oxford bauten es in ein Adenovirus ein: eines, das nur bei Schimpansen, nicht aber Menschen vorkommt.

Zwar kann sich dieses Virus-Taxi samt Sars-Cov-2-Genen nicht vermehren, aber es gelangt erstens gut in menschliche Zellen hinein, dafür sorgen die Infektionsmechanismen des Virus. Zweitens werden die Sars-Cov-2-Proteine in der menschlichen Zelle nach dem Eindringen in großer Zahl hergestellt – dafür sorgt das für diesen Zweck optimierte Virusgenom. Somit ähnelt dieser Vorgang sehr einer echten Infektion – und entsprechend natürlich reagiert das Immunsystem.

»Ein Impfstoff, der keine Nebenwirkungen verursacht, aktiviert das Immunsystem auch nicht«Christian Münz

»Virusinfektionen bekämpft unser Körper am Anfang vor allem mit Zellen«, sagt Christian Münz, Professor für Virale Immunbiologie an der Universität Zürich. »Das Oxford-Vakzin bewirkt genau diese zelluläre Antwort gegen Sars-Cov-2.« Es handelt sich dabei um so genannte zytotoxische T-Zellen. Sie erkennen spezifisch Zellen, die mit einem bestimmten Erreger befallen sind, und töten diese. Der Körper opfert also seine eigenen Zellen, weil diese zu Virus-Fabriken geworden sind.

Nach einer Infektion bildet der Körper T-Gedächtniszellen, die bei einer folgenden Infektion mit dem gleichen Erreger wiederum infizierte Zellen töten. Diesen Mechanismus aktiviert das Oxford-Vakzin. Dass die zelluläre Immunantwort allerdings erst wirkt, sobald Zellen infiziert sind, ist einer der Gründe, warum sich geimpfte Menschen wohl trotzdem anstecken können.

Was bedeuten die unterbrochenen Studien?

Diese Ähnlichkeit zu einer echten Infektion kann außerdem Komplikationen hervorrufen. Die Studie mit dem Impfstoff des britisch-schwedischen Pharmaunternehmens AstraZeneca wurde im September unterbrochen, weil bei mindestens einem Patienten laut »New York Times« eine transverse Myelitis, eine Rückenmarksentzündung, aufgetreten war. Eine solche Erkrankung tritt sehr selten nach viralen oder bakteriellen Infektionen auf – und zwar durch eine anormale Aktivierung des Immunsystems, zum Beispiel bei Menschen, die an multipler Sklerose erkrankt sind.

»Es ist durchaus möglich, dass die Komplikation durch die Impfung ausgelöst wurde«, sagt Christian Münz. »Ein Impfstoff, der keinerlei Nebenwirkungen verursacht, aktiviert das Immunsystem allerdings auch nicht – es gilt die richtige Balance zu finden, der Impfstoff muss wirksam, aber so harmlos wie möglich sein.« Inzwischen wurden die Tests mit dem Oxford-Impfstoff außerhalb der USA wieder aufgenommen. Aber die Phase-III-Studie mit einem anderen Vakzin, das auf einem Adenovirus-Vektor beruht, wurde wegen eines bislang nicht erklärbaren Krankheitsfalls eines Probanden unterbrochen. Dabei handelt es sich um den Impfstoff-Kandidaten der Pharmasparte des US-Konzerns Johnson & Johnson.

Zu erwarten wäre, dass die RNA-Impfstoffe weniger Nebenwirkungen haben. »Der Vorteil der RNA-Impfstoffe ist, dass freie RNA allein schon die Abwehr aktiviert«, sagt Christian Münz. »Allerdings kommt die RNA schlechter in die Zellen als beim Vektor-Impfstoff, so dass die zelluläre Immunantwort etwas schwächer ausfällt.«

»Eine erste Zulassung erwarten wir eher zu Beginn des nächsten Jahres«Klaus Cichutek

Claire-Anne Siegrist, Professorin für Vakzinologie an der Uni Genf und Leiterin des WHO-Kollaborations-Centers für Impfstoff-Immunologie, bewertet die Erkenntnisse zu Vektor- und RNA-Impfstoffen positiv. »Beide sind besser darin, zelluläre Immunantworten zu verursachen, als traditionelle Vakzine«, sagt die Medizinerin. »Aber beide Impfstofftypen beruhen auch auf neuen Verfahren, die unbekannte Risiken haben können und eine genaue Sicherheitsnachverfolgung benötigen – bis mindestens sechs Monate nach der Impfung.«

Die Tötung infizierter Zellen durch zytotoxische T-Zellen ist nur die erste Verteidigungslinie des spezifischen (auch adaptiven oder erworbenen) Immunsystems während einer natürlichen Infektion. Nach etwa sieben Tagen folgen die Antikörper vom Typ Immunglobulin G (IgG). Fast alle zugelassenen Vakzine induzieren hauptsächlich deren Bildung – und zwar so genannte neutralisierende Antikörper. Das sind solche, die an die Oberfläche von Erregern binden und auf diese Weise verhindern, dass Viren überhaupt in Zellen eindringen.

Welche Immunität wirklich schützt

»Allerdings sind diese auch nicht unbedingt so effektiv, dass sie eine Infektion verhindern, insbesondere bei Atemwegserkrankungen«, sagt Christian Münz. »Der herkömmliche Grippe-Impfstoff etwa besteht aus abgetöteten Viren und kann den Eintritt des Virus in den Menschen nicht abblocken, sondern lediglich die Infektion mit neuen Viren früh eliminieren.« Denn durch die Injektion in den Muskel gelangt das Vakzin lediglich ins Blut, nicht in Zellen hinein, weil das Virus inaktiviert ist. Auch die von der Impfung provozierten Antikörper gelangen nur ins Blut. Das heißt, sie können erst wirken, wenn der Erreger Schleimhäute überwunden hat, der Mensch also bereits infiziert ist.

»Die meisten dieser altbekannten Impfstoffe wirken schlecht bei älteren Menschen, Übergewichtigen und Diabetikern«, sagt Christian Münz. »Dagegen sind Impfstoffe, die auch eine zelluläre Immunantwort hervorrufen, wahrscheinlich effektiver bei den Risikogruppen.« Allerdings – siehe oben – auch potenziell gefährlicher. Und auch die zelluläre Immunantwort fällt bei älteren Menschen schwächer aus als bei jungen.

»Dass Impfungen eine Atemwegsinfektion komplett verhindern, ist nur möglich, wenn man die Bildung von Antikörpern in der Schleimhaut, so genannten IgA-Molkülen, stimuliert«, sagt Christian Münz. »Bei dem Grippe-Lebendimpfstoff, der durch die Nase appliziert wird, funktioniert dies schon.« Ebenso bei mehreren Impfstoffen für Tiere. Corona-Impfstoffe, die durch die Nase verabreicht werden, sind in der Entwicklung. Sie werden aber definitiv nicht zu den ersten gehören, die zugelassen werden.

Werden uns die Impfstoffe der ersten Generation im Frühjahr schon wieder ein normales Leben ermöglichen? »Nein«, sagt Claire-Anne Siegrist. »Wenn alles gut geht, beginnen wir im Frühjahr mit den Impfungen für Hochrisiko-Personen – Social Distancing, Masken, gute Nies-Etikette und Hand-Hygiene müssen allerdings fortgeführt werden, auch von den Geimpften.« Doch zumindest könnten die Risikogruppen geschützt werden.

Außerdem könnte auch ein Vakzin, das eine Übertragung des Virus durch Geimpfte zulässt, die Pandemie eindämmen, wenn große Teile der Bevölkerung sich immunisieren ließen. »So ein Impfstoff würde die Infektion zumindest verkürzen und die Krankheitssymptome abschwächen«, sagt Münz. »Damit würde der Zeitraum, in dem ein Infizierter ansteckend ist, wahrscheinlich so weit verkürzt, dass die Pandemie gestoppt werden könnte.«

Bislang hat jedoch noch kein Impfstoff gleichzeitig Sicherheit und Wirksamkeit in einer Phase-III-Studie bewiesen, denn diese Untersuchungen dauern noch an. »Wir werden glücklicherweise wohl mehrere Produkte haben«, sagt Klaus Cichutek, Präsident des Paul-Ehrlich-Instituts. »Eine erste Zulassung erwarten wir eher zu Beginn des nächsten Jahres als noch 2020.«

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