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Experimentelles Medikament: Corona-Wirkstoff mit ACE-2 liefert viel versprechendes Resultat

Der ACE-2-Rezeptor ist ein Dreh- und Angelpunkt von Covid-19. Ihn den Erkrankten künstlich zuzuführen, könnte rasche Besserung bringen, legt ein Fallbericht nahe.
Infusion in einem Krankenhauszimmer

Wenn Sars-CoV-2 Zellen infiziert, fahren diese die Produktion des Rezeptors ACE-2 zurück, den das neue Coronavirus als Eintrittspforte in Körperzellen nutzt. Diese Reaktion gilt mittlerweile als eine Hauptursache für das schwere akute Atemwegssyndrom (ARDS) und andere schwer wiegende Folgen von Covid-19, wie etwa Mikrotrombosen und Schäden in verschiedensten Organsystemen. Wie bereits im Mai berichtet, legt dies einen Behandlungsansatz nahe: Man könnte den Mangel an ACE-2 im Körper ausgleichen und so die schwersten Folgen einer Infektion mit Sars-CoV-2 verhindern.

Genau diese Idee wird aktuell in 22 Kliniken in Österreich, Deutschland, Dänemark, Russland, Großbritannien und den USA in einer klinischen Phase-II-Studie an insgesamt 200 Coronapatienten getestet. Bei dem Wirkstoff der Firma Apeiron Biologics aus Wien handelt es sich um eine lösliche Version des Rezeptors ACE-2. Statistisch aussagekräftige Ergebnisse werden für Dezember erwartet. Nun hat die Forschungsgruppe, die den Wirkstoff namens hrsACE-2 entwickelte, zusammen mit Ärztinnen und Ärzten, die die Studie durführen, vorab einen Fallbericht im Medizinjournal »The Lancet« veröffentlicht, der zuversichtlich stimmt.

ACE-2 wird in verschiedensten Geweben und im Gefäßsystem des Körpers hergestellt und von den Zellen auf ihrer Oberfläche präsentiert. Der Rezeptor spielt eine zentrale Rolle im so genannten Renin-Angiotensin-System (kurz RAS), das den Volumenhaushalt des Körpers kontrolliert, aber auch stark zu entzündlichen Prozessen beiträgt. ACE-2 ist in diesem System der Gegenspieler des Hormons Angiotensin II, das den Blutdruck erhöht, die Bildung von Blutgerinnseln antreibt und Entzündungsreaktionen des Immunsystems auslöst.

Die Kernhypothese der aktuellen klinischen Studie lautet, dass eine lösliche Version des Rezeptors, intravenös verabreicht, das Gleichgewicht im RAS wieder herstellt und zugleich aktive Viruspartikel bindet (und damit unschädlich macht). Entwickelt hat diesen Ansatz das Team des österreichischen Genetikers Joseph Penninger von der University of Toronto ursprünglich zur Behandlung des ersten Sars-Virus. Getestet wurde der Wirkstoff bereits in Mäusen, Ferkeln und in klinischen Phase-I- und -II-Studien im Menschen zur Behandlung von ARDS. In künstlichen Organoiden hat der Wirkstoff schon eine Anti-Sars-CoV-2-Aktivität gezeigt.

Wie entwickelt sich die Pandemie? Welche Varianten sind warum Besorgnis erregend? Und wie wirksam sind die verfügbaren Impfstoffe? Mehr zum Thema »Wie das Coronavirus die Welt verändert« finden Sie auf unserer Schwerpunktseite. Die weltweite Berichterstattung von »Scientific American«, »Spektrum der Wissenschaft« und anderen internationalen Ausgaben haben wir zudem auf einer Seite zusammengefasst.

45-jährige Patientin zeigt rapide Besserung

Bei dem Fall, den die Forscher und Ärzte nun in »Lancet« beschreiben, handelt es sich um eine 45-jährige Frau, die vor ihrer Einlieferung ins Krankenhaus sieben Tage lang unter Husten, Schwäche, Gliederschmerzen, Fieber und Atemnot gelitten hatte, zudem traten vier Tage lang Übelkeit und Durchfall auf. Vorerkrankungen waren Diabetes II (nicht medikamentös behandelt) und Morbus Basedow, eine Autoimmunerkrankung, auf Grund derer ihr die Schilddrüse entfernt worden war. Ein PCR-Test bestätigte die Infektion mit Sars-CoV-2. Behandelt wurde die Frau zunächst mit dem Malariamedikament Hydroxychloroquin und einem Gerinnungshemmer. Doch ihre Blutsauerstoffwerte sanken trotz intensiver Sauerstoffgabe so sehr, dass sie ins künstliche Koma versetzt und invasiv beatmet werden musste. Laboruntersuchungen ihres Bluts offenbarten eine erhebliche Entzündungsaktivität.

Im Rahmen einer Ausnahmegenehmigung aus ethischen Gründen (compassionate use) begannen ihre behandelnden Ärzte am zweiten Tag mit der Infusion des experimentellen Wirkstoffs hrsACE-2. Zweimal täglich für insgesamt sieben Tage sollte sie den löslichen ACE-2-Rezeptor bekommen. Entzündungswerte im Blut und Indikatoren des Renin-Angiotensin-Systems überwachten die Mediziner von nun an für insgesamt 14 Tage. Dabei zeigte die Patientin eine frappierend schnelle Besserung. Sollten sich diese Ergebnisse bei anderen Patienten bestätigen, wären sie ein Durchbruch.

Nach der ersten Infusion wurde die Patientin innerhalb weniger Stunden fieberfrei. Am nächsten Tag stieg ihre Temperatur zwar wieder und die Lunge sonderte grünlich gelben Schleim ab, dies lag aber vermutlich an einer bakteriellen Infektion, die dann auch bestätigt und mit Antibiotika behandelt wurde.

Ebenfalls nach der ersten Infusion sank die Konzentration von Angiotensin II im Blut der Patientin stark, während die Abbauprodukte des Hormons deutlich zunahmen – ein Zeichen dafür, dass hrsACE-2 die enzymatische Funktion von ACE-2 übernommen hatte. Das Profil der RAS-Indikatoren normalisierte sich innerhalb der kommenden Tage, und die Aktivität von hrsACE-2 konnte bis zum Ende der 14-tägigen Monitoringphase labordiagnostisch bestätigt werden.

Mit der Angiotensin-II-Konzentration sank auch die Konzentration des Zytokins Interleukin 6 und des Chemokins Interleukin 8. Beide Substanzen spielen eine zentrale Rolle bei Lungenschäden und einem Zytokinsturm. Auch die meisten anderen Entzündungsmarker gingen bereits nach der ersten Behandlung deutlich zurück.

Auch die Viruslast sank rasch

Die zweite Hypothese hinter der Behandlung mit hrsACE-2 schien sich ebenfalls zu bestätigen: Die Konzentration von Sars-Cov-2-Viruspartikeln im Blut der Patientin sank innerhalb von zwei Tagen auf ein nicht mehr nachweisbares Niveau. Im Luftröhrensekret stieg die Konzentration zwar noch zwei Tage lang an, war danach aber ebenfalls für den Rest der Monitoringphase nicht mehr nachweisbar. Zugleich schien die Minderung der Virenlast die Entstehung einer Immunität nicht zu unterbinden; fünf Tage nach Beginn der Behandlung konnten antivirale IgG- und IgA-Antikörper in ihrem Blut nachgewiesen werden.

Der klinische Zustand der Patientin verbesserte sich allmählich, und am Ende der Monitoring-Phase, 14 Tage nach ihrer Einlieferung, konnte die künstliche Beatmung beendet und eine Physiotherapie begonnen werden. Einen Monat später, am 57. Tag nach Symptombeginn, wurde sie aus dem Krankenhaus entlassen.

Die Autoren der Fallstudie betonen, dass diese Beobachtungen kein Beleg dafür sind, dass die Behandlung mit hrsACE-2 ursächlich für die deutliche Verbesserung des Zustands war. Dafür müssten die Ergebnisse der Phase-II- und -III-Studien abgewartet werden. Anlass zur Hoffnung auf ein spezifisches Coronamedikament gibt der Fall aber allemal.

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