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Coronavirus: Was das Wetter für die Epidemie bedeutet

Wenn die Kontaktsperre gelockert wird, sollen Hygiene und Abstand Covid-19 bremsen. Hilft auch der Sommer? Einige Studien machen Hoffnung - zumindest ein bisschen.
Gruppen von Menschen in einem sommerlichen Park.

Masken, Homeoffice und zwei Meter Abstand – aber trotzdem nach und nach so etwas wie normaler Alltag. So soll die nächste Woche beginnende Lockerung der Kontaktsperre in Deutschland aussehen. Doch kann das gutgehen, angesichts der immer noch hohen Zahl der Neuansteckungen? Ob sich der wochenlange Verzicht gelohnt hat, wird unter anderem davon abhängen, wie ernst die Bevölkerung die Hygienemaßnahmen nimmt. Also Händewaschen beispielsweise.

Möglicherweise allerdings hilft auch der Sommer gegen Covid-19. Mit höheren Temperaturen, mehr UV-Strahlung und intensiverem Licht sowie feuchterer Luft kommt das Virus Sars-Cov-2 nicht gut klar. Es zerfällt schneller, verbreitet sich dadurch langsamer. Das zumindest ist die Hoffnung.

Um zu verstehen, wie das Virus allerdings wirklich reagiert, setzen zahlreiche Forscherinnen und Forscher es im Labor gezielt unter Druck. Andere versuchen, den Einfluss des Wetters aus den geografischen und klimatischen Mustern der Pandemie herauszulesen. Die Experimente und Modelle liefern Antworten – zugleich aber so manch neue Frage.

Mittlerweile haben diverse Studien Hinweise dafür geliefert, dass Sars-Cov-2 empfindlich auf Wärme reagiert. Wie steigende Temperaturen dem Virus zusetzen, hat ein Team um Alex Chin von der University of Hong Kong Anfang April gezeigt. Bei vier Grad überlebten auch nach zwei Wochen 20 Prozent der ursprünglichen Viren, bei 37 Grad war schon nach einem Tag gerade mal noch ein Promille der Ausgangsmenge übrig.

Das Coronavirus scheint Wärme nicht sonderlich zu mögen

Versuchen an Tröpfchen und Aerosolen unter kontrollierbaren Umweltbedingungen dagegen deuten auf ein eher unempfindliches Virus. In einem Bericht verweisen die US-amerikanischen Akademien der Wissenschaften, Medizin und Technik (NAS) auf Experimente einer Gruppe um Chad Roy von der Tulane University. Demnach überlebt Sars-CoV-2 in Tröpfchen sogar länger als die ähnlichen Viren Sars-CoV oder Influenza – damit wäre es weniger empfindlich gegenüber den Umweltbedingungen als erhofft. Das Ergebnis sei aber noch vorläufig, andere Experimente erst noch in Planung.

Zudem ist fraglich, wie aussagekräftig Laborstudien überhaupt sind. Auch weil es in solchen Experimenten verschiedene Störfaktoren gibt, wie die NAS erklärt. Zum Beispiel würden die Viren in einem speziellen Zellkulturmedium gezüchtet, was beeinflussen könnte, wie sich der Erreger verbreitet. Nicht zuletzt könnten viele Labore, darunter jenes in Tulane, die Luftfeuchtigkeit nicht hinreichend gut kontrollieren – und die gilt ebenfalls als entscheidender Faktor.

Weil so viele Fragen offen sind, warnen Fachleute vor überzogenen Hoffnungen. Es ist sehr unwahrscheinlich, dass Sars-Cov-2 in der warmen Jahreszeit von allein verschwinden wird, wie es Grippe- und Erkältungserreger alljährlich tun. Dagegen spricht schon seine globale Verbreitung: Auch in den Tropen stecken sich Menschen mit dem neuen Coronavirus an.

Doch ein Blick auf die Weltkarte der Krise enthüllt ein bemerkenswertes Muster. Die Länder mit vielen Covid-19-Toten und Erkrankten finden sich ungefähr zwischen dem nördlichen Wendekreis bei 23 Grad nördlicher Breite und dem 50. Breitengrad. Jenseits davon, besonders in den Tropen und auf der Südhalbkugel, scheinen die Fallzahlen vergleichsweise moderat.

Die Weltkarte der Krise zeigt ein bemerkenswertes Muster

Das kann an Temperatur und Luftfeuchtigkeit liegen. Oder schlicht daran, dass die bisher am schlimmsten betroffenen Länder zu den reichsten Nationen der Welt gehören. Wohlhabende Länder können viel mehr testen und so schneller mehr Fälle finden als andere. Auf dem afrikanischen Kontinent steigen die offiziellen Fallzahlen teilweise deutlich, ebenso in Ländern wie Brasilien oder Australien. Womöglich kam das Virus dort einfach später an als im Iran oder in Italien. Doch möglich ist auch, dass Sars-CoV-2 bei uns im Sommer immerhin deutlich weniger ansteckend sein wird.

Eine Reihe von Untersuchungen stützt diese These. In einer Vorabveröffentlichung vom 31. März versuchte zum Beispiel ein Team um Nazrul Islam von der University of Oxford, die Virusausbreitung in 310 Regionen von 116 Ländern mit Durchschnittstemperatur, Feuchtigkeit und sogar dem Wind in Zusammenhang zu bringen. Die Daten zeigen vor allem eine sehr hohe Schwankungsbreite – in den Daten fand der Forscher allerdings tatsächlich einen Trend zu schnellerer Ausbreitung bei kühlem und trockenem Klima.

Wie tödlich ist das Coronavirus? Was ist über die Fälle in Deutschland bekannt? Wie kann ich mich vor Sars-CoV-2 schützen? Diese Fragen und mehr beantworten wir in unserer FAQ. Mehr zum Thema lesen Sie auf unserer Schwerpunktseite »Ein neues Coronavirus verbreitet sich weltweit«.

Zu einem ähnlichen Ergebnis kamen Tamma Carleton von der University of Chicago und Kyle Meng von der University of California anhand räumlich aufgelöster Klima- und Infektionsdaten, die sie statistisch ausgewertet haben. Demnach sinkt die Ausbreitung jeweils um 13 Prozent, wenn die Temperatur um ein Grad steigt. Gentile Ficetola und Diego Rubolini von der Universität Mailand wiederum berechneten aus Klima- und Infektionsdaten von 121 Ländern, dass sich das Virus am besten bei einer Durchschnittstemperatur von etwa fünf Grad verbreitet. Und ein US-iranisches Team kam zu dem Ergebnis, dass das Virus in Städten zwischen 30 und 50 Grad nördlicher Breite, niedriger Luftfeuchtigkeit und Temperaturen zwischen fünf und elf Grad am ansteckendsten ist.

Allerdings sind solche Auswertungen derzeit – nur wenige Wochen nach Beginn der weltweiten Ausbreitung – mit enormen Unsicherheiten behaftet. Darauf weisen die beteiligten Fachleute in ihren Arbeiten selbst hin. Zu viele Faktoren würden ein eventuelles Temperatursignal überlagern, nicht zuletzt die von Land zu Land unterschiedliche Datenqualität und der unterschiedliche Beginn der Epidemien.

Was Chinas Wetter lehrt

Deswegen blicken manche Gruppen auf geografisch ausgedehnte Länder mit unterschiedlichen Klimazonen, innerhalb derer diese Faktoren weniger stark schwanken. China zum Beispiel. Tatsächlich legt eine Ende März veröffentlichte Untersuchung dort ebenfalls einen Zusammenhang zwischen Wetter und Seuche nahe. Laut der Autoren sinkt die tägliche Ansteckungsrate mit jedem Grad höherer Temperatur um bis zu 57 Prozent, wenn die relative Luftfeuchtigkeit zwischen 67 und 86 Prozent liegt. Allerdings galten diese Zusammenhänge nicht in allen Teilen des Chinas gleichermaßen, geben sie zu bedenken.

Nur weil sich ein Virus langsamer ausbreitet, bedeutet das auch nicht das Ende einer Epidemie. Als Forscher 100 chinesische Städten mit mehr als 40 Sars-Cov-2-Fällen untersuchten, stellten sie fest, dass die Ausbreitungsrate mit steigender Temperatur und Luftfeuchtigkeit zwar abnahm, gleichzeitig jedoch sank die Reproduktionszahl des Virus selbst im günstigsten Fall nicht unter zwei.

Der Erreger kann sich demnach auch trotz ungünstigem Wetter sehr schnell verbreiten. Das erwarten auch die US-Akademien in ihrem Bericht: Die letzten Grippepandemien hätten allesamt eine zweite Welle etwa ein halbes Jahr nach dem ersten Auftreten erzeugt, völlig unabhängig davon, ob sie in Sommer oder Winter begannen.

Doch das muss nicht heißen, dass das Wetter irrelevant ist. Wie schnell sich das Virus nach der Lockerung durch der Kontaktsperre weiter verbreitet – und damit, wie normal das Leben wirklich wieder sein wird – entscheidet nicht ein einzelner Faktor. Mehrere Effekte und Maßnahmen müssen zusammenkommen, um das Virus zu bremsen. Disziplin und Glück spielen eine Rolle, und vielleicht hilft ja auch der Sommer.

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