Covid-19: Covid-Impfstoffe der zweiten Generation
In Zeiten der Pandemie geht vieles zu langsam, manches aber auch schneller als üblich: Noch vor einem halben Jahr hat die Welt gebannt auf die späte klinische Phase der ersten Covid-19-Impfstoffe geblickt und erstaunt festgestellt, wie schnell diese entwickelt worden waren. Jetzt, ein Jahr nach Ausbruch der Pandemie, haben drei Covid-Impfstoffe in vielen Ländern eine Notfallzulassung erhalten.
Zwei der Impfstoffe, die von Pfizer beziehungsweise BioNTech und Moderna entwickelt wurden, stützen sich auf neuartige, gentechnologisch veränderte mRNA. Beim dritten handelt es sich um einen eher konventionellen Impfstoff von der University of Oxford und AstraZeneca: Hier liefert ein Schimpansenvirus den genetischen Code für eine Komponente von Sars-CoV-2. Russland, China und Indien haben zudem ihre eigenen Impfstoffe auf den Markt gebracht, die bislang allerdings nur in einigen wenigen Ländern zugelassen sind.
»Ich denke, dass sich dieses Virus verändern wird und dass die derzeit zugelassenen Impfstoffe einfach nicht so effektiv sein werden, wie wir glauben«Danny Altmann, Immunologe am Imperial College London
So beeindruckend die Impfstoffe aber auch sind, allein werden sie die Pandemie wahrscheinlich nicht beenden können, sagen Experten. Zudem stellen sie teils hohe Anforderungen an die Kühllogistik. Und: »Ich denke, dass sich dieses Virus verändern wird und dass die derzeit zugelassenen Impfstoffe einfach nicht so effektiv sein werden, wie wir glauben«, sagt Danny Altmann, Immunologe am Imperial College London. Mutationen in Sars-CoV-2 haben bereits mehrere neue Varianten entstehen lassen: Etwa die Besorgnis erregenden, weil ansteckenderen Versionen des Erregers, die sich seit Anfang 2021 von Großbritannien und Südafrika aus in der Welt verbreiten. Immerhin sind sie zum Glück wohl nicht tödlicher als frühere Varianten des Virus.
Gregory Poland stimmt zu: Es sei deutlich zu früh, zu hoffen, das Virus besiegt zu haben. Der Impfspezialist an der Mayo Clinic – einem US-amerikanischen Non-Profit-Medizin-Forschungszentrum – gibt zu bedenken, dass sich bisher noch nie ein Impfstoff gegen ein Coronavirus in einem öffentlichen Impfprogramm bewähren musste. Und mRNA-Impfstoffe wie die von Pfizer und Moderna – in denen viele die Zukunft der Vakzinologie sehen – gab es bislang gar nicht auf dem Markt. »Wir wissen nicht, was wir nicht wissen. Wir haben keine Ahnung, welche Überraschungen ein Virus für uns parat haben könnte, das wir gerade erst seit einem Jahr kennen«, sagt Poland. Er hat im Oktober 2020 in der Fachzeitschrift »The Lancet« einen ausführlichen Bericht über die Covid-19-Impfstoffkandidaten mitverfasst. »Ich beschäftige mich seit vier Jahrzehnten mit der Geschichte der Vakzinologie. Sie steckt über und über voll Dingen, von denen wir mal dachten, wir würden sie kennen.«
Was zum Beispiel passiert, wenn jemand geimpft ist und sich trotzdem mit Covid infiziert? Wird derjenige womöglich einen schwereren Verlauf erleben – ein Phänomen, das als antikörperabhängige Verstärkung bekannt ist? Oder, in einem weniger dramatischen Szenario: Was geschieht, wenn die Impfstoffe zwar verhindern, dass geimpfte Personen erkranken, aber nicht, dass sie andere anstecken? Letzteres könnte die Pandemie tatsächlich verschlimmern, wenn geimpfte Personen denken, sie seien sicher und zu asymptomatischen Trägern werden. Weltweit betrachtet zeigen Menschen eine große Bandbreite unterschiedlich ausgeprägter natürlicher Immunität gegen das Virus – und somit könnte auch der Impfstoff eine ähnliche Vielfalt an Reaktionen hervorrufen. »Eine Menge Fallen könnten auf uns warten«, sagt Poland.
»Wir wissen nicht, was wir nicht wissen. Wir haben keine Ahnung, welche Überraschungen wir in einem Virus finden könnten, das wir erst seit einem Jahr kennen«Gregory Poland, Impfspezialist an der Mayo Clinic
Darüber hinaus werfen die Impfstoffe von Moderna und Pfizer logistische Probleme auf, die verhindern, dass sie einfach weltweit eingesetzt werden können. Der Impfstoff von Pfizer muss bei minus 70 Grad Celsius in teuren Gefrierschränken gelagert werden – kälter als die Durchschnittstemperaturen in der Antarktis. Der Impfstoff von Moderna lässt sich zwar bei minus 15 Grad Celsius lagern, der Kühlbedarf minimiert aber trotzdem die Chancen, ihn in ländlichen Flecken in Indien oder Afrika oder armen, dicht besiedelten Gegenden in Südamerika zum Einsatz zu bringen. Die Pandemie wird andauern, solange Impfstoffe empfindlich, teuer und schwer zu verteilen sind.
Der bei Weitem wichtigste Knackpunkt, sagt Altmann, ist die Haltbarkeit des Impfschutzes, also die Zeitspanne, die ein Mensch nach der Impfung immun bleibt. Wenn ein Impfstoff nur für einige Monate statt für viele Jahre Immunität verleiht, werden wir in sechs Monaten kaum einen Fortschritt verzeichnet haben. Bis dahin könnten wir mit noch ansteckenderen Formen der Krankheit konfrontiert sein.
Die gute Nachricht ist aber, dass Forscher an der Entwicklung von Impfstoffen der »zweiten Generation« arbeiten: Es stecken Stand Januar 2021 240 neue, zum Teil auf neuartigen Mechanismen beruhende Covid-Impfstoffe in der Entwicklung. Unter ihnen finden sich womöglich nicht nur wirksame, sondern vielleicht auch billige und einfacher zu verteilende Kandidaten. »Wir sitzen da auf einer Schatztruhe«, findet Altmann: »Den meisten Menschen ist das nicht bewusst, aber unter dem Radar hat die Vakzinologie in den vergangenen 15 Jahren eine ganze Reihe unglaublich pfiffiger Strategien entwickelt.«
Sich selbst vervielfältigende RNA (Imperial College London)
Zu den viel versprechenden Kandidaten zählen zum Beispiel Ansätze mit saRNA (Self-amplifying, also sich selbst vervielfältigender RNA). Ähnlich wie bei den zugelassenen mRNA-Impfstoffen wird bei diesem Verfahren genetisches Material des Virus direkt in menschliche Zellen eingeschleust, was den Körper dazu anregt, das berühmte »Spike«-Protein herzustellen, mit dem die Oberfläche von Sars-CoV-2 bedeckt ist. Wie bei den mRNA-Impfstoffen wird auch bei dem vom Imperial College London entwickelten Impfstoff nur das genetische Material und nicht das eigentliche Virus in den Körper geschleust. Das macht es sehr unwahrscheinlich, dass sich die Krankheit verschlimmert, wenn ein Mensch nach der Impfung infiziert wird.
Der Clou an diesem Impfstoff ist, dass er die körpereigenen Zellen in kontinuierlich produzierende Spike-Protein-Fabriken verwandelt – ohne dass dazu eine Auffrischungsimpfung nötig wäre. Und: ohne dass man große Mengen des Vakzins verimpfen muss, weil der gentechnisch modifizierte saRNA-Impfstoff nach der Injektion viele Kopien seiner selbst nachbauen kann. Die »selbstverstärkende« RNA lässt sich zudem in großen Mengen bei geringen Kosten herstellen. »Ich bin sehr gespannt darauf, ob sich dieser Ansatz vielleicht als ähnlich wirksam wie die Impfstoffe von Pfizer und Moderna erweist – nur noch besser«, sagt Altmann, der nicht direkt an der Entwicklung des Vakzins beteiligt war.
Protein-Untereinheit (Novavax)
Die Forscher des in Maryland ansässigen Start-ups Novavax haben sich darauf konzentriert, das eigentliche Spike-Protein selbst zu verabreichen (und nicht ein ganzes Virus oder genetisches Material). Sie entwickelten den Impfstoff, indem sie Mottenzellen so konstruierten, dass sie Spike-Proteine in Bioreaktoren kostengünstig produzieren können. Darüber hinaus kann ein solcher Impfstoff bei zwei bis acht Grad Celsius – der normalen Kühltemperatur – aufbewahrt werden, was die Verteilung wesentlich praktischer macht.
Der Trick bei diesem Ansatz ist die Zugabe eines »Adjuvans« – eines Zusatzstoffs, der die Reaktion des Immunsystems aufpeppt – aus Saponin, einer Verbindung aus der Rinde des chilenischen Seifenrindenbaums. »Die Technologie der künstlichen Proteine wurde in der Vergangenheit getestet und hat sich bewährt – ihre Herstellung dauert nur etwas länger als bei RNA«, erklärt Gregory Glenn, Präsident für Forschung und Entwicklung bei Novavax.
Gestaltete Protein-Nanopartikel (Institut für Proteindesign, Universität Washington)
Wie Novavax haben sich auch die Forscher der University of Washington dafür entschieden, Proteine von Sars-CoV-2 als Waffe ihrer Wahl einzusetzen. Doch anstatt das gesamte Spike-Protein zu injizieren, haben sie sich auf die »Achillesferse« des Virus konzentriert: die Rezeptorbindungsdomäne (RBD), also jenen Teil des Spike-Proteins, der direkt mit menschlichen Zellen verschmilzt. Neil King, Biochemiker am Institut für Proteindesign der Universität, hat einen Impfstoff entwickelt, der im Inneren von Nanopartikel-Kugeln, die Fußbällen ähneln, verabreicht wird.
Synthetisch hergestellte RBD-Proteine sind dabei an den Nanopartikeln angebracht. Durch dieses Design sei der Impfstoff in der Lage, mindestens zehnmal höhere Antikörperreaktionen hervorzurufen als solche, die das ganze, natürliche Spike-Protein verwenden, sagt King. »Wir nehmen nicht einfach existierende Proteine und verändern sie ein wenig – wir entwickeln völlig neue, die genau das tun, was wir wollen«, sagt er. Der Impfstoff wird derzeit in einem frühen Stadium, der Phase I, mit menschlichen Freiwilligen getestet. Wenn er erfolgreich ist, könnte er noch in diesem Jahr zugelassen werden.
Andere Impfstoffe in der Pipeline
Das sind nur einige Beispiele von in der Entwicklung befindlichen Impfstoffkandidaten. Andere verwenden konventionellere Designs, die dazu beitragen könnten, die Pandemie einzudämmen, wie etwa ein Impfstoff von Sinovac Biotech in China, der ein inaktiviertes Virus nutzt (eine Technik, die bei der Bekämpfung der Kinderlähmung eingesetzt wurde und noch immer in zahlreichen Grippeimpfstoffen verwendet wird).
Es bleibt abzuwarten, wie gut all diese Ansätze funktionieren werden. Aber bei so vielen viel versprechenden aktuellen Entwicklungen gibt es guten Grund zur Hoffnung, dass das Ende dieses Pandemie-Albtraums in Sicht ist.
Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.