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Covid-19: Was bislang über Spätfolgen bei Kindern bekannt ist

In der dritten Welle haben sich auch Kinder vermehrt mit dem Coronavirus infiziert. Manche kämpfen wie Erwachsene lange mit den Nachwirkungen. Sind sie gefährdeter als gedacht?
Kind und Teddy mit Maske

Zu Beginn der Pandemie gab es zumindest eine positive Nachricht: Kinder und Jugendliche, so las man damals, würden sich weit seltener mit Sars-CoV-2 infizieren als Erwachsene. Und wenn es sie doch erwischte, dann meist mit milden oder gar asymptomatischen Verläufen.

Diese Sichtweise hat sich inzwischen ein Stück weit geändert: Im Zuge der dritten Welle stiegen die Coronafallzahlen bis Ende April nicht nur bei Erwachsenen immer weiter an, sondern auch bei Kindern und Jugendlichen, wie das Robert Koch-Institut (RKI) in Berlin meldete. Bei den unter Sechsjährigen hat sich der Inzidenzwert laut Bundesfamilienministerin Franziska Giffey von Mitte Februar bis Ende März 2021 sogar vervierfacht. Die meisten Kinder und Jugendlichen zeigen zwar weiterhin kaum Symptome. Spätfolgen, so genannte »Long Covid«-Verläufe, gibt es aber auch bei ihnen. Und die könnten nun immer häufiger auftreten, warnen Experten. Die Kinderklinik in Jena hat für junge Patientinnen und Patienten mit Coronaspätfolgen inzwischen sogar eine Extraambulanz eingerichtet.

Sind Kinder und Jugendliche also gefährdeter als lange angenommen? Der Anstieg der Fallzahlen in dieser Altersgruppe hat vermutlich einige Gründe: Seit dem letzten Jahr tauchten immer mehr Virusvarianten auf. Mit die größte Sorge bereitet den Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen des RKI aktuell die britische Variante B.1.1.7. Denn jene ist deutlich ansteckender als das ursprüngliche Sars-CoV-2. Dass auch Kinder und Jugendliche inzwischen häufiger an Covid-19 erkranken, liegt also ebenso an dieser »leichter übertragbaren, Besorgnis erregenden Variante«, schreibt das RKI.

Wie entwickelt sich die Pandemie? Welche Varianten sind warum Besorgnis erregend? Und wie wirksam sind die verfügbaren Impfstoffe? Mehr zum Thema »Wie das Coronavirus die Welt verändert« finden Sie auf unserer Schwerpunktseite. Die weltweite Berichterstattung von »Scientific American«, »Spektrum der Wissenschaft« und anderen internationalen Ausgaben haben wir zudem auf einer Seite zusammengefasst.

Das Infektionsgeschehen verschiebt sich

Dazu kommen die Impfungen: Ein Großteil der über 80-Jährigen ist in Deutschland mittlerweile geimpft. Und auch unter jüngeren Menschen, die in systemrelevanten Berufen oder in solchen Berufen arbeiten, die ein hohes Infektionsrisiko bergen, nimmt die Immunisierung an Fahrt auf. Unter ihnen kann sich das Virus also nicht mehr so leicht verbreiten. Bei Kindern und Jugendlichen unter 16 Jahren sieht das anders aus: Für sie sind die Impfungen noch gar nicht zugelassen. Zwar haben Pfizer und Biontech bei der Europäischen Arzneimittelbehörde für ihren Impfstoff bereits die Zulassung für Kinder ab zwölf Jahren beantragt, und erste Studien mit jüngeren Probanden laufen schon. Bis auch in dieser Altersgruppe alle durchgeimpft sind, wird es jedoch noch dauern.

Auf die Covid-19-Pandemie übertragen, bedeutet das eine Verschiebung des Infektionsgeschehens: Im selben Maß, wie immer mehr Erwachsene gegen Sars-CoV-2 geimpft sind, werden bei ihnen die Infektionszahlen zurückgehen. Kinder und Jugendliche können sich hingegen nach wie vor mit dem Virus infizieren und dementsprechend können die Inzidenzwerte hier auch weiterhin steigen.

Ein anderer Grund für den Infektionsanstieg unter Minderjährigen könnten die Schnelltests sein. Diese werden mittlerweile an vielen Schulen und Kitas eingesetzt. Doch je mehr getestet und dann mit PCR abgeklärt wird, desto mehr positive Befunde gibt es – auch unter symptomlosen Kindern. Welche Rolle die Öffnung von Kitas und Schulen bei den Neuansteckungen spielt, ist bislang nicht geklärt. Erkenntnisse für Kindertagesstätten sollen die Corona-Kita-Studie sowie die COALA-Studie bringen. Für Schulen zeigte eine Untersuchung im Raum Frankfurt am Main zwischen August und Dezember 2020 nur wenige Übertragungen innerhalb des Schulbetriebs und keine größeren Ausbrüche. Eine bundesweite Untersuchung scheint bislang allerdings nicht geplant zu sein.

Kinder erkranken meist nur mild

Grundsätzlich gilt, dass Kinder ein geringeres Risiko auf eine schwere Sars-CoV-2-Infektion haben als Erwachsene. »Oft sind sie sogar symptomfrei«, sagt Robin Kobbe, Facharzt für Kinder- und Jugendmedizin am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE): »Allerdings gibt es Ausnahmen. Vor allem Kinder mit Vorerkrankungen und Neugeborene bis zu einem Alter von 28 Tagen können auch schwerer erkranken.« Letzteres sei zumindest im Moment die Beobachtung.

»Vor allem Kinder mit Vorerkrankungen und Neugeborene bis zu einem Alter von 28 Tagen können auch schwerer erkranken«
Robin Kobbe, Facharzt für Kinder- und Jugendmedizin

Studien kommen zu einem ähnlichen Ergebnis. Bei der Corona-KiTa-Studie gaben Eltern bei gut jedem dritten Kind zwischen null und fünf Jahren kein einziges für die Krankheit relevantes Symptom an. Etwa 29 Prozent der Betroffenen entwickelten gerade mal ein Symptom, darunter Fieber (13 Prozent), Husten (5,7 Prozent) und Schnupfen (3,4 Prozent). Schwere Beschwerden wie Muskel- oder Brustschmerzen, Herzrasen oder der typische Verlust von Geschmacks- und Geruchssinn kamen hingegen nur selten vor. Auch im Krankenhaus mussten bislang nur wenige Kinder behandelt werden und Todesfälle, die bei Minderjährigen mit einer Infektion im Zusammenhang standen, zählten die Behörden noch viel weniger: Bis zum 13. April 2021 meldete das RKI bei den Null- bis Neunjährigen insgesamt zwölf Todesfälle, bei den 10- bis 19-Jährigen waren es lediglich fünf. Die meisten Betroffenen hatten Vorerkrankungen.

Spätfolgen ähnlich wie bei Erwachsenen gibt es trotz der vielfach milden Verläufe allerdings auch bei Heranwachsenden. Sie werden oft unter der Bezeichnung »Long Covid« zusammengefasst und beziehen sich auf Symptome, die selbst vier bis zwölf Wochen, manchmal sogar Monate nach Beginn der akuten Sars-CoV-2-Erkrankung, nicht abklingen. Mitunter sprechen Medizinerinnen und Mediziner auch vom »Post-Covid-19 Syndrom«. Eine international einheitliche Definition gibt es bislang noch nicht.

Kopfschmerzen und Müdigkeit halten bei manchen lange an

»In der Spezialambulanz in Jena befinden sich aktuell gut 30 Kinder mit anhaltenden Beschwerden nach einer Covid-19-Infektion in Behandlung«, berichtet Michael Lorenz, Oberarzt und Leiter der Sektion Pädiatrische Pneumologie und Allergologie am Universitätsklinikum Jena. Andauernde Müdigkeit, Konzentrationsschwäche, Muskel- und Gliederschmerzen sowie Probleme beim Atmen gehören zu den häufigsten Symptomen. Auch starkes Herzklopfen und Schlafstörungen kommen vor. In einem Positionspapier nennt die Weltgesundheitsorganisation (WHO) zudem Symptome wie Kopfschmerzen, Schwindel und Hautausschlag.

»Die Belastung für die Familie ist teilweise enorm«
Michael Lorenz, Oberarzt am Universitätsklinikum Jena

In einer Studie aus Italien, die bislang allerdings nicht von Fachleuten begutachtet wurde, wies mehr als die Hälfte aller Kinder drei Monate (120 Tagen) nach ihrer Covid-19-Erkrankung noch mindestens ein Symptom auf. Mehr als 40 Prozent der Betroffenen fühlten sich dadurch im Alltag eingeschränkt. »Die Daten der Studie basieren allerdings auf telefonischen Befragungen der Eltern«, gibt Oberarzt Lorenz zu bedenken. »Das hat sicher zu einer Häufung der Symptome geführt.« Dennoch macht die Untersuchung in Lorzenz' Augen deutlich, dass Long-Covid-Verläufe bei Kindern ernst zu nehmen sind. »Die Belastung für die Familie ist teilweise enorm«, sagt der Arzt. »Das liegt auch daran, dass bislang so wenig über der Erkrankung bekannt ist, was die Betroffenen stark verunsichert.«

Manche Eltern fühlten sich mit den Beschwerden ihrer Kinder nicht ernst genommen. Wie lange die Symptome anhalten, ist bislang unklar. Eine schwedische Fallserie beschreibt fünf Kinder mit einem Durchschnittsalter von zwölf Jahren, deren Symptome sechs bis acht Monate lang anhielten. Die Schule konnten sie in dieser Zeit nicht normal besuchen. Die Kinder, die Lorenz und sein Team in der Spezialambulanz in Jena treffen, kämpfen ebenfalls zum Teil bis zu sechs Monate lang mit den Nachwirkungen ihrer Covid-19-Erkrankung. Weder die schwedische Fallserie noch die Erfahrungen aus Jena sind allerdings repräsentativ. Wie oft und wie lange Covid-19-Symptome Kinder nach einer akuten Erkrankung verfolgen, werden erst die kommenden Monate und Jahre zeigen, erklärt der Oberarzt.

Was genau diese Langzeitverläufe auslöst, wissen Forscher bislang nicht. Bei Erwachsenen vermuten Medizinerinnen und Mediziner, dass die körpereigene Immunabwehr überreagiert, wenn sie sich gegen das Coronavirus wehrt, und dadurch Entzündungsprozesse in Gang setzt. Diese könnten dann einige der Spätfolgen verursachen. Auch die ACE2-Rezeptoren, an denen das Virus im Körper andockt, könnten eine Rolle spielen.

Bei Kindern und Jugendlichen sind ähnliche Mechanismen denkbar. Bisher sind das allerdings nur Theorien: »Insgesamt gibt es beim Long Covid noch keine gute immunologische Aufarbeitung«, sagt Lorenz. »Ob die Beschwerden auf Grund einer Autoimmunreaktion auftreten oder eher auf Grund einer Immunschwäche, ist bislang nicht geklärt.« Die WHO beschreibt das derzeitige Wissen über Long Covid bei Kindern deshalb als »bruchstückhaft«.

PIMS: Wenn sich die Organe überall im Körper entzünden

Bereits Ende April 2020 entdeckten Mediziner und Medizinerinnen in Großbritannien zudem eine weitere Folgeerkrankung, die bei Kindern und Jugendlichen nach ein einer Ansteckung mit dem Coronavirus auftreten kann: Bei manchen kam es gut zwei bis sechs Wochen nach einer überstandenen Sars-CoV-2-Infektion zu starken Entzündungen der Organe. Auch in diesen Fällen verlief die Infektion selbst bei den meisten Betroffenen asymptomatisch. Das Phänomen wird auf Empfehlung der WHO als »multisystem inflammatory syndrome in children« (MIS-C) bezeichnet. In Deutschland nutzen Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen auch den Begriff »pediatric inflammatory multisystem syndrom« (PIMS).

Das PIMS ruft teilweise ähnliche Symptome hervor wie das Kawasaki-Syndrom. Durch die Entzündung, die meist mehrere Organsysteme befällt, haben die betroffenen Kinder oft hohes Fieber, das sich nur schwer senken lässt. Bei manchen kommt es zu Hautveränderungen. Viele müssen sich übergeben oder haben so starke Bauchschmerzen, dass die behandelnden Ärztinnen und Ärzte einen Blinddarmdurchbruch vermuten. Betrifft die Entzündung den Herzmuskel oder das Zentralnervensystem, kann es zu Schockreaktionen kommen: Einem systematischen Review mit mehr als 650 PIMS-Fällen zufolge, erleiden rund 26 Prozent der Betroffenen einen Kreislaufschock. 71 Prozent von ihnen müssen auf der Intensivstation behandelt werden, und 1,7 Prozent sterben schließlich an den Folgen der Erkrankung.

Wie viele Menschen haben sich neu angesteckt? |

Seit Kurzem häufen sich zudem Meldungen über neurologische Auffälligkeiten. In einer kleinen Fallstudie aus Großbritannien erfasste bis zum 9. Mai 2021 insgesamt 305 Fälle von bestätigtem PIMS bei Kindern und Jugendlichen. Weniger als zehn Prozent der Betroffenen entwickelten Folgeschäden, etwa an Herz oder Kreislauf. Tödliche Verläufe gab es in Deutschland laut DGPI bisher keine.

Das Immunsystem als Übeltäter

Auch bei PIMS vermuten Experten eine Beteiligung des Immunsystems. Wahrscheinlich wird die Erkrankung nicht direkt durch das Coronavirus ausgelöst, sondern durch die Immunreaktion auf den Erreger. Dafür spricht, dass der Erkrankungsbeginn bei den Betroffenen häufig mit dem Höhepunkt der Antikörperproduktion zusammenfällt und die Patientinnen und Patienten oft besonders viele Antikörper gegen die Rezeptorbindungsstelle von Sars-CoV-2 bilden. Die Autorinnen und Autoren des systemischen Reviews beschreiben PIMS daher auch als »postinfektiöses immunvermitteltes Phänomen«. Gesichert ist diese Theorie allerdings nicht.

Womöglich spielen genetische Faktoren bei der Entstehung von PIMS eine Rolle. »Es gibt starke Hinweise darauf, dass bestimmte genetische Ausprägungen die Bindung der Spike-Proteine an T-Zell-Rezeptoren begünstigen und dadurch die Entzündungsreaktionen auslösen«, erklärt Lorenz. Dafür sprechen etwa Studien, die zeigen, dass in den USA Kinder mit afro-amerikanischem und afro-karibischem Hintergrund sowie Hispanics offenbar häufiger von PIMS betroffen sind. »Bei ihnen kommen diese speziellen Genausprägungen gehäuft vor«, sagt Lorenz. Auch Kinderarzt Kobbe kann sich gut vorstellen, dass die Genetik an dieser Stelle wichtig ist. Allerdings könnten ebenso sozioökonomische Faktoren das höhere PIMS-Risiko in bestimmten ethnischen Gruppen erklären.

»Rechtzeitig erkannt, lässt sich PIMS gut behandeln«
Robin Kobbe, Facharzt für Kinder- und Jugendmedizin

»Rechtzeitig erkannt, lässt sich die Erkrankung gut behandeln«, sagt Kobbe. Etwa mit intravenösen Immunglobulinen, Kortison oder anderen entzündungshemmenden Medikamenten. Auch die Kinder und Jugendlichen, die auf Grund von PIMS in der Kinderklinik Jena betreut werden mussten, sprachen gut auf die Behandlung an. Die meisten von ihnen sind inzwischen wieder zu Hause.

Michael Lorenz rät Familien, sich wegen PIMS und Long Covid bei Kindern nicht zu sehr zu sorgen. »Wichtig ist, dass wir die Folgeerkrankungen im Blick haben und die Betroffenen mit ihren Beschwerden ernst nehmen«, sagt der Kinderarzt. »Insgesamt treten solche Komplikationen selten auf.«

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