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Sars-CoV-2: Wen Covid-19 besonders gefährdet

Ältere haben ein höheres Risiko, an Covid-19 zu sterben als Menschen unter 50. Vor allem alte Männer. Das zeigen die Erfahrungen aus Spanien, England, Italien und der Schweiz.
Alter Mann mit Schutzmaske

Von 1000 mit dem Coronavirus infizierten Menschen unter 50 Jahren stirbt im Schnitt weniger als einer. Bei Menschen jenseits der 50 hingegen ist das anders: hier sterben durchschnittlich 5 von 1000, unter ihnen mehr Männer als Frauen. Das Risiko steigt dann mit zunehmendem Alter steil an. Von 1000 Infizierten ab Mitte 70 sterben im Schnitt 116 Menschen. Diese Zahlen stammen aus den ersten detaillierten Studien über das Sterblichkeitsrisiko für Covid-19.

Der Zusammenhang zwischen Alter und Sterberisiko bei einer Corona-Infektion ist seit Beginn der Pandemie recht belastbar. Forschungsteams, die die Normalbevölkerung in Spanien, England, Italien und der Schweiz auf Antikörper getestet haben, haben dieses Risiko nun quantifiziert, sagt Marm Kilpatrick, ein Forscher für Infektionskrankheiten an der University of California, Santa Cruz. »Das gibt uns einen viel genaueren Einblick, wenn wir fragen, wie sich die Erkrankung auf eine bestimmte demografische Bevölkerungsgruppe auswirken könnte«, sagt Kilpatrick.

Die Studien zeigen, dass das Alter bei Weitem der stärkste Vorhersagefaktor für das Sterberisiko einer infizierten Person ist – eine Metrik, die Epidemiologen als Infection Fatality Rate (IFR) bezeichnen, zu Deutsch etwa Infizierten-Verstorbenen-Anteil oder Infektionssterblichkeit. Es ist der Anteil der Menschen, die mit dem Virus infiziert sind – einschließlich derjenigen, die nicht getestet wurden oder keine Symptome zeigen –, und die infolgedessen sterben.

Covid ist für 60-Jährige tödlicher als Autofahren

»Covid-19 ist nicht nur für ältere Menschen riskant, es ist auch extrem gefährlich für Menschen Mitte 50 sowie in den 60er und 70er Jahren«, sagt Andrew Levin, ein Wirtschaftswissenschaftler am Dartmouth College in Hanover, New Hampshire. Er hat geschätzt, dass Covid-19 für einen 60-Jährigen mit mehr als 50-mal höherer Wahrscheinlichkeit tödlich endet, als Auto zu fahren.

Aber »das Alter kann nicht alles erklären«, sagt Henrik Salje, ein Epidemiologe für Infektionskrankheiten an der University of Cambridge, Großbritannien. Auch das Geschlecht ist ein starker Risikofaktor. Männer sterben fast doppelt so häufig an den Folgen des Coronavirus wie Frauen. Die Unterschiede zwischen den Ländern deuten zudem darauf hin, dass das Sterberisiko auch mit den zu Grunde liegenden Gesundheitsbedingungen zusammenhängt: der Kapazität der Gesundheitssysteme beispielsweise und der Frage, ob sich das Virus in Altersheimen ausgebreitet hat.

Um das Sterblichkeitsrisiko nach Alter abzuschätzen, verwenden die Forscher Daten aus Antikörper-Prävalenzstudien, Studien also, die für die Gesamtbevölkerung abschätzen, wie viele Menschen infiziert waren. Im Juni und Juli erhielten Tausende von Menschen in ganz England einen Nadelstich-Antikörpertest per Post. Von den 109 000 zufällig ausgewählten Jugendlichen und Erwachsenen, die sich dem Test unterzogen, hatten etwa 6 Prozent Antikörper gegen Sars-CoV-2. Auf dieser Grundlage berechneten die Forscher eine Gesamt-IFR für England von 0,9 Prozent – 9 Todesfälle pro 1000 infizierten Menschen. Bei den 15- bis 44-Jährigen lag die IFR nahe null, bei den 65- bis 74-Jährigen stieg sie auf 3,1 Prozent und bei den Älteren auf 11,6 Prozent. Die Ergebnisse der Studie wurden auf dem medRxiv Preprint-Server veröffentlicht.

Eine andere Studie aus Spanien, die im April begann und bei der mehr als 61 000 Einwohner in zufällig ausgewählten Haushalten auf Antikörper getestet wurden, beobachtete einen ähnlichen Trend. Die Gesamt-IFR für die Bevölkerung betrug etwa 0,8 Prozent, blieb aber für Personen unter 50 Jahren nahe null, während sie bei Männern ab 80 Jahren auf 11,6 Prozent anstieg; bei Frauen dieser Altersgruppe lag sie bei 4,6 Prozent. Die Ergebnisse zeigten auch, dass Männer mit größerer Wahrscheinlichkeit an der Infektion sterben als Frauen – der Unterschied nimmt mit höherem Alter zu.

»Männer haben ein doppelt so hohes Risiko wie Frauen«, sagt Beatriz Pérez-Gómez, Epidemiologin am Carlos-III-Gesundheitsinstitut in Madrid, die an der spanischen Studie beteiligt war. Die Ergebnisse wurden auch auf dem medRxiv-Server veröffentlicht. Unterschiede in der Reaktion des männlichen und weiblichen Immunsystems könnten die unterschiedlichen Risiken erklären, sagt Jessica Metcalf, Demografin an der University of Princeton, New Jersey. »Das weibliche Immunsystem könnte etwas besser darin sein, Krankheitserreger frühzeitig zu erkennen«, sagt sie.

Das Immunsystem könnte auch erklären, wieso Ältere ein derart erhöhtes Risiko haben, an dem Virus zu sterben. Wenn der Körper altert, entwickelt er verschiedene leichte Entzündungen, und Covid-19 könnte das davon schon belastete Immunsystem überfordern, sagt Metcalf. Ein schwerer Verlauf von Covid-19 ist laut Metcalf tendenziell mit einer verstärkten Immunreaktion verknüpft.

Die Studie in England verglich auch Ergebnisse aus verschiedenen ethnischen Gruppen. Die Sterblichkeits- und Morbiditätsstatistiken deuten darauf hin, dass Menschen mit dunkler Hautfarbe oder südasiatischen Wurzeln in England mit höherer Wahrscheinlichkeit sterben oder ins Krankenhaus eingewiesen werden. Die von Helen Ward, einer Epidemiologin am Imperial College London, geleiteten Analyse ergab jedoch, dass diese Gruppen zwar viel wahrscheinlicher infiziert waren als Weiße, dass sie aber nicht häufiger an Covid-19 sterben.

Unterschiede zwischen den Ländern

Die Forscher stellen zudem fest, dass es zwischen einigen Ländern deutliche Unterschiede in den IFR-Schätzungen gibt, insbesondere bei Personen im Alter von 65 Jahren und älter. So ergab beispielsweise eine Genfer Studie zur Antikörper-Prävalenz eine IFR-Schätzung von 5,6 Prozent für Personen ab 65 Jahren. Diese Zahl ist deutlich niedriger als die Schätzungen in Spanien, wo der IFR für Männer und Frauen im Alter von 80 Jahren und darüber etwa 7,2 Prozent betrug, und in England, wo ein IFR von 11,6 Prozent für Personen im Alter von 75 Jahren und darüber festgestellt wurde.

Es könnte viele Erklärungen für die Unterschiede geben, sagt Andrew Azman, ein Epidemiologe für Infektionskrankheiten an der Johns Hopkins Bloomberg School of Public Health in Baltimore, der an der Genfer Studie beteiligt war. Länder mit höheren Raten so genannter Komorbiditäten – also anderen Faktoren, die die Lebenserwartung beeinflussen, wie Diabetes, Fettleibigkeit und Herzkrankheiten – haben eine höhere IFR. Länder mit Gesundheitssystemen, die bessere Bedingungen bieten für schwer erkrankte Covid-Patienten oder in denen die Krankenhäuser auf dem Höhepunkt der Epidemie nicht überlastet waren, werden jedoch bessere Überlebensraten haben, sagt er.

Einige der Unterschiede könnten darauf zurückgeführt werden, wie die verschiedenen Studien durchgeführt wurden, so die Forscher. Zum Beispiel gibt es Unterschiede in der Zuverlässigkeit der Antikörpertests, die in den verschiedenen Studien verwendet wurden, und ebenso darin, wie die Covid-19-Todesfälle erfasst wurden und wie die Forscher sich entschieden, die Populationen nach Alter aufzuteilen. Es gibt also eine gewisse Unsicherheit bei den Daten, so dass die Schätzungen der IFR in den Studien möglicherweise nicht so unterschiedlich ausfallen, wie es den Anschein hat, sagt Lucy Okell, eine Epidemiologin am Imperial College London, die an der englischen Studie beteiligt war.

»Es gibt diese Faszination für den Tod, aber Covid-19 scheint eine beträchtliche Anzahl von Langzeiterkrankungen zu verursachen«Marm Kilpatrick

Ein großer Faktor bei den unterschiedlichen Todesraten der Länder scheint jedoch die Frage zu sein, ob sich das Virus in Pflege- oder Altersheimen ausgebreitet hat, sagt Salje. An diesen Orten leben Menschen mit fragiler Gesundheit auf engem Raum zusammen, in dem sich das Virus schnell ausbreiten kann. Wenn man in der englischen Studie lediglich die Todesfälle in Pflegeheimen berücksichtigt, so steigt die IFR bei Menschen ab 75 Jahren sprunghaft von 11,6 Prozent auf 18,7 Prozent an. Salje schätzt, dass die IFR für Kanada, wo etwa 85 Prozent der Todesfälle in Pflegeheimen auftraten, deutlich höher ist, als die für Singapur, wo nur 8 Prozent der Todesfälle in Pflegeheimen auftraten.

Doch obwohl die Schätzungen von Todesfallraten wichtig sind, um das Risiko für Menschen in verschiedenen Altersgruppen zu verstehen, ist das lange nicht die ganze Geschichte gefährlicher Covid-Folgen, warnt Kilpatrick: »Es gibt diese Faszination für den Tod, aber Covid-19 scheint eine beträchtliche Anzahl von Langzeiterkrankungen zu verursachen.« Diese dürften bei der Frage der Gefährlichkeit des Virus nicht übersehen werden.

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