News: Da draußen gibt es eigentlich nichts, das Gammastrahlen erzeugen könnte.
„In anderen Wellenlängenbereichen gibt es da draußen eigentlich nichts, das Gammastrahlen erzeugen könnte. Diese Gammastrahlen liefern den ersten Beweis, daß dort draußen ein Prozeß mit hoher Energie stattfindet”, sagte Dixon, der die Entdeckung zusammen mit Dieter Hartmann, Astrophysiker an der Clemson University, und Eric Kolaczyk, Statistiker an der University of Chicago machte.
Die drei Wissenschaftler analysierten Daten, die das Energetic Gamma-Ray Experiment Telescope (EGRET) aufgenommen hatte. Das EGRET ist eines von vier Instrumenten an Bord des Compton Gamma Ray Observatory, das die Erde umkreist und unsichtbare Gammastrahlen mißt und aufzeichnet, die auf der Erde nicht entdeckt werden können, weil sie von der Erdatmosphäre absorbiert werden.
Das sichtbare Licht von Sternen und Galaxien, das mit Lichtteleskopen wahrgenommen wird, stellt nur einen Bruchteil der Energie dar, die von Himmelskörpern und anderen Erscheinungen im Weltraum abgegebenen wird. Gammastrahlen haben von allen Strahlenarten die höchste Energie, sogar mehr als Röntgenstrahlen. Zum Beispiel besitzt ein einziges Gammastrahlen-Photon aus dem neu entdeckten Halo etwa eine Milliarde mal so viel Energie wie ein Photon des normalen, sichtbaren Lichts. Gammastrahlen sind für Astrophysiker von großem Interesse, weil sie eventuell Anhaltspunkte für einige der gewaltigsten Ereignisse im Universum liefern, wie zum Beispiel den Tod eines Sterns, der zur Supernova wird, oder die Geburt einer Galaxie.
Nach Dixon ist das seltsame an der neu entdeckten Gammastrahlenwolke, daß die Photonen nicht von kompakten Quellen – wie anderen Galaxien oder schwarzen Löchern – zu stammen scheinen. „Dies ist deswegen so interessant, weil es für diese Gammastrahlen keine offensichtliche Quelle gibt, die bei astronomischen Beobachtungen in anderer Wellenlängen des zu erkennen wären”, sagte er. „Soweit wir das mit Hilfe anderer Teleskope sagen können, ist der Raum um unsere Galaxie ziemlich leer, d.h. er enthält nichts, das unserer Meinung nach Gammastrahlen in der beobachteten Helligkeitsverteilung erzeugen könnte.”
Bisher gibt es aufgrund der aktuellen Daten noch keine eindeutige Erklärung für das Phänomen. Dixon und Hartmann bieten drei Möglichkeiten an:
- Gammastrahlen werden erzeugt, wenn hochenergetische kosmische Strahlen mit niederenergetischen Photonen, z.B. sichtbarem oder infrarotem Licht zusammenstoßen;
- sie werden von Neutronensternen abgegeben, die sich rasend schnell drehen oder
- die Verteilung der Gammastrahlen liefert Beweise für dunkle Materie – die fehlende Masse im Universum, die Wissenschaftler bisher nicht direkt beobachten konnten.
Die beobachteten hochenergetischen Gammastrahlen könnten das Ergebnis des sogenannten inversen Comptoneffekts sein: Hochenergetische Elektronen, die nahezu mit Lichtgeschwindigkeit durch den Raum fliegen, kollidieren mit niederenergetischen Photonen. Dabei übertragen die Elektronen einen Teil ihrer Energie auf die Photonen und erhöhen dadurch deren Energie, so daß sie das Niveau von Gammastrahlen erreichen.
Kürzlich wurde gemeldet, daß einige andere spiralförmige Galaxien, die der Milchstraße ähnlich sind, von einem schwachen Halo aus infraroten Photonen umgeben sind. Durch Interaktion dieser Photonen mit energiereichen Elektronen könnte Gammastrahlung entstehen.
In den Zentren einiger Galaxien wurden auch sogenannte starbursts beobachtet, d.h. die rasche Bildung und Zerstörung gewaltiger Sterne. Diese Sternriesen sind kurzlebig; sie sterben in gigantischem Explosionen, sogenannten Supernovas. Die Schockwelle der Energie aus diesen Supernovas führt zur Bildung weiterer Sterne. Dadurch wird das Zentrum solcher Galaxien zu einem großen Kessel gewaltiger Aktivitäten. Ein starburst würde gewaltige Mengen kosmischer Strahlen erzeugen und somit die energiereichen Elektronen liefern, die zur Erzeugung der Gammastrahlen benötigt werden.
Die entdeckte Gammastrahlenwolke könnte Beweise dafür liefern, daß die Milchstraße einst ebenfalls eine starburst-Galaxie war, sagte Dixon. „Momentan ist diese Frage noch offen”, meinte er. „Es scheint einen noch ungeklärten Hinweis auf frühere derartige Aktivitäten im Zentrum der Milchstraße zu geben.” Von der Erde aus betrachtet, liegt das Zentrum der Milchstraße ungefähr 25.000 Lichtjahre entfernt in Richtung des Sternbildes Schütze.
Es ist auch möglich, sagte er, daß Gammastrahlen von Neutronensternen – das sind unglaublich dichte Objekte, die von einigen Supernova-Explosionen übrig geblieben sind – emittiert werden. Es ist bekannt, daß bestimmte Pulsare (Neutronensterne, die sich rasend schnell drehen und ähnlich wie bei einem Leuchtturm Strahlenbündel aussenden) fast ihre gesamte Energie als Gammastrahlen abgeben und ansonsten eigentlich unsichtbar sind. Diese Pulsare müßten jedoch in großer Zahl existieren, um das von Dixon und seinen Kollegen beobachtete Gammastrahlen-Halo erklären zu können. „Obwohl es unwahrscheinlich ist, daß sich in dem galaktischen Halo Neutronensterne gebildet haben, könnten ihre gewaltigen Sternenvorfahren auf der Ebene der Milchstraße existiert haben, wobei die Neutronensterne von den gewaltigen Supernova-Explosionen geformt wurden”, sagte er.
Eine weitere, noch faszinierendere Möglichkeit ist, daß die Wolke indirekte Beweise für dunkle Materie liefert. Die sichtbaren Galaxien der Sterne und Planeten machen nach Ansicht von Wissenschaftlern nur einen kleinen Prozentsatz der gesamten Masse des Universums aus. Sie haben berechnet, daß eine weit größere Gesamtmasse nötig wäre, um die Himmelskörper in ihren Umlaufbahnen zu halten. Physiker haben die fehlende Materie „dunkle Materie” genannt, weil sie Licht weder absorbiert noch emittiert.
Mehrere Theorien zur Erklärung der dunklen Materie wurden aufgestellt. Eine dieser Theorien führt die fehlende Masse auf gewaltige, sich gegenseitig schwach beeinflussende Partikel (sogenannte WIMPs, weakly interacting massive particles) zurück. Diese schweren Partikel – theoretische existierende Objekte, die in Experimenten auf der Erde noch nicht nachgewiesen wurden – würden gemäß der Theorie nicht mit Licht wechselwirken. Es wäre jedoch möglich, sagte Dixon, daß zwei WIMPs gelegentlich zusammenstoßen und dadurch Gammastrahlen oder Partikel aus Materie und Antimaterie erzeugt, die sich anschließend vernichten und dabei zu Gammastrahlen werden.
„Wenn man sich den großen räumlichen Bereich anschaut, aus dem die Gammastrahlen stammen, spricht sehr viel für die dunkle Materie”, glaubt Dixon. Er weist jedoch darauf hin, daß die wissenschaftliche Klärung des Phänomens immer noch ein offenes Problem ist. Das Gamma Ray Large Area Space Telescope (GLAST), das bei einer zukünftigen NASA-Mission eingesetzt werden wird, könnte nach seiner Ansicht zur Lösung des Rätsels beitragen.
„Dies sind lediglich drei mögliche Alternativen. Ich habe keinen Zweifel, daß in Zukunft noch weitere vorgeschlagen werden”, sagte er. „Die einzige Möglichkeit, wie man diese Dinge endgültig klären kann, wären bessere Daten mit Hilfe von moderneren Gammastrahlen-Teleskopen wie dem GLAST oder eine anderere eindeutige Beobachtung, die in einer anderen Wellenlänge des Lichts gemacht wird.” EGRET, eines der Instrumente an Bord des Compton Gamma Ray Observatory, wurde entwickelt, um hochenergetische Gammastrahlen zu untersuchen. Das Instrument zeichnet sowohl die Richtung als auch die Energie der Gammastrahlen-Photonen auf, aber diese „Bilder” des Gammastrahlen-Himmels sind verrauscht. Die Ursache des Rauschens ist nicht in Interferenzen zu suchen, sondern liegt in der relativ geringen Anzahl von Gammastrahlen, die auf den Detektor treffen.
Kolaczyk und Dixon entwickelten eine Technik, die sogenannte wavelets benutzt, eine relativ neue Methode zur Signalverarbeitung. Dank dieser Technik läßt sich ein Teil dieses Rauschens eliminieren und es erscheint ein klareres Bild des Gammastrahlen-Himmels. Dixon und Hartmann – beide waren im letzten Sommer Gastwissenschaftler am Max-Planck-Institut für Extraterrestrische Physik – setzten diese Technik ein, um die diffuse Gammastrahlenwolke um unsere Milchstraße zu kartographieren.
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