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Rätselhafte Galaxie »DF2«: Da ist sie ja, die Dunkle Materie

Erst sollte sie keine Dunkle Materie enthalten, plötzlich ist sie doch da: Eine neue Analyse stellt die Debatte um die mysteriöse Galaxie »DF2« auf den Kopf.
Ultradiffuse Galaxie DF2

Also, die Galaxie [KKS2000]04. Neuesten Erkenntnissen zufolge ist sie nicht besonders groß, aber auch nicht besonders klein. Sie ist nicht besonders hell, aber auch nicht besonders dunkel. Sie liegt im Sternbild Walfisch, enthält 19 bis dato bekannte Kugelsternhaufen. Sie ist mit bloßem Auge nicht sichtbar, wie die meisten Objekte, mit denen sich Astrophysiker heutzutage beschäftigen.

Die Sterne der Galaxie bringen so viel Masse auf die Waage wie rund 60 Millionen Sonnen, insgesamt ist die Galaxie jedoch noch deutlich massereicher. Wie vergleichbare Gebilde im Universum enthält sie wohl ziemlich viel Staub – und eine bis dato unbekannte, hypothetische Substanz. Diese Dunkle Materie macht vermutlich den Großteil ihrer Masse aus, sehen kann man den Stoff allerdings nicht.

Eine Galaxie ohne Dunkle Materie?

Das volle Kontrastprogramm hingegen bietet die Galaxie NGC 1052-DF2. Sie ist eine »ultradiffuse«, also kaum sichtbare Satellitengalaxie der elliptischen Galaxie NGC 1052. Sie enthält elf mit Teleskopen erkennbare Kugelsternhaufen und hat die Masse von rund 200 Millionen Sonnen. Das ist ziemlich komisch, denn die Kugelsternhaufen sind ungewöhnlich groß und hell. Von Dunkler Materie hingegen scheint jede Spur zu fehlen.

Das meint zumindest ein Team um Pieter van Dokkum von der Yale University. Er und seine Kollegen verkündeten 2018 in »Nature« die Entdeckung der »Galaxie ohne Dunkle Materie«. Das sorgte auch deshalb für Aufsehen, weil van Dokkum und seine Kollegen genau den Mangel an Dunkler Materie als Beweis für deren Existenz werteten.

Denn in einem Universum mit Dunkler Materie wäre ein galaktischer Sonderling ohne Dunkle Materie durchaus vorstellbar, seine Existenz sogar geradezu wahrscheinlich. Alternative Gravitationstheorien hingegen müssten für wirklich jede Galaxie gelten, auch für den Exoten. Und da Alternativen zu Einsteins Relativitätstheorie Probleme mit NGC 1052-DF2 hätten, wie van Dokkum argumentierte, sei die ungewöhnliche Galaxie für diese Denkschulen ein Problem.

Neue Wendung in der Debatte

Experten für alternative Theorien der Schwerkraft widersprachen dieser Deutung rasch. Und mittlerweile gibt es noch eine weitere Wendung im Streit um die Dunkle-Materie-freie-Galaxie. Eine Wendung, der zufolge van Dokkum und sein Team die ganze Sache komplett missverstanden haben könnten.

NGC 1052-DF2 ist demnach mitnichten eine Satellitengalaxie der weitaus größeren Sterninsel NGC 1052. Vielmehr könnte der mutmaßliche Ausreißer nur scheinbar am Nachthimmel in unmittelbarer Nähe der Riesengalaxie stehen. In Wahrheit handelt es sich womöglich um eine völlig normale Galaxie, um das eingangs erwähnte Objekt [KKS2000]04 – das in einer ganz anderen Entfernung durchs All treibt als NGC 1052 und das daher durchaus Dunkle Materie enthalten könnte.

NGC 1052-DF2 oder [KKS2000]04 | Auf einem Bild des Gemini-Observatoriums (gezoomter Ausschnitt) können die Forscher um Ignacio Trujillo einzelne Sterne in der verdächtigen Galaxie NGC 1052-DF2 erkennen. Insgesamt kommen die Forscher zu dem Ergebnis, dass das Objekt näher an der Erde ist als gedacht – folglich handle es sich nicht um eine Satellitengalaxie der Riesengalaxie NGC 1052. Stattdessen plädieren sie dafür, die Galaxie »[KKS2000]04« zu nennen.

Zu diesem Schluss kommt zumindest ein Team um Ignacio Trujillo vom Instituto de Astrofísica de Canarias im Fachblatt »Monthly Notices of the Royal Astronomical Society«. Den Astronomen war aufgefallen, dass all die mutmaßlichen Besonderheiten von NGC 1052-DF2 von einer einzigen Zahl abhängen: ihrer Entfernung. Bestimmt hatten die Forscher um van Dokkum die Zahl mit Hilfe der Oberflächenhelligkeit der Galaxie. Das Ganze gilt als kompliziertes, kniffliges Verfahren.

Auf die Distanz kommt es an

Die Gruppe um Trujillo schaute also noch einmal genauer hin. Zunächst entdeckte das Team in der Galaxie weitere Kugelsternhaufen. Statt elf, wie von van Dokkum vermutet, scheint die Galaxie 19 von ihnen zu enthalten. Und dann ließen die Forscher um Trujillo gleich fünf verschiedene Methoden der Distanzmessung auf die Galaxie los. Innerhalb der Messgenauigkeiten ergab die Analyse, dass die Galaxie gar nicht so weit weg zu sein scheint. Statt 64 Millionen Lichtjahren ist sie lediglich 42 Millionen Lichtjahre von uns entfernt, so Trujillo und sein Team. Statt im Umfeld von NGC 1052 bewege sie sich im Schwerefeld einer anderen großen Galaxie namens NGC 1042.

Die Differenz in der Entfernung ist entscheidend für die Interpretation der Vorgänge in der Galaxie: Wenn die neue Messung stimmt, ist diese weder ultradiffus noch enthält sie Kugelsternhaufen, die eigentlich zu hell und zu groß sind. Das wiederum beeinflusst die geschätzte Gesamtmasse der Sterne der Galaxie, die bei geringerer Entfernung deutlich kleiner ausfallen würde – wodurch auf einmal doch noch Platz für Dunkle Materie wäre.

Deshalb verwenden Trujillo und seine Kollegen in ihrer Studie den ursprünglichen Namen der Galaxie, [KKS2000]04. Die von van Dokkum gewählte Bezeichnung NGC 1052-DF2 würde ja darauf hindeuten, dass es sich bei der Galaxie um eine Satellitengalaxie von NGC 1052 handelt, was aber wohl nun nicht der Fall sein soll. Der Unterschied zwischen ganz gewöhnlich und kosmologischem Mysterium: Manchmal steckt er eben auch in einem Namen.

Ist die Sache damit nun endlich geklärt? Nun, nicht ganz. Pieter van Dokkum und seine Kollegen wollen noch eine weitere Galaxie ohne Dunkle Materie gefunden haben: NGC 1052-DF4; sie soll ebenfalls eine Satellitengalaxie von NGC 1052 sein. Ignacio Trujillo will auch bei dieser Galaxie eine viel geringere Distanz gemessen haben, wie er zusammen mit einem Kollegen jüngst auf dem Preprint-Server Arxiv verkündete.

Genau wie NGC 1052-DF2 könnte die weit entfernte Sterninsel ebenfalls ganz normal sein und Dunkle Materie enthalten. Dass damit das letzte Wort in der Debatte gesprochen ist, ist fraglich. Erst muss sich zeigen, ob die Entfernungsmessung von Trujillo und Kollegen wirklich korrekt ist, was wohl erst neue Beobachtungsdaten zeigen werden.

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