Mikrobiom: Darmflora der Extreme entdeckt
Bei der Untersuchung einer isoliert lebenden Gruppe von Amazonasindianern sind Wissenschaftler auf die bislang vielfältigste Gemeinschaft körpereigener Bakterien gestoßen. Zur Überraschung der Forscher offenbarten einige der Mikroben sogar Anzeichen von Resistenz gegenüber Antibiotika – und das obwohl die Gruppe vom Stamm der Yanomami nicht mit modernen Medikamenten in Berührung gekommen sein soll.
"Wir wussten, dass die Mikrobengemeinschaft auf den Yanomami wahrscheinlich vielfältiger sein würde, aber das Ausmaß hat uns dann doch überrascht", erklärt Maria Gloria Dominguez-Bello. Die Expertin für mikrobielle Ökologie forscht an der New York University und zählt zu den Verfassern der aktuellen Studie in "Science Advances".
Die Arbeit ist Teil einer wachsenden Zahl an Mikrobiomstudien. So zeigte sich etwa bereits, dass mikrobielle Gemeinschaften, die den menschlichen Körper besiedeln, ein Quell neuer Wirkstoffe sein können. Auch lieferte der Vergleich des Mikrobioms verschiedener Ethnien Hinweise auf Leben und Wanderbewegungen früher Menschen.
Ursprüngliche Vielfalt in der Darmflora
Noch immer aber sind nicht alle Faktoren verstanden, die über die Zusammensetzung des individuellen Mikrobioms bestimmen. "Wir wissen, dass Ernährung, Umwelt und Chemikalien eine ganz große Rolle spielen", sagt der Mikrobiologe Sarkis Mazmanian vom California Institute of Technology in Pasadena. Die verbreitete Einnahme von Antibiotika, ausgeprägte Hygiene und der Verzehr von Fertigprodukten hat nach Meinung der Forscher dazu geführt, dass in der westlichen Welt die Vielfalt von Darm- und Hautbakterien zurückgegangen ist.
Das mache das Mikrobiom der einzelnen Yanomami besonders interessant, meint Dominguez-Bello. Die Wissenschaftler nahmen Proben aus dem Mund, von der Haut und aus dem Kot von 34 Bewohnern des kleinen Dorfs in Venezuela, das erst im Jahr 2008 vom Helikopter aus entdeckt wurde und zuvor der westlichen Welt unbekannt war. Ein Ärzteteam stellte 2009 Kontakt her, dennoch blieb die Gruppe vergleichsweise isoliert – aus diesem Grund besuchte auch nur ein einzelnes Mitglied des Forscherteams das Dorf für die Entnahme der Proben.
Bei der Analyse der Yanomami-Proben fanden die Forscher im Schnitt doppelt so viele mikrobielle Gene, wie sie typischerweise bei US-Amerikanern auftreten. Überraschenderweise entpuppte sich das Yanomami-Mikrobiom als noch einmal vielfältiger als das anderer ursprünglich lebender Ethnien aus Südamerika und Afrika.
Antibiotikaresistenz ohne Antibiotika?
Fasziniert waren die Wissenschaftler außerdem von der Entdeckung einiger Gene, die Resistenz gegenüber natürlichen und synthetischen Antibiotika vermitteln. Dem Evolutionsbiologen Kenneth Kidd von der Yale University in New Haven zufolge lässt sich jedoch nur schwer über den Ursprung dieser Resistenzgene spekulieren.
Auch wenn der Großteil der Yanomami-Gruppen über die vergangenen 11 000 Jahre von der Außenwelt abgeschnitten war, sind doch einige Gemeinschaften des Stamms seit Mitte des 20. Jahrhunderts intensiv von Ethnologen untersucht worden. Die 34 Teilnehmer der aktuellen Studie hatten nur mit wenigen Fremden Kontakt gehabt – lediglich mit einigen Mitarbeitern des Medizinerteams –, aber: "Mikroben bewegen sich schneller als der menschliche Kontakt", sagt Kidd. Bodenbelastung und Handel könnten beispielsweise genug Antibiotika verbreiten, um Resistenzbildung anzuleiern.
Trotzdem sei die aktuelle Untersuchung wegweisend, meint Mazmanian: "Viele Forscher haben spekuliert, dass das frühzeitliche Mikrobiom deutlich vielfältiger war. Dank dieser Genanalyse haben wir eine Art Schnappschuss unserer mikrobiellen Vergangenheit bekommen, der das belegt."
Auch in näherer Zukunft könnten die Yanomami-Proben noch für einige Entdeckungen gut sein: Das Forscherteam hat die gesammelten Bakterien kultiviert und eingelagert, um sie einer genaueren Analyse und Charakterisierung unterziehen zu können.
Dieser Artikel ist eine exklusive Übersetzung von "Bacteria bonanza found in remote Amazon village", Nature 10.1038/nature.2015.17348
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