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Vergiftungsfälle in Istanbul: Darum ist Aluminiumphosphid so giftig

Wie genau das Pestizid tötet, diskutieren Fachleute bis heute. Bekannt ist aber, dass es die wichtigsten chemischen Prozesse im Körper stört. Ein Überblick über seine Wirkung.
Eine silberne Röhre mit der Aufschrift "Aluminum Phosphide Tablets" liegt auf einem roten Hintergrund. Neben der Röhre sind mehrere runde, graue Tabletten zu sehen. Auf der Röhre ist ein Totenkopf-Symbol abgebildet, das auf die Gefährlichkeit des Inhalts hinweist.
Pellets aus Aluminiumphosphid, die an der Luft Phosphin freisetzen, sind weltweit ein verbreitetes Insektizid gegen Vorratsschädlinge und Insekten wie Bettwanzen.

Dieser Artikel wurde erstmals am 19.11.2025 veröffentlicht.

Das Insektizid Aluminiumphosphid, das derzeit als wahrscheinliche Ursache für den Tod einer vierköpfigen Familie während eines Aufenthalts in Istanbul gilt, ist ein weitverbreitetes Schädlingsbekämpfungsmittel. In vielen Ländern ist es frei erhältlich, doch es ist auch berüchtigt. Ein großer Teil der jährlich rund 300 000 Todesfälle durch Pestizidvergiftungen geht auf den einfach einzusetzenden, sehr wirksamen, aber auch hochgiftigen Stoff zurück.

Wirkstoff ist nicht das Aluminiumphosphid selbst, sondern sein Zersetzungsprodukt, das sich beim Kontakt mit der Luftfeuchtigkeit bildet. Bei der chemischen Reaktion von Aluminiumphosphid mit Wasser entsteht das Gas Phosphin, das für Insekten und Säugetiere hochgiftig ist. In geringen Konzentrationen ist Phosphin harmlos und reagiert an der Luft binnen weniger Tage zu Phosphat. Auch das bei der Freisetzung von Phosphin entstehende Aluminiumhydroxid ist unschädlich.

Deswegen bekämpft man Schädlinge in abgeschlossenen Getreidesilos gerne mit Aluminiumphosphid; die Anlagen lassen sich nach dem Gebrauch einfach belüften. Das Gas ist außerdem schwerer als Luft, sodass man den Wirkstoff auch verwendet, um Ratten oder Wühlmäuse in ihren Tunneln zu bekämpfen, zum Beispiel wenn sie Deiche untergraben. Man nutzt Phosphin außerdem gegen Insekten, die sich in schwer zugänglichen Hohlräumen verstecken, wie Bettwanzen. Innerhalb von Gebäuden allerdings wird Phosphin zur Gefahr. Als Gas kann es sich etwa über Belüftungssysteme oder Hohlräume in den Wänden auch in nicht behandelte Bereiche verbreiten – wie es womöglich in Istanbul der Fall war.

Wie Phosphin in der Zelle wirkt

Kurioserweise ist nicht völlig klar, warum Phosphin so außerordentlich giftig ist. Ein wichtiger Faktor ist, dass das Gas wichtige Teile der Atmungskette in der Zelle stört. Es beeinflusst unter anderem das Enzym Cytochrom-C-Oxidase. Dessen Aufgabe ist es, in den Mitochondrien ein elektrochemisches Potenzial zu erzeugen, mit dem diese Zellkraftwerke dann den entscheidenden Energieträger ATP herstellen. Dessen Produktion sinkt während der Phosphinvergiftung deutlich ab.

Allerdings scheint dieser Prozess in Lebewesen nicht komplett blockiert zu sein. Deswegen sind weitere Faktoren beteiligt; zum einen stört das Gas auch andere Enzyme der Atmungskette, zum anderen behindert es die Aufnahme von Sauerstoff in der Zelle. Dadurch herrscht in den Zellen Sauerstoffmangel, während gleichzeitig große Mengen aggressiver Sauerstoffradikale entstehen. Diese schädigen Zellbestandteile direkt und verschieben das oxidative Gleichgewicht der Zellen, sodass viele wichtige Reaktionen nicht mehr korrekt ablaufen.

Was genau bei der Phosphinvergiftung zum Tod führt, ist deshalb bisher unklar. Doch durch diese Kombination von Energie- und Sauerstoffmangel und oxidativem Stress schädigt Phosphin viele Gewebetypen. Weil die Muskelzellen von Blutgefäßen und Herz geschädigt sind, verursacht es Herz-Kreislauf-Probleme, und die Zerstörungen in anderen Geweben lassen Organe versagen, besonders solche mit hohem Sauerstoffbedarf wie Lunge, Herz und Nieren.

Dass es bisher kein Gegenmittel und keine effektive Behandlung für Vergiftungen mit Aluminiumphosphid gibt, liegt einerseits daran, dass Phosphin so viele unterschiedliche Systeme beeinflusst und die Zellen sehr schnell direkt schädigt. Andererseits treten die allermeisten dieser Vergiftungen in ärmeren Ländern auf, und dort vor allem bei der ländlichen Bevölkerung.

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  • Quellen
Yadav, D. et al, Clinica Chimica Acta 2021, 10.1016/j.cca.2021.05.026

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