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News: Das Eisen und die Eiszeit

Es klingt so einfach: Man nehme etwas Eisen und dünge damit die Ozeane, und schon wären Unmengen von Kohlendioxid im Phytoplankton gebunden. Einst als Spinnerei verspottet, trieb die Idee bald zahllose Forscher um. Nun zeigen drei Arbeitsgruppen mit ihren Ergebnissen vom Southern Ocean Iron Release Experiment (SOIREE), dass die Idee alles andere als skurril ist - wenn auch mitnichten der geeignete Ausweg aus der Klimakrise.
Als John Martin 1993 starb, hinterließ er der Welt eine waghalsige Theorie. Eine Theorie, die bis weit in die Gesellschaft hinein kontrovers diskutiert wird. John Martin glaubte nämlich, dass er die Lösung für eines der großen Rätsel der Meerforscher fand: Warum ist das Wachstum planktonischer Algen in weiten Bereichen der Meere gehemmt, obwohl es ihnen eigentlich an nichts fehlen dürfte? Alle Nährstoffe sind im Überfluss vorhanden – außer Eisen! Das war Martins Idee, den Pflanzen fehlten Spuren von Eisen, das andernorts kontinuierlich von den Landmassen herangeweht wird. Das eigentlich Spektakuläre daran war allerdings die Schlussfolgerung, dass umgekehrt Düngung mit Eisen die Algenproduktion steigern müsste. Könnte auf diese Weise der Atmosphäre das Treibhausgas Kohlendioxid entzogen werden, liegt hier gar der Ausweg aus dem globalen Treibhaus? Schließlich, so schätzte Martin, würde sich das Algenwachstum auf diese Weise um das Zwölffache steigern lassen.

In Laborversuchen hatte Martin längst Recht bekommen, dennoch kämpfte er lange Jahre um die nötigen Mittel für ein Experiment auf hoher See. Erst wenige Monate nach seinem Tod war es soweit, seine ehemaligen Mitstreiter behandelten eine gut acht mal acht Kilometer große Fläche südwestlich der Galapagos-Inseln mit einigen Hundert Kilogramm gelöstem Eisen. Schon einen Tag später war Martins Idee bestätigt: Die Algen reagierten spontan auf die Eisenzufuhr und verdreifachten ihr Wachstum. Weniger als Martin glaubte, aber ausreichend, um der Expedition zu durchschlagendem Erfolg zu verhelfen.

In den folgenden Jahren wurde heftig über das Für und Wider derlei Experimente in der Natur gestritten. Eines davon war das Southern Ocean Iron Release Experiment (SOIREE), das Anfang 1999 in einem Gebiet im Südlichen Ozean zwei Tausend Kilometer südsüdwestlich von Tasmanien begann. Die Besatzung der RV Tangaroa lief ein rund acht Quadratkilometer großes Gebiet an, in dem sie etwa 8 700 Kilogramm einer Eisenlösung ausbrachte. Auf der Basis ständig entnommener Proben und mithilfe von Satellitenbildern verfolgten die Wissenschaftler die Entwicklung des Algenteppichs. Die Ergebnisse stellen die zahlreichen daran beteiligten Arbeitsgruppen jetzt in der Nature-Ausgabe vom 12. Oktober 2000 vor.

Philip Boyd vom Centre for Chemical & Physical Oceanography der University of Otago in Dunedin, Neuseeland, beobachtete mit seinen Kollegen innerhalb von nur zwei Tagen nach der Eisendüngung einen Anstieg der Primärproduktion des Phytoplanktons. Damit bestätigten sich die Beobachtungen vorhergegangener Experimente. Im Laufe der nächsten 13 Tage nahm die Menge an organisch gebundem Kohlenstoff genauso kontinuierlich zu wie die des Chlorophylls, das sich am Ende verdreifacht hatte. Insgesamt waren diese Steigerungen nach Meinung der Arbeitsgruppe allerdings auf eine Verschiebung von klein- zu großzelligen Arten zurückzuführen. Vor allem die Kieselalgen (Diatomeen) können unter guten Bedingungen so groß werden, dass sie nicht mehr zum Nahrungsspektrum planktonfressender Meeresbewohner gehören.

Edward Abraham vom National Institute for Water and Atmospheric Research (NIWA) im neuseeländischen Wellington interessierte sich insbesondere für das Langzeitverhalten des auf diese Weise entstandenen Algenteppichs. Satellitenaufnahmen zeigten, dass sich in der Meersströmung nach einem Monat eine 150 Kilometer lange und vier Kilometer breite Zone herausgebildet hat, in der die Chlorophyllgehalte noch immer dreimal so hoch waren wie vor dem Experiment. Die Biomasse hatte in dieser Zeit zwischen 600 und 3 000 Tonnen Kohlenstoff gebunden. Allerdings, so räumt Abraham ein, nichts von alledem wurde dem Kohlenstoffkreislauf langfristig entzogen, indem es auf den Meeresboden sank, um dort in die Sedimente eingebunden zu werden. Im Gegenteil, die Sedimentationsrate abgestorbenen Planktons verringerte sich sogar, und zwar vermutlich, weil die Diatomeen an reich gedecktem Tisch zwar größer, aber auch leichter werden.

John Martins zahllose Auftritte in Talk-Shows hatten ihre Ursache auch in einem berühmten Ausspruch, der ihm den Spitznamen Iron Man einbrachte: "Gebt mir ein Tankschiff halb voll mit Eisen, und ich mache Euch eine neue Eiszeit". Martin glaubte, dass das Geheimnis der Eiszeiten im Phytoplankton liegen könnte. Wenn ein großer Teil des Wassers in Gletschern und Eiskappen gebunden ist, liegt der Meeresspiegel tiefer, von den Landmassen können also größere Mengen von Staub – und damit Eisen – in die Meere verfrachtet werden. Die Düngung lässt das Phytoplankton gedeihen, das Treibhausgas Kohlendioxid wird der Atmosphäre entzogen, ergo kühlt es weiter ab. Das Phytoplankton der Meere als bedeutsamer Regulator des globalen Klimas? Darauf fand die SOIREE-Expedition keine Antwort, denn letztlich wird das Kohlendioxid nur dann langfristig dem atmosphärischen Kohlenstoffkreislauf entzogen, wenn es in den Sedimenten am Meeresboden verschwindet.

Doch was vielleicht in der Kürze des Experiments lag, sollte wenigstens als Grundlage für eine numerische Modellierung der Daten sein. Eine Arbeitsgruppe um Andrew Watson von der School of Environmental Sciences der University of East Anglia berechnete den Einfluss variierender Eiseneinträge auf die atmosphärische CO2-Konzentration während der letzten 400 000 Jahre. Neben den Daten aus dem SOIREE-Experiment waren auch Auswertungen arktischer und antarktischer Eiskerne Grundlage des Modells. Aus ihnen können Forscher sowohl die globalen Eisenflüsse abschätzen als auch die Veränderungen der Kohlendioxidgehalte während der letzten Warm- und Kaltzeiten. Der Vergleich der berechneten CO2-Gehalte mit den in den Eiskernen gemessenen ergab eine erstaunlich gute Übereinstimmung. Watson belegte damit insbesondere die weitgehegte Meinung, der Zeitraum zwischen Ursache und Wirkung – dem Eisenfluss und den CO2-Gehalten – sei für eine direkte Korrelation viel zu lang.

Letzlich sind es also die Modellierer um Andrew Watson, die John Martins These bestätigten. Am Computer zwar, und weniger deutlich, als Martin es sich gewünscht hätte, aber immerhin: "Das Experiment zeigt, dass eine mäßige Steuerung des atmosphärischen Kohlendioxidgehaltes durch das Ausbringen von Eisen im Südlichen Ozean prinzipiell möglich ist." Steckt in diesem einen Zitat nun der Ausweg aus der Klimakatastrophe? Mitnichten, denn die Wechselwirkungen der Ozeane mit der Atmosphäre sind viel zu komplex, und die Veränderung eines Parameters würde bisher ungeahnte Folgen auf das ganze Ökosystem mit sich bringen. Die globalen Windsysteme mit ihren Staubfrachten etablierten sich im Laufe geologischer Zeiträume, ein künstlicher Eingriff wäre somit eine Störung der empfindlichen Gleichgewichte. So könnte eine Steigerung der Phytoplankton-Produktion zu derart erhöhten Einträgen organischer Substanz in die Tiefsee führen, dass sich hier anaerobe (sauerstofffreie) Milieus einstellen, in denen es beispielsweise zur vermehrten Bildung von Methan käme – einem der wirksamsten Treibhausgase. Am Ende könnten derlei Experimente in großem Stil genau das Gegenteil von dem bewirken, was sich John Martin einst erhoffte.

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