Kamtschatka: Das Erdbeben von Kamtschatka ist ein Wiederholungstäter

Ein sehr schweres Erdbeben vor der russischen Halbinsel Kamtschatka sendet eine Tsunamiwelle quer über den Pazifik. Mit einer Moment-Magnitude von 8,8 ist es weltweit eines der zehn stärksten jemals aufgezeichneten Erdbeben. Nach ersten Informationen von Kamtschatka gab es dort mehrere Verletzte, Fotos zeigen beschädigte Gebäude. Die größte Gefahr geht jedoch vom Tsunami aus. Bis zu vier Meter hohe Flutwellen vermeldeten die russischen Behörden in Kamtschatka. Doch das war erst der Anfang. Warnbojen im Pazifik registrierten auf dem offenen Meer eine rund 90 Zentimeter hohe Wellenfront, die sich Richtung Westen und Süden ausbreitete und derzeit auf die Küsten rund um den Pazifik trifft.
Das heftige, insgesamt drei Minuten dauernde Beben fand laut ersten Daten direkt an einer Kontaktzone statt, an der der dichte, schwere Meeresboden der Pazifischen Platte unter die leichtere Ochotskische Platte abtaucht. Diese sogenannte Subduktionszone ist Teil des Pazifischen »Feuerrings«, bei dem rund um den Ozean solche abtauchenden ozeanischen Platten Erdbeben und Vulkanketten erzeugen. Wegen der großen Kontaktfläche entstehen dort die schwersten Erdbeben des Planeten.
Besonders heimtückisch sind diese Überschiebungsbeben, weil sich dabei große Abschnitte der Erdkruste auf und ab bewegen. Die übergleitende Kontinentalplatte wird im Zeitraum zwischen den Erdbeben langsam gestaucht und aufgewölbt. Reißt die Kontaktstelle der Gesteine, schnellen riesige Flächen des Meeresbodens nach vorne - und können so sehr große Tsunamis verursachen. In Japan, das dem Beben am nächsten ist, aber durch seine Lage nicht die volle Kraft des Tsunamis abkriegt, meldeten die Behörden bereits bis zu 1,3 Meter hohe Wellen.
Bemerkenswert ist, dass an der gleichen Stelle vor nicht allzu langer Zeit bereits ein Beben stattfand, das sogar noch schwerer war. Im Jahr 1952 erzeugte ein Beben der Magnitude 9,0 einen schweren Tsunami, der auf Kamtschatka und den Kurilen rund 10 000 Menschen das Leben kostete und noch auf Hawaii eine über drei Meter hohe Welle erzeugte. Das jetzige Beben setzte jedoch nur halb so viel Energie frei wie jenes 73 Jahre zuvor und bewegte den Meeresboden wohl ungewöhnlich wenig für so ein starkes Beben, deswegen ist der Tsunami deutlich kleiner als der historische Vorgänger. So vermeldet Hawaii bis zu 1,7 Meter hohe Wellen, an der Westküste Nordamerikas berichten Medien von Tsunamis bis zu einem Meter Höhe. Allerdings können auch solche Wellen gefährlich werden, denn ein Tsunami ist, anders als eine Sturmwelle, tatsächlich ein Wasserberg, der über das Meer rast. Entsprechend setzt selbst ein kleiner Tsunami an der Küste enorm viel Energie frei und kann nahe am Ufer lebensgefährlich sein.
Doppelschlag binnen eines Jahrhunderts
Offen ist bisher, weshalb der gleiche Abschnitt der Verwerfung innerhalb von nur 73 Jahren gleich zwei derart heftige Beben hervorbringen kann. Erdbeben bauen Spannungen im Gestein ab, und je größer das Beben, desto mehr Spannung wird abgebaut. So gab es am 20. Juli bereits ein Beben der Magnitude 7,4 an der gleichen Verwerfung, doch das setzte nur ein dreiviertel Prozent der Energie des aktuellen Bebens frei.
Man würde deswegen erwarten, dass es viele Jahrhunderte dauert, bis sich an der gleichen Stelle erneut genug Spannung für ein schweres Erdbeben aufgebaut hat. So fand auf der gegenüberliegenden Seite des Pazifiks im Jahr 1700 ein ebenso schweres Beben an der Subduktionszone vor Vancouver Island statt. Das nächste dieser Cascadia-Beben, gefürchtet wegen der möglichen Auswirkungen in der dicht besiedelten Region, lässt seither auf sich warten. Für diesen großen Unterschied im Abstand zwischen den Beben sind vermutlich zwei Faktoren verantwortlich. Zum einen ist die Pazifische Platte weit älter und kälter als die abtauchende Juan-de-Fuca-Platte vor Nordamerika und entsprechend dichter. Womöglich taucht sie deswegen williger in den Erdmantel ab, und die beiden Platten verkeilen sich nicht so stark. Zum anderen bewegt sich die Pazifische Platte vor Kamtschatka beinahe doppelt so schnell wie die Juan-de-Fuca-Platte - entsprechend rascher baut sich Spannung auf. Beide Faktoren tragen wahrscheinlich zu dem sehr kurzen Abstand zwischen den beiden Megabeben bei.
Während der Tsunami die Küsten rund um den Pazifischen Ozean trifft, registrieren Seismometer vor Kamtschatka kleinere Nachbeben. Ihre Verteilung wird dabei helfen, dieses neueste Megabeben genauer zu entschlüsseln und beispielsweise herauszufinden, wie lang das gebrochene Segment der Verwerfung ist und auf welcher Fläche sich das Gestein bewegte. Erste Daten deuten darauf hin, dass der Meeresboden ausgehend vom Epizentrum in Richtung Südwesten auf einer Länge von mindestens 300 Kilometern gebrochen ist - bis weit über die Südspitze von Kamtschatka hinaus.
Angesichts der enormen dabei freigesetzten Energiemenge ist es ein großes Glück, dass das Erdbeben in einer wenig besiedelten Region stattfand. Selbst auf Kamtschatka sind die Schäden, gemessen an der Gewalt des Bebens, vermutlich nicht allzu groß, denn zwischen dem Epizentrum und den nächsten Ortschaften liegen mehr als 100 Kilometer. Und rund um den Ozean verhinderten ausgefeilte Tsunami-Warnungen, dass Menschen zu Schaden kamen. Doch das ist keineswegs der Normalfall. Die gigantischen Beben an den Subduktionszonen, an denen sich Erdplatten übereinanderschieben, haben in der Vergangenheit enorme Katastrophen mit zehntausenden Toten ausgelöst. Und sie werden es wieder tun.
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