Direkt zum Inhalt

Statik: Das Fahrrad, das nicht rollen dürfte

Fahrradfahren will gelernt sein. Manche Kindheitserinnerung an Stürze bei den ersten Versuchen, das Fahrzeug trotz gerade abmontierter Stützen aufrecht zu halten, schmerzen noch im Erwachsenenalter. Dass die ersten Fahrradfahrten so schwerfallen, verwundert allerdings, denn die Räder können ab einem gewissen Tempo selbst ohne Fahrer doch ein ganzes Stück weit rollen, bevor sie umfallen. Die Gründe dafür glaubte man seit 100 Jahren genau zu kennen. Niederländische und US-amerikanische Forscher haben nun jedoch die entsprechenden Effekte getestet – und herausgefunden, dass es auch ohne sie geht.

Prototyp im Detail | Die zwei Rädchen dieses Testfahrrads trieben Scheiben an, die den Drall der Rädchen kompensierten. Außerdem waren Fahrradgabel und Rahmen so gebaut, dass der Nachlauf umgekehrt wurde.
Das erstaunliche Rollvermögen eines fahrerlosen Fahrrads rührt daher, dass es von selbst in die Richtung steuert, in die es fällt, und sich dadurch wieder aufrichtet. Zwei Effekte werden dafür verantwortlich gemacht: Erstens versuchen drehende Räder – wie ein Kreisel – die Orientierung ihrer Drehachse beizubehalten. Kippt das Fahrrad zum Beispiel nach rechts, steuert das Vorderrad ebenfalls nach rechts, um sein Kippen auszugleichen.

Zum Zweiten wirkt, dass die Fahrradgabel und das Vorderrad zusammen ähnlich aufgebaut sind wie die Rädchen eines Einkaufswagens. Letztere sind über ein Gelenk mit dem Einkaufswagen verbunden, das sich vor dem Rädchen befindet. Wenn der Einkäufer den Wagen dreht, folgt das Rädchen dem Gelenk und dreht sich in die neue Richtung. Beim Fahrrad liegt der Punkt, an dem die gedachte Verlängerung der Fahrradgabel auf den Boden trifft, ebenfalls vor dem Punkt, an dem der Reifen die Erde berührt – man spricht vom Nachlauf. Dieser Nachlauf verursacht eine Kraft auf das Vorderrad, wenn sich das Fahrrad neigt, so dass es sich in die Neigungsrichtung dreht und wieder aufrichtet.

Fahrerlos rollendes Testfahrrad | Nach bisherigen Annahmen über die Stabilität von eigenständig rollenden Fahrrädern dürfte dieser Drahtesel der Technischen Universität Delft nicht stabil rollen. Er tut es trotzdem.
Die Forscher um Jodi Kooijman von der Technischen Universität Delft haben nun beide Effekte neutralisiert. Die zwei Rädchen ihres Testfahrrads trieben Scheiben an, die den Drall der Rädchen kompensierten. Außerdem waren Fahrradgabel und Rahmen so gebaut, dass der Nachlauf umgekehrt wurde. Der Kontaktpunkt des Reifens zum Boden lag also vor der gedachten Verlängerung der Fahrradgabel. Dennoch vollzog das Fahrzeug die nötigen Ausgleichbewegungen, um beim fahrerlosen Rollen nicht umzukippen.

Neben anderen Gründen sorge daher vor allem die Verteilung der Masse und die Neigung der Fahrradgabel für die Stabilität, schreiben die Forscher. Die bisherigen Gewissheiten hätten zu einer Blockade beim Fahrraddesign geführt, sagt Mitautor Andy Ruina. Die Arbeit zeige, dass andere, vielleicht nutzerfreundlichere Fahrradmodelle möglich wären. (cm)
© Science/AAAS
Fahrrad, das Basisexperiment

© Science/AAAS
Kippt es?

© Science/AAAS
In Zeitlupe

Schreiben Sie uns!

Beitrag schreiben

Wir freuen uns über Ihre Beiträge zu unseren Artikeln und wünschen Ihnen viel Spaß beim Gedankenaustausch auf unseren Seiten! Bitte beachten Sie dabei unsere Kommentarrichtlinien.

Tragen Sie bitte nur Relevantes zum Thema des jeweiligen Artikels vor, und wahren Sie einen respektvollen Umgangston. Die Redaktion behält sich vor, Zuschriften nicht zu veröffentlichen und Ihre Kommentare redaktionell zu bearbeiten. Die Zuschriften können daher leider nicht immer sofort veröffentlicht werden. Bitte geben Sie einen Namen an und Ihren Zuschriften stets eine aussagekräftige Überschrift, damit bei Onlinediskussionen andere Teilnehmende sich leichter auf Ihre Beiträge beziehen können. Ausgewählte Zuschriften können ohne separate Rücksprache auch in unseren gedruckten und digitalen Magazinen veröffentlicht werden. Vielen Dank!

  • Quellen

Partnerinhalte

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.