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News: Das ganze Sechseck

Zwar gelingt mit dem Rastertunnelmikroskop der einzigartige Blick auf atomare Landschaften, doch mitunter wird die Topographie nicht ganz richtig wiedergegeben. Mit einigen Tricks zeigen sich aber auch ansonsten unsichtbare Atome.
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Ob als Schmiermittel oder Bleistiftmine, Graphit dürfte in der einen oder anderen Form in fast jedem Haushalt vorhanden sein. Hinzu kommen unzählige industrielle Anwendungsgebiete. Diesen Erfolg hat die Kohlenstoffmodifikation ohne Zweifel ihrer Kristallstruktur zu verdanken, die ihr besondere physikalische Eigenschaften verleiht.

So besteht Graphit aus einem Schichtgitter übereinander liegender Ebenen aus Kohlenstoffsechsringen. Dabei bilden drei der vier zur Verfügung stehenden Valenzelektronen des Kohlenstoffs die Bindung zu drei Nachbaratomen in der Ebene und spannen so das sechseckige Gitter auf. Das jeweils vierte Valenzelektron befindet sich bevorzugt senkrecht zum Sechseckgitter in einem so genannten p-Orbital, das zusammen mit weiteren p-Orbitalen benachbarter Atome ebenfalls eine Bindung aufbaut, die sich über die ganz Schicht erstreckt.

Zwischen den Graphitschichten wirken hingegen nur schwache Restbindungen, was die geringe Härte des Graphits und seine guten Schmiereigenschaften erklärt. Verschiedene Stapelfolgen sind hier möglich, wobei sich die einzelnen Graphitebenen etwas zueinander verschoben übereinander schichten. So kommt es, dass nicht jedes Kohlenstoffatom einen Nachbarn unter sich hat. Genauer gesagt: Nur jedes zweite Atom befindet sich genau über einem anderen.

Diese Stapelfolge bewirkt einen seltsamen Effekt, wenn man mit einem Rastertunnelmikroskop (RTM) eine Graphitoberfläche betrachtet. Zwar ist mit diesem Mikroskop durchaus eine atomare Auflösung möglich, doch lässt sich mit ihm nur die Position jedes zweiten Kohlenstoffatoms bestimmen, nämlich genau derer, die keinen unteren Nachbarn haben – die so genannten Beta-Atome. Kohlenstoffatome, die jedoch einen unteren Nachbarn besitzen – die Alpha-Atome –, sind nicht zu erkennen, denn hier halten sich die Elektronen bevorzugt zwischen den Schichten auf, wo sie nicht zum Tunnelstrom beitragen können, den das Mikroskop misst.

Dieses Problem herkömmlicher Rastertunnelmikroskope ist nun das Team um Stefan Hembacher von der Universität Augsburg zusammen mit dem amerikanischen Kollegen Calvin Quate von der Stanford University angegangen. Die Forscher verwendeten eine Kombination aus einem RTM und einem verwandten Gerät, dem Rasterkraftmikroskop (AFM), um die bislang versteckten Alpha-Atome sichtbar zu machen. Doch ein wenig mehr Aufwand als den Einsatz eines Kombigeräts bedurfte es schon: So musste die Apparatur mit flüssigem Helium unterhalb von fünf Kelvin gekühlt werden, um thermisch angeregte Bewegungen der Probe möglichst zu vermeiden. Ein 30 Tonnen schweres Spezialfundament sorgte außerdem wirkungsvoll dafür, dass keine Erschütterungen den Messprozess störten.

Auf diese Weise ließen sich tatsächlich die winzigen Kräfte im Pikonewtonbereich messen, welche zwischen der Graphitoberfläche und der Messspitze wirkten. Anders als sonst bei einem AFM üblich waren sie jedoch nicht anziehender Natur, sondern abstoßend. Denn Hembacher und seinen Kollegen gelang es durch die Kühlung der Apparatur und sehr langsame Oszillationen der Spitze die repulsiven Kräfte zu messen, die aufgrund des Paulischen Ausschlussprinzips zwischen den Atomen der Spitze und denen der Oberfläche wirken. Und diese unscheinbaren Kräfte verraten alle Atome, nicht nur die Beta-Atome. Sonst misst ein AFM vor allem die etwas stärkeren, anziehenden Van-der-Waals-Kräfte, die wiederum proportional zum Tunnelstrom sind und somit nur die Position der Beta-Atome wiedergeben.

Dass die Physiker nicht einem anderen Effekt – etwa der Messspitze – aufgesessen sind, sondern wirklich alle Atome sehen konnten, prüften sie, indem sie parallel zu den AFM-Daten auch eine elektrische Messung durchführten und dabei die Messspitze wie in einem RTM benutzten – also den Tunnelstrom zwischen Probe und Spitze maßen. Wie erwartet, zeigten sich hierbei nur die Beta-Atome, nicht jedoch die Alpha-Atome.

Noch erscheint der Aufwand für derlei Untersuchungen sehr groß, aber Mark Hersam und Yip-Wah Chung von der amerikanischen Northwestern University spekulieren bereits, ob ein miniaturisiertes AFM nicht gleiches vollbringen könnte wie der 30 Tonnen schwere Klotz, und zwar bei normalen Temperaturen. Die Physiker vergleichen das mit der Miniaturisierung von Computern, die ehemals auch ganz Räume füllten.

Ferner sehen Hersam und Chung auch weiteres Potential der neuen Technik bei der Abbildung weicher organischer und biologischer Moleküle, wo die Rastertunnelmikroskopie meist versagt. Bleibt also abzuwarten, welche Bilder atomarer Strukturen uns das neue Mikroskop liefert – jenseits von Graphitoberflächen.

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