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Tulpenkrise: Warum ein Virus die Tulpenkrise auslöste

Vor 380 Jahren fand die Tulpenkrise statt. Was Epigenetik und ein Virus damit zu tun hatten, erklärt die Virologin Karin Mölling im Interview mit Spektrum.de. Sie war Professorin und Direktorin des Instituts für Medizinische Virologie an der Universität Zürich sowie Gruppenleiterin am Max-Planck-Institut für Molekulare Genetik in Berlin. Ihre Arbeit über das Tulpenvirus beschreibt Frau Mölling in ihrem populärwissenschaftlichen Buch "Viruses. More Friends Than Foes", das 2016 erschienen ist.
Gestreifte Tulpen sind besonders populär als Zierpflanzen

Frau Mölling, wie sind Sie dazu gekommen, sich mit Tulpen, genauer gesagt einem Tulpenvirus, zu beschäftigen?

Karin Mölling : Als Virologin faszinieren mich natürlich Viren aller Art. Doch während meines bisherigen Forscherlebens habe ich hauptsächlich krank machende Viren erforscht. Ich finde es äußerst spannend, mich nun mit solchen zu beschäftigen, die nicht – zumindest nicht sofort – krank machen. Bei den Tulpenviren hat mich die Frage interessiert, welche Rolle die Streifen bei der Tulpomanie, der durch die Blumen ausgelösten Wirtschaftskrise 1637, gespielt haben. Streifen wurden als besonders schön und begehrenswert empfunden. Man kann das wunderbar an Gemälden aus der Zeit des Tulpenfiebers nachvollziehen, die etwa eine Semper Augustus zeigen, jene begehrte weiß-rot gestreifte Tulpe, die ihr Muster einem Virus verdankt. Es handelt sich dabei – das weiß man heute – um das so genannte Tulip Breaking Virus (TBV). Dieses Virus ist die Ursache der Streifen – und die Ursache der Tulpenfinanzkrise. Denn diese Viren führen zu unvorhersehbaren und nicht wiederholbaren Mustern. Man konnte also eine Semper Augustus nicht einfach züchten und bestellen. Die Nachfrage war größer als der Markt – damit stiegen die Preise. Ich vertrete also die Meinung, dass Viren die Auslöser der Finanzkrise waren. Das ist neu.

Gestreifte Tulpe | Heute werden gestreifte Tulpen gezielt gezüchtet – vor 380 Jahren waren sie dagegen die Folge einer Virusinfektion. Doch diese vernichtete die Tulpe nach ein paar Jahren.

Was macht die Beschäftigung mit diesem Virus zu einer so kniffeligen Angelegenheit?

Viren in Tulpen kann man deshalb so schwer analysieren, weil Tulpen eines der größten Genome der Welt aufweisen. Ihr Genom ist zehnmal größer als das des Menschen. Der Mensch hat drei Milliarden Basenpaare im Doppelstrang seiner DNA, die Trägerin aller Erbinformationen ist. Bei einer Tulpe sind es 30 Milliarden. Und das Erbgut besteht aus Wiederholungen, acht- bis zehnfach. Diese sind aber nicht identisch, sondern haben sich mit der Zeit auseinanderentwickelt – und das kann man mit heutigen Methoden sehr schwer unterscheiden. Vermutlich haben die Tulpenzüchter dazu beigetragen. Das Haar eines Bisons genügt, um dessen DNA zu entschlüsseln. An einem vergleichbaren Versuch ist man bei der Tulpe bislang gescheitert.

Sind diese Viren denn eigentlich harmlos, wenn sie keine Erkrankung verursachen?

Es handelt sich um Viren, die meist erst in der zweiten oder dritten Generation der befallenen Tulpe zu einer sichtbaren Erkrankung oder einem Absterben führen – auch im Fall der Tulpen ist das so. Auf jeden Fall ist es eine Virusart, die sehr ansteckend ist, und deshalb haben die Züchter bis jetzt eine panische Angst davor. Heute versucht man deshalb, gestreifte Tulpen nicht mit Viren, sondern durch uralte Kreuzungsmethoden herzustellen. Das dauert zwar zehn Jahre, aber diese kauft man heute.

Was haben Sie bis jetzt dazu herausgefunden?

Fest steht, dass die Viren seinerzeit zu Veränderungen an den für die Blütenfarbe zuständigen Genen geführt haben müssen. Als ich zum ersten Mal von dem Phänomen hörte, erinnerte ich mich an die Forschungen der berühmten US-Botanikerin und Genetikerin Barbara McClintock, die vor mehr als 70 Jahren Mais untersuchte, der verschiedenfarbige Körner aufwies – nicht durch Kreuzung nach den mendelschen Gesetzen, sondern als plötzlich auftretende, reversible, also wieder umkehrbare Mutation. Der Schlüssel liegt beim Mais, wie auch bei den Tulpen, 400 Jahre zuvor in der Epigenetik.

Was bedeutet das?

Unter Epigenetik versteht man eine vorübergehende, nicht vererbbare veränderte Expression der Gene, die durch die Umwelt ausgelöst wird. Deshalb war es den Tulpenzüchtern des 17. Jahrhunderts nicht möglich, die besonderen Farben und Muster der Tulpenblüten auch in den nächsten Tulpengenerationen gezielt zu erzeugen. Anders bei "echten" Mutationen, die die DNA-Sequenz verändern: Die veränderten Merkmale bleiben bei Lebewesen über alle nachfolgenden Generationen stabil, was sich bei Pflanzen heute gezielt für Neuzüchtungen nutzen lässt.

Was ist die Folge von epigenetischen Veränderungen?

Die Umwelteinflüsse führen zum Phänomen des so genannten Gen Silencing, dem "Stilllegen" von Genen: im Fall der Tulpen also zum Abschalten von Farbgenen als Reaktion auf das Virus und auf Umwelteinflüsse. Wie genau das abläuft, ob etwa bei der gestreiften Tulpe die Streifen durch An- oder Abschalten von Genen entstanden, weiß man allerdings noch nicht. Fest steht: Es ist ein Effekt der Wechselwirkung der Viren mit den Farbgenen innerhalb der Geometrie der Pflanze.

Für die Tulpenzüchter des 17. Jahrhunderts muss das alles ein einziges großes Rätsel gewesen sein …

Von dem Wissen um Viren und Genetik war man natürlich noch etliche hundert Jahre entfernt. Aber: Der große niederländische Botaniker Carolus Clusius war ein kluger und scharf beobachtender Mann. Ohne einen Namen dafür zu haben, durchblickte er bereits das Prinzip der Epigenetik: nämlich die Bedeutung der Umwelteinflüsse. Er wies seine Mitarbeiter an, die schön gemusterten Tulpen alle strikt unter den gleichen Umweltbedingungen aufzuziehen – gleiche Licht-, Wasser- und sonstige Verhältnisse –, von denen er annahm, dass sie ideale Voraussetzungen für das Hervorbringen identischer Blüten waren. Das Silencing von Genen ist heute ein wichtiges Forschungsthema, nicht nur für Tulpen, sondern in allen Organismen.

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