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Fossilien unter dem Hammer: Das Geschäft mit der Urzeit

Eines der am besten erhaltenen Tyrannosaurus-Skelette soll im Auktionshaus Christie's versteigert werden. Fachleute kritisieren das scharf: Der Verkauf könne fatale Folgen haben.
Tyrannosaurus rex Stan

Stan hatte ein gutes Leben – zumindest was sich aus den fossilen Knochen des Tyrannosaurus rex erkennen lässt. Vor mehr als 65 Millionen Jahren schlüpfte er aus einem Ei, wie das Auktionshaus Christie's schreibt. Anfangs war Stan noch ein hilfloses Jungtier, das wahrscheinlich von seinen Eltern beschützt wurde. Doch in seinen Jugendjahren wuchs er schnell zu einem stattlichen und gefährlichen Raubtier heran. Rund drei Kilo nahm er damals täglich an Gewicht zu.

Ausgewachsen hätte Stan mit einem einzigen Biss ein Auto zermalmen können. Das ergaben Studien zur Beißkraft an seinem Schädel. Schrammen an seinen Knochen zeigten, dass Stan des Öfteren mit anderen Tyrannosauriern kämpfte. In seinem Magen fanden sich Überreste von Beutetieren wie Edmontosaurus und Triceratops. Stans Leben wurde von Paläontologen genauer dokumentiert als das vieler anderer Tyrannosaurier. Nun wird das berühmte Fossil jedoch versteigert – mit womöglich verhängnisvollen Folgen für die Wissenschaft.

Dinos unter dem Hammer

Am 6. Oktober 2020 eröffnet Christie's diese Auktion mit wertvollen Gegenständen aus dem 20. Jahrhundert. Gemälde von Paul Cézanne und Salvador Dalí sind dabei. Und Stan, eines der am besten erhaltenen T.-rex-Fossilien, die bisher gefunden wurden: vier Meter hoch, zwölf Meter lang, 188 sorgfältig präparierte Knochen. Sechs bis acht Millionen US-Dollar werden für das Fossil erwartet, umgerechnet fünf bis sieben Millionen Euro.

Stan ist nicht der erste T. rex, der durch eine Versteigerung den Besitzer wechseln würde. Bereits 1997 wurde »Sue« zu einem Auktionsobjekt, das bis heute am besten erhaltene Fossil seiner Art. Für knapp 8,4 Millionen US-Dollar (7,1 Millionen Euro) ging es an das Field Museum in Chicago. Immer wieder gelangen besondere und bedeutende Fossilien in Auktionshäuser, wo für sie oft horrende Beträge aufgerufen werden. Erst 2019 sorgte die Versteigerung eines anderen T.-rex-Fossils auf E-Bay für Aufsehen: Das Startgebot lag bei 2,95 Millionen US-Dollar. Forschende sehen solche Ereignisse kritisch. Fallen die Fossilien in Privatbesitz, gehen sie mitunter unwiederbringlich für die Wissenschaft verloren. Im Fall von Stan zeigt sich, welche fatalen Auswirkungen das haben kann.

Tyrannosaurus rex Stan | Stan ist das Musterexemplar eines Tyrannosaurus. Private Sammler mit genügend Geld könnten ihn jetzt der Wissenschaft entziehen.

Thomas Carr gehört zu denen, die den Verkauf von Stan besorgt beobachten. Er ist Paläontologe am Carthage College im US-amerikanischen Wisconsin. Sein Spezialgebiet: Tyrannosaurus rex, das »Aushängeschild des kommerziellen Handels mit Fossilien«, wie er sagt. Tyrannosaurus, der in Filmen und auf Bildern als gnadenloser Jäger dargestellt wird, ist in der Popkultur beliebt – und als Statussymbol begehrt. Carr hat bereits diverse T.-rex-Versteigerungen verfolgt. Diese ist für ihn besonders tragisch: »Stan bringt eine beträchtliche Liste von wissenschaftlichen Publikationen mit sich«, sagt Carr. »Viele Paläontologen haben an ihm geforscht – auch ich.«

Stans Karriere

1987 wurde das Fossil durch den Amateur-Paläontologen Stan Sacrison in der Hell Creek Formation entdeckt, einem Geländezug im Nordwesten der USA. 1992 gruben es Mitarbeiter des Black Hills Institute of Geological Research aus und benannten es nach seinem Entdecker. Für das Institut wurde Stan zu einem Goldesel. Man verlieh das Fossil für eine Ausstellung nach Japan, machte es in den eigenen Räumen zugänglich für Wissenschaftler und nahm Abgüsse von seinen Knochen. Originalgetreue Stan-Nachbildungen kann man im Shop des Instituts für 100 000 US-Dollar erstehen.

Carr sagt, er habe damals einen Fehler gemacht. Ihm war nicht klar, dass das Black Hills Institute ein privat geführtes Unternehmen mit wirtschaftlichen Interessen ist. Stan war kein Objekt in öffentlicher Hand, sondern in Privatbesitz, der jederzeit abgegeben werden konnte. Die Geschäftsführer und Brüder Peter und Neal Larson verkauften schon immer neben Replikaten von Fossilien auch Originale, um ihre laufenden Kosten begleichen zu können. 2015 kam es zwischen den Brüdern zu einem Gerichtsstreit. In der Folge wurde juristisch angeordnet, dass Neal Larson aus dem Unternehmen herausgekauft werden kann. Dafür sah sich das Institut genötigt, sein bestes T.-rex-Fossil zu versteigern, wie es in einem Statement mitteilt. Stan gelangte zum Auktionshaus Christie's.

Mindestens 48 Forschungsarbeiten beinhalten Daten von Stan. All diese Literatur stehe nun auf dem Spiel, sagt Carr. Denn Wissenschaft basiert auf der Wiederholbarkeit von Beobachtungen. »Als Forscher muss ich jederzeit Zugriff auf ein Objekt haben können, damit Beobachtungen revidiert und reproduziert werden können.« Würde Stan bei einer Auktion an eine Privatperson gehen, könne der Zugang jederzeit verwehrt werden. Dann wären alle Forschungsergebnisse, die durch ihn gewonnen wurden, nicht mehr überprüfbar – und somit hinfällig.

Kein Handel mit bedeutsamen Fossilien

Um das zu verhindern, haben sich viele Paläontologen eigene Regeln auferlegt. Mitglieder der US-amerikanischen Society of Vertebrate Paleontology etwa sollten nach eigens aufgesetzten Ethikmaßstäben handeln. Wissenschaftlich bedeutsame Fossilien müssen demnach in öffentlichen Forschungseinrichtungen oder staatlichen Museen aufbewahrt werden. Der Handel mit derartigen Fossilien ist untersagt.

Für Carr bedeutet das im Umkehrschluss: Alle Tyrannosaurus-Fossilien in Privatbesitz sind für seine Forschung tabu. Auch »Tristan«, der bis Anfang 2020 im Berliner Museum für Naturkunde ausgestellt war, zählt dazu. Zwar trägt das Fossil eine eigene Inventarnummer des Berliner Forschungsinstituts. Doch sein Besitzer ist der Londoner Geschäftsmann Niels Nielsen, der frei verfügen kann, was mit dem Fossil geschieht. »Ich war überrascht, dass meine Kollegen in Deutschland Forschung an diesem Fossil publiziert haben in dem Wissen, dass es sich in Privatbesitz befindet, sagt Carr. »Ich hätte das nicht gemacht.«

Im Juni veröffentlichte der Paläontologe eine breit angelegte Studie über das Wachstum von Tyrannosaurus rex, für die er 40 Fossilien der Art einbezog. Es hätten doppelt so viele sein können, sagt Carr: wenn er all jene hinzugezogen hätte, die seines Wissens in Privatbesitz oder in Lagerhallen privater Forschungsunternehmen sind. Doch obwohl die Verlockung groß ist, birgt sie auf lange Sicht ein enormes Risiko. Denn durch Publikationen erhöht sich die Popularität eines Fossils – und damit sein Wert. »Wir Paläontologen haben uns selbst ins Knie geschossen, indem wir an Stan geforscht haben«, sagt Carr.

Forschung erhöht den Preis

Christie's verweist in einer Präsentationsmappe explizit auf zahlreiche Publikationen, zu denen Stan Daten geliefert hat. Es ist nicht das erste Mal, dass ein Versteigerer wissenschaftliche Relevanz als Anreiz für Bietende nutzt. Das Pariser Auktionshaus Aguttes etwa verhandelte 2018 das Skelett eines Allosaurus. Weil es sich um eine vermutlich unbekannte Art handelte, bot es in diesem Zug auch das Recht zur Benennung an – ungeachtet wissenschaftlicher Standards. Für zwei Millionen Euro ging das Exemplar an einen unbekannten französischen Kunsthändler.

»T. rex ist auf gewisse Weise ein Markenname wie kein anderer Dinosaurier«, schreibt Christie's-Experte James Hyslop in einer Pressemitteilung. »Er fügt sich ganz natürlich neben einem Picasso, einem Jeff Koons oder einem Andy Warhol ein.« Doch bei einem Fossil gehe es um mehr als sein Aussehen, sagt Carr. »Fossilien sind Informationen über die Entstehung des Lebens.« Würde Stan der wissenschaftlichen Welt verloren gehen, fehlte nicht nur ein prächtiges Fossil, sondern auch eine wichtige Wissensquelle über Tyrannosaurier.

Auch ein Abguss seiner Knochen oder virtuelle Modelle der Fossilien helfen dann nicht weiter, sagt Martin Sander. Er ist Paläontologe am Steinmann-Institut der Universität Bonn und befasst sich dort mit Dinosauriern und Meeressauriern. In Deutschland ist der Umgang mit Fossilien indirekt in den Regeln guter wissenschaftlicher Praxis festgehalten, die unter anderem von der Deutschen Forschungsgemeinschaft veröffentlicht sind, sagt Sander: »Forschung muss reproduzierbar sein.«

Mehr als Form und Aussehen

Der Paläontologe analysiert unter anderem die Mikrostruktur von Dinosaurierknochen. Für seine chemischen Analysen ist er auf Originalfossilien angewiesen. »Knochen sind mehr als ihre Form und ihr Aussehen«, sagt Sander. Daher ist es dringend notwendig, dass Fossilien im Besitz staatlicher oder öffentlicher Einrichtungen sind. Und die Erfahrung zeigt, dass die meisten Fossilien auf lange Sicht auch dort landen, sagt der Paläontologe – durch Schenkungen oder Vererben etwa.

Im schlimmsten Fall könnte Stan allerdings aus der Öffentlichkeit verschwinden wie das Gemälde »Salvator mundi«, das dem großen Renaissancekünstler Leonardo da Vinci zugeschrieben wird, fürchtet Tyrannosaurier-Forscher Carr. 2017 erwarb ein unbekannter Bieter das Gemälde in einer Auktion für 450 Millionen US-Dollar. Ob es wirklich aus der Hand da Vincis stammt und welche Erkenntnisse sich noch aus ihm ziehen lassen, ist seitdem unmöglich zu sagen. Seit seiner Versteigerung war das wertvolle Gemälde nie wieder der Öffentlichkeit zugänglich.

Sich duellierende Dinosaurier | Auch dieses berühmte Dino-Paar sollte versteigert werden. Doch am Ende fand sich kein Käufer.

Carr hofft daher, dass Stan ein ähnliches Schicksal ereilt wie »Sue«. Auch dieses Fossil wurde vom Black Hills Institute der Larson-Brüder ausgegraben und gelangte 1997 in eine Auktion. Es war bis dahin noch kein Forschungsobjekt gewesen, doch in der Paläontologie wusste man bereits um seinen einzigartigen Wert. Das Field Museum in Chicago, ein Institut ebenfalls in privater Hand, doch ohne wirtschaftliche Interessen, suchte damals finanzielle Unterstützung, um Sue für seine Sammlung zu erhalten. Mehrere Geldgeber, darunter McDonald's und Disney, brachten schließlich mehr als acht Millionen Dollar zusammen. Eine staatliche Forschungseinrichtung wird auch dieses Mal nicht allein im Stande sein, die benötigte Summe anzubieten. »Aber vielleicht finden sich ja Mäzene«, sagt Carr. »Die Frage ist, wer acht Millionen Dollar übrig hat, um ein Fossil zu kaufen und es dann der Wissenschaft zu überlassen.«

Möglich ist dagegen auch ein ganz anderer Ausgang: nämlich, dass sich für die geforderte Summe keine Interessenten finden. Wie 2013, als ein anderes einzigartiges Fossil versteigert werden sollte. »Dueling Dinosaurs« nannte man die Gesteinsplatte, auf der zwei Dinosaurier wie im Kampf ineinander verschlungen festgehalten waren. Bei 5,5 bis 7 Millionen Dollar sollte das Startgebot liegen. Doch niemand mochte die Summe aufbringen. Die Besitzer wollen das Fossil mittlerweile an einen einzelnen Interessenten direkt verkaufen. Und auch das Tyrannosaurus-Fossil, das 2019 für mindestens 2,95 Millionen US-Dollar auf E-Bay angeboten wurde, fand keinen Bieter. Es wurde später an einen unbekannten Interessenten direkt verkauft.

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