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Heart Cell Atlas: Das Herz verstehen, Zelle für Zelle

Das Herz zu kartieren, ist eine wahrlich große Aufgabe. Für rund 500 000 Zellen ist das mit dem Heart Cell Atlas aber nun gelungen. Er soll künftig helfen, Krankheiten zu verstehen und zu behandeln.
Die Illustration zeigt ein menschliches Herz.

Im Lauf des Lebens schlägt das gesunde Herz im Körper eines Menschen mehr als zwei Milliarden Mal. Mit jedem Schlag versorgt es Zellen, Gewebe und Organe mit Sauerstoff, liefert Nährstoffe und transportiert Schadstoffe ab. Das Herz arbeitet stetig, je nach Belastung mal schneller, mal langsamer. Kritisch wird es jedoch, wenn es ungewollt aus dem Takt gerät.

Infarkt, Durchblutungsstörung, Schlaganfall – Herz-Kreislauf-Erkrankungen gelten als die führende Todesursache in Deutschland. Sie verursachen laut dem Robert Koch-Institut insgesamt etwa 40 Prozent aller Sterbefälle hier zu Lande. Die molekularen Prozesse in den Zellen gesunder Herzen genau zu kennen, kann Ärzten künftig ermöglichen, ihre Patientinnen und Patienten angemessen zu behandeln. Denn um zu verstehen, was falsch läuft, gilt es zunächst zu wissen, wie alles korrekt funktioniert.

Dabei helfen soll der erste Zellatlas des menschlichen Herzens. Es handelt sich um eine Sammlung von Karten, die fast eine halbe Million Herzzellen zeigt und verdeutlicht, wofür jede einzelne untersuchte Zelle des kegelförmigen Organs wichtig ist, wie das verantwortliche Team im Magazin »Nature« berichtet.

486 134 einzelne Zellen und Zellkerne sind dargestellt

Grundlage für den Atlas sind Herzen von 14 erwachsenen Spendern zwischen 40 und 75 Jahren. Die Herzen der sieben Männer und sieben Frauen aus Nordamerika und dem Vereinigten Königreich waren zwar gesund, aber für eine Transplantation ungeeignet. Das Team untersuchte 486 134 einzelne Zellen und Zellkerne aus sechs verschiedenen Regionen der Organe. »Unsere Ergebnisse heben die zelluläre Heterogenität von Kardiomyozyten, Perizyten und Fibroblasten hervor«, schreibt das Team, »und zeigen atriale und ventrikuläre Subsets mit spezialisierten Eigenschaften«.

Die Zelltypen im Herzen sind besonders vielfältig. Sie reichen von den sehr großen Herzmuskelzellen, die etwa 40 Prozent des Gewebes ausmachen, bis hin zu Bindegewebszellen, Nervenzellen und Immunzellen. Der Atlas offenbart sie samt dem komplizierten Netzwerk von Blutgefäßen in nie da gewesener Klarheit. Auch sei zu erkennen, wie die Zellen kommunizieren, um das Herz in Gang zu halten, schreiben die Forscher. Gar welche Gene zwischenzeitlich in jeder Zelle an- und ausgeschaltet waren, lasse sich dank einer Kombination aus Einzelzellanalyse, maschinellem Lernen und bildgebenden Verfahren genau nachvollziehen.

© Seidman Laboratory
Im Innern des Herzens
Das Video zeigt schlagende menschliche Herzzellen. Hervorgehoben haben Wissenschaftler ein in den Zellen enthaltenes Protein (grün), das für die Muskelkontraktion wichtig ist.

»Dies ist das erste Mal, dass jemand die einzelnen Zellen des menschlichen Herzens in diesem Maßstab betrachtet hat«, sagt Norbert Hübner, Mitautor und Professor am Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin in einer Pressemitteilung. Das gesamte Spektrum der Herzzellen und ihrer Genaktivität bis ins Detail zu kennen, sei bedeutend, um entschlüsseln zu können, wie das Herz auf Stress und Krankheit reagiert, sagt Hübner.

Der Atlas bildet nur einen Bruchteil des Herzens ab

Zum Ende der Studie merken die Autorinnen und Autoren an, dass es unter anderem durch die Zellgewinnung zu unbeabsichtigten Verzerrungen gekommen sein könnte. »Wir erwarten jedoch, dass unsere Ergebnisse in Studien über andere Herzregionen einfließen, Studien mit großen Kohorten vorantreiben, um die Rolle von Alter, Geschlecht und Abstammung für die normale Herzphysiologie zu klären, und kritische Erkenntnisse liefern, die ein mechanistisches Verständnis von Herzerkrankungen ermöglichen«, schreiben sie weiter.

»In einem Wort: monumental«
Douglas Mann, Kardiologe

Manch Außenstehender hat sich bereits positiv über das Projekt geäußert. »Meine Gedanken in einem Wort: monumental«, sagt der Kardiologe Douglas Mann von der Washington University School of Medicine in St. Louis, der an der Studie nicht beteiligt war, in einer die Studie begleitenden Mitteilung. »Es ist eine wirklich große Leistung und wird eine enorme Referenzquelle für das Feld sein.«

Von Vollständigkeit ist der Atlas in dieser Form allerdings weit entfernt. Allein im linken Ventrikel gibt es schätzungsweise sechs Milliarden Herzmuskelzellen. Dass die Daten online frei verfügbar sind, kann jedoch schon heute anderen Forschergruppen weiterhelfen. Und vor allem hat das Team gezeigt, was heutzutage machbar ist. Jetzt, da die Technologie erfolgreich einsetzbar ist, lässt sich der Atlas stetig weiterentwickeln und Neues lernen. Sofern es genug gespendete Herzen gibt, die sich untersuchen lassen.

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