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Fledermaus-Angst: »Das ist eine regelrechte Hexenjagd«

Fledermäuse haben eine innige Beziehung zu Viren – und ja, auch zu Coronaviren. Fürchten muss sich dennoch niemand vor ihnen. Im Gegenteil: Schutz ist wichtiger denn je, sagt der Berliner Zoologe Christian Voigt im Interview.
Fledermäuse werden seit jeher dämonisiert

Als unheimliche Nachtgestalten, die mit dem Teufel im Bunde stehen, hatten Fledermäuse lange Zeit einen sehr schlechten Ruf. Das neueste Vorurteil kommt weniger abergläubisch, sondern geradezu wissenschaftlich daher: Als Virenschleudern sollen sie die eigentlichen Verursacher der Coronavirus-Pandemie sein. Selbst in China, wo sie traditionell als Glückssymbole galten, stoßen sie nun auf Ablehnung. Womöglich stammte der Vorfahr von Sars-CoV-2 tatsächlich aus Fledermäusen. Warum sie trotzdem keine gefährlichen, sondern sehr nützliche Nachbarn sind, erklärt Christian Voigt vom Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung (IZW) in Berlin.

Herr Voigt, wenn ich abends auf Terrasse oder Balkon sitze und eine Fledermaus über mir kreist: Sollte ich mir Gedanken machen?

Nein, absolut nicht. Niemand muss Angst vor einer Fledermaus oder einem Flughund haben. Die Gefahr, sich bei einem solchen Tier mit Coronaviren zu infizieren, halte ich für extrem gering. Und der neue Erreger Sars-CoV-2 ist bisher noch bei keiner einzigen Fledermaus nachgewiesen worden.

Aber es heißt doch, dass dieses Virus ursprünglich aus Fledermäusen stammt?

Christian Voigt | Der Forscher vom Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung (IZW) in Berlin untersucht die Biologie der Fledermäuse: von den ökologischen Leistungen der Tiere über ihre Gefährdung durch Windräder bis hin zu ihrem Immunsystem und ihrer Anfälligkeit für Krankheiten. Mit einem Team um Christian Drosten von der Berliner Charité hat er vor einigen Jahren auch die verschiedenen Coronaviren in mittel- und südamerikanischen Fledermausarten untersucht.

Das ist bisher nicht bewiesen, aber ja: Der Verdacht besteht. Wir wissen, dass Fledermäuse aus der Familie der Hufeisennasen eine ganze Menge verschiedene Coronaviren in sich tragen können. Etliche davon sind völlig harmlos. Es sind jedoch auch Sars-ähnliche Viren dabei. Und eines könnte der Vorfahr des Erregers sein, der uns jetzt so viele Schwierigkeiten macht. Das bedeutet aber nicht, dass dieses ursprüngliche Fledermausvirus uns Menschen überhaupt infizieren kann. Mir ist jedenfalls kein Fall bekannt, in dem sich ein Mensch direkt mit einem Fledermaus-Coronavirus angesteckt hat und krank geworden ist.

Sars-CoV-2 brauchte also einen Zwischenwirt, um den Sprung zum Menschen zu schaffen?

Höchstwahrscheinlich. Das ist ja früher schon bei ähnlichen Erregern passiert. Zum Beispiel bei der Lungenkrankheit Sars, die 2002 zum ersten Mal im südlichen China beobachtet wurde. Dieses Virus ist möglicherweise damals über Schleichkatzen auf den Menschen übertragen worden, die in der Region auf Märkten verkauft werden. Beim Mers-Virus, das auf der arabischen Halbinsel aufgetreten ist, waren Dromedare die Zwischenwirte. Und auch beim jetzt aktuellen Virus Sars-CoV-2 halte ich es für sehr unwahrscheinlich, dass es direkt von einer Fledermaus auf einen Menschen übergesprungen ist.

Warum?

Auf dem Tiermarkt in Wuhan, über den jetzt viel spekuliert wird, werden zwar durchaus Fledermäuse verkauft – sowohl zum Verzehr als auch als Zutaten für traditionelle Arzneimittel. Nach dem, was wir bisher wissen, soll die Übertragung auf den Menschen ja irgendwann im November oder Dezember stattgefunden haben. Zu der Zeit aber halten die Hufeisennasen in China genau wie die bei uns heimischen Arten Winterschlaf. Wenn man sie daraus weckt, überleben sie nicht lange. Dass jemand in dieser Zeit ein lebendes Tier auf dem Markt verkauft hat, glaube ich deshalb nicht. Und in einem toten Exemplar überleben die Viren wahrscheinlich nicht lange. Das alles sind bisher jedoch nur Vermutungen. Ob sich die Entstehung und Geschichte von Sars-CoV-2 je bis ins Detail aufklären lässt, müssen wir abwarten.

Fledermäuse tragen aber noch eine ganze Menge weiterer Viren in sich, oder?

Das stimmt. Weltweit gibt es rund 1400 Fledermausarten, das ist die zweitgrößte Säugetiergruppe nach den Nagetieren. Nur bei einem Bruchteil davon, nämlich den Hufeisennasen, wurden die Sars-ähnlichen Coronaviren nachgewiesen. Bei so vielen Arten haben Erreger natürlich auch ein großes Spielfeld, so dass es noch zahlreiche andere Fledermausviren gibt. Zudem sind die Tiere oft sehr gesellig; es gibt Kolonien mit mehreren Millionen Mitgliedern. Da ist Social Distancing keine Option. Mitunter leben sogar Vertreter verschiedener Arten eng zusammen in einer Höhle. Entsprechend leicht können Viren von einem Tier zum nächsten übertragen werden.

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Kann man sich also beim Kontakt mit Fledermäusen eine andere Krankheit einhandeln als Covid-19?

Hier in Deutschland kommt da realistischerweise nur die Tollwut in Frage. Und da besteht nur eine Infektionsgefahr, wenn man gebissen wird. Über den Kot der Tiere wird sie nicht übertragen. Anders sieht es in den Tropen und Subtropen aus. Dort sind über den Kot schon Erreger von Fledermäusen auf Haustiere und Menschen übertragen worden.

Was waren das für Erreger?

In Australien ist Mitte der 1990er Jahre zum Beispiel das Hendra-Virus aufgetaucht, das aus Flughunden stammt. Auf noch nicht bekannten Wegen wird es manchmal auf Pferde übertragen, und beim Kontakt mit denen können sich ebenso Menschen infizieren. Dieser Erreger löst eine seltene Krankheit mit grippeähnlichen Symptomen aus, die tödlich sein kann. Touristen in Afrika haben sich auch schon mal mit dem Marburgvirus infiziert, das mit dem Ebolaerreger verwandt ist. Diese Patienten hatten Höhlen besucht, in denen Tausende von Flughunden leben und entsprechend viel Kot herumliegt.

Sollte man solche Orte also besser meiden?

Ja, das würde ich empfehlen. Derartige Fälle sind zwar nicht häufig, kommen aber vor. Sicherheitshalber sollte man auch keine toten Fledermäuse mit bloßen Händen anfassen. Und wenn man tatsächlich von einer gebissen wird, was sehr unwahrscheinlich ist, sollte man sich gegen Tollwut impfen lassen. Wenn man solche ganz einfachen Prinzipien beherzigt, ist die Infektionsgefahr, die von Fledermäusen ausgeht, extrem gering.

Wie sehen denn die Risiken für die Tiere selbst aus? Sie scheinen ja mit etlichen für andere Säugetiere gefährlichen Viren erstaunlich gut umgehen zu können. Haben sie also ein besonders effektives Immunsystem?

Das kann man so pauschal nicht sagen. Für Bakterien- und Pilzinfektionen sind sie im Gegenteil recht anfällig. An der Weißnasenkrankheit, die von einem Kälte liebenden Pilz ausgelöst wird, starben in Nordamerika bislang Millionen von Tieren. Mit Viren scheinen sie aber tatsächlich sehr gut zurechtzukommen. Sie infizieren sich damit, werden jedoch nicht krank. Außer dem Tollwuterreger gibt es kaum ein Virus, das ihnen selbst gefährlich werden kann.

Woran liegt das?

Das ist noch nicht bis ins Detail geklärt. Bestimmte entzündungshemmende Botenstoffe könnten bei ihnen besonders effektiv arbeiten, etwa die Interferone. Fledermäuse schütten große Mengen davon aus, wenn sie sich mit einem Virus infizieren. Dadurch werden die Abwehrmechanismen der Zellen aktiviert. Gleichzeitig können sie so aber auch Entzündungsprozesse im Körper hemmen, die sonst Krankheitssymptome auslösen und sogar lebensgefährlich werden könnten.

Und weil das Immunsystem anderer Säugetiere diese Tricks nicht beherrscht, können Fledermausviren für viele Arten besonders gefährlich werden?

Unter ungünstigen Umständen ja. Man nimmt an, dass es während der gemeinsamen Entwicklungsgeschichte von Fledermäusen und Viren eine Art evolutionäres Wettrennen gegeben hat: Die Abwehrkräfte der einen wurden effektiver, die anderen haben gleichzeitig immer raffiniertere Angriffsstrategien entwickelt. Wenn ein solches Virus dann irgendwann zu einer neuen Art überspringt, kann das tödliche Folgen haben.

Müssen wir also damit rechnen, dass in Zukunft noch weitere Fledermausviren über Zwischenwirte auch den Menschen erreichen?

Das kann durchaus passieren. Die Wahrscheinlichkeit hat in den letzten Jahrzehnten sogar zugenommen. Das liegt aber nicht an den Fledermäusen, sondern an uns Menschen.

Was hat der Mensch damit zu tun?

Meine Kollegen und ich haben eine Studie auf Borneo gemacht. Dort wird sehr viel Regenwald abgeholzt, um Plantagen anzulegen. Zurück bleiben dann nur kleine Reste der ursprünglichen Wälder. Blutproben von vor Ort lebenden Fledermäusen zeigen, dass die Tiere unter chronischem Stress leiden. Das könnte dazu führen, dass ihr Immunsystem schlechter funktioniert und sie eine höhere Viruslast tragen. Das gilt besonders für Waldspezialisten, die ihr Quartier unter den Blättern der Baumkronen haben.

Fledermäuse als Helfer der Reisbauern | Chaerephon plicatus beim Ausflug aus einer Kolonie, die eine Million Tiere zählt. Diese Fledermaus jagt in Thailand nach Schopfzikaden, die großen wirtschaftlichen Schaden an Reiskulturen anrichtet.

Solche gestressten Tiere scheiden dann also auch mehr Viren aus, so dass sich andere Säugetiere leichter damit infizieren können?

Wir haben damals leider kein weiteres Projekt finanziert bekommen, um diesen letzten Schritt noch belegen zu können. Aber es ist wahrscheinlich so. Dazu kommt, dass Menschen immer häufiger in den Lebensräumen der Fledermäuse unterwegs sind und deshalb auch mehr Kontakt zu möglichen Zwischenwirten haben.

Was kann man tun, um ein Überspringen weiterer Viren weniger wahrscheinlich zu machen?

Sehr wichtig ist es, die Infektionsketten besser zu erforschen: Wie genau kommen Viren von Fledermäusen auf welche Zwischenwirte und von dort zum Menschen? Wo sind eventuelle Hotspots, an denen dieser Übergang besonders leicht möglich ist? Darüber wissen wir noch viel zu wenig. Über die Wildtiermärkte in Asien und Afrika ist in diesem Zusammenhang ja schon viel diskutiert worden. Ich halte es für sinnvoll, diese zu schließen. Aber man sollte sich ebenso zum Beispiel Pelztierfarmen genauer anschauen. Denn auch dort leben Tiere wie Marder und Marderhunde, die unter Umständen als Zwischenwirte in Frage kommen. Und natürlich ist es keine gute Idee, Fledermäuse und Flughunde zu essen oder zu Medizin zu verarbeiten, wie es in etlichen Ländern Afrikas und Asiens üblich ist. Dabei kann ein Virus auch direkt überspringen.

Man sollte Fledermäuse also am besten einfach in Ruhe lassen?

Genau. Aber exakt das passiert derzeit eben nicht. Bei uns in Deutschland sind ja alle Fledermausarten geschützt. Ich höre jetzt jedoch von Kollegen aus allen möglichen Teilen der Welt, dass Menschen aus Angst vor dem Coronavirus Fledermäuse verfolgen. Solche Aktionen hat es zwar schon immer gegeben. In Thailand zum Beispiel fangen Bauern durchaus mal Flughunde, weil die ihnen Früchte wegfressen. Jetzt nimmt das in verschiedenen Ländern allerdings ganz neue Dimensionen an. Da werden gezielt Fledermausquartiere zerstört und sogar Tiere auf dem Marktplatz verbrannt. Das ist eine regelrechte Hexenjagd. Und die schadet nicht nur den Tieren, sondern auch den Menschen selbst.

Weil die überlebenden Fledermäuse dann unter Stress geraten und entsprechend mehr Viren ausscheiden?

Ja. Und wenn sie ihr Quartier verlieren, fliegen sie auf der Suche nach einem neuen weiter umher und können die Viren entsprechend weiter verbreiten. Aber das meinte ich gar nicht in erster Linie. Vor allem sind Fledermäuse nämlich extrem nützliche Tiere. Wenn ganze Kolonien ausgerottet würden, hätte das nicht nur für viele Ökosysteme, sondern auch für die Wirtschaft fatale Folgen.

Was leisten Fledermäuse denn so alles?

In den Tropen und Subtropen sind sie wichtige Samenverbreiter. Wenn nach den verheerenden Bränden im Amazonas-Regenwald wieder neue Pionierpflanzen sprießen, wird das zum großen Teil ein Verdienst der Fledermäuse sein. Auch für die Bestäubung von Blüten sind sie unersetzlich. Ohne Flughunde gäbe es zum Beispiel keine Durian-Früchte, die in Südostasien teuer gehandelt werden. Das ist ein Millionengeschäft. Zudem vertilgen sie gewaltige Mengen an Insekten. In Thailand untersuchen wir eine Freischwanzfledermaus namens Chaerephon plicatus. Diese Tiere dezimieren massiv die Schopfzikaden, die in Reiskulturen Schäden in Millionenhöhe verursachen. Sie fangen die Insekten bis in 800 Meter Höhe ab. Dadurch können sich die Insekten auch nicht mehr so leicht vom Wind in andere Regionen transportieren lassen.

Bringen auch unsere einheimischen Fledermäuse wertvolle Leistungen?

Auf jeden Fall. Wir haben einmal Insekten-DNA aus dem Kot von Fledermäusen untersucht. Mit einem so genannten Meta-Barcoding findet man heraus, was für Beute die Tiere gefressen haben. Da waren neben Landwirtschafts- und Forstschädlingen riesige Mengen von Stechmücken dabei. Wir können den Fledermäusen sehr dankbar sein, dass sie uns die vom Hals halten. Das nützt ja nicht nur unserem Wohlbefinden, sondern auch unserer Gesundheit.

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