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Elefanten in Botswana: Das Massensterben am Wasserloch

In Botswana versuchen Experten einem der rätselhaftesten Massensterben der letzten Jahre auf die Spur zu kommen. Was tötete Hunderte von Elefanten im Okavango-Delta?
Einer der 356 toten Elefanten in Botswana

Es ist bereits das zweite Mal innerhalb von nur zwei Jahren, dass Luftaufnahmen von toten Elefanten aus Botswana um die Welt gehen. Schon 2018 publizierten Forscher der Organisation Elephants Without Borders (EWB) schockierende Bilder von 156 Dickhäutern, die Wilderern zum Opfer gefallen waren. Im botswanischen Wahlkampfjahr 2019 wurde eine anschließende Untersuchung der Organisation prompt zum Politikum: Die Bilder würden nahelegen, dass die Wilderei in Botswana im Ansteigen sei, schrieb EWB. Für Präsident Mokgweetsi Masisi kam das zur Unzeit, denn der Wahlkämpfer hatte eben noch verkündet, den Elefantenschutz lockern zu wollen und neue Jagdlizenzen für Trophäenjäger auszugeben. Nun sieht sich die Regierung Masisi, nach den Wahlen vom Oktober 2019 gerade erst im Amt bestätigt, erneut mit EWB-Fotos konfrontiert, die ein Elefantensterben dokumentieren.

Doch diesmal ist der Grund für das Sterben weit weniger offensichtlich. In einem vertraulichen Report an die Regierung Botswanas vom 19. Juni, der »Spektrum« vorliegt (PDF), fasst EWB-Direktor Michael Chase die Entdeckungen zusammen: »Am 25. Mai überflogen wir die Region des Okavango-Panhandle. Dabei zählten wir 169 tote Elefanten. Am 14. Juni kehrten wir in das Gebiet nordöstlich des Dorfes Seronga zurück und entdeckten 187 zusätzliche Kadaver, die vorher noch nicht dort waren«, schreibt Chase. Dies bringe die gegenwärtige Todeszahl laut EWB auf 356. In dem Bericht vom Juni verweisen die Forscher um Chase außerdem darauf, dass 70 Prozent der toten Tiere etwa einen Monat zuvor, also im Mai, verendet waren, während 30 Prozent der Kadaver zwischen einem Tag und zwei Wochen alt waren. »Es gab hinreichend Beweise, dass Tiere aus allen Alters- und Geschlechtsgruppen gestorben waren«, schreibt Chase. Daten eines mit einem GPS-Sender ausgestatteten Elefanten, der im April starb, legen laut EWB nahe, dass das mysteriöse Sterben im März begann.

Plötzlich vornüber zusammengebrochen

Einige der Tiere zeigten Anzeichen eines plötzlichen Todes – sie waren vornüber zusammengebrochen, während sie liefen. 70 Prozent der Kadaver seien um Wasserlöcher herum entdeckt worden. Bei noch lebenden Tiere fanden sich Zeichen von Schwäche, Lethargie, Verwirrung bis hin zu Lähmungserscheinungen. »Ein Elefant lief im Kreis und war nicht in der Lage, die Richtung zu ändern«, berichtet Chase. Der Forscher vermerkt ebenfalls, dass, obwohl er mehr Geier bei den Kadavern erwartet hätte, die anwesenden Aasfresser keine Anzeichen von Krankheit oder Vergiftung aufwiesen. »Wir sahen auch keinerlei Menschen, die versucht hätten, Stoßzähne für Elfenbein zu entfernen.«

Die Regierung beauftragte örtliche Veterinäre und das nationale veterinärmedizinische Labor in Gaborone mit einer ersten Untersuchung. Ausgestattet mit den GPS-Koordinaten von EWB zählten die Ermittler der Regierung ihrerseits 281 tote Elefanten. In einem inzwischen der botswanischen Wochenzeitung »Mmegi« zugespielten Bericht vermerken die Tiermediziner, dass sie »keine definitive Todesursache« feststellen konnten.

Bei manchen Elefanten trat der Tod mitten im Laufen ein | Experten kennen derzeit keine Erklärung, die auf sämtliche Todesumstände und Begleiterscheinungnen passen würde.

Die Liste möglicher Verursacher ist lang, weshalb nun Blut-, Organ- und Gewebeproben eine Antwort liefern sollen. Sowohl das landeseigene Labor in Gaborone als auch namhafte Labors in Südafrika, Simbabwe und den USA sowie eine Einrichtung in Großbritannien sind beauftragt, bei der Aufklärung zu helfen.

In der botswanischen Hauptstadt konnten die Experten derweil zumindest schon jene Krankheiten ausschließen, auf die sie dort testen konnten. Das gilt besonders für Milzbrand, der in der Region eine regelmäßig wiederkehrende Todesursache in den Wildbeständen ist. Noch im September und Oktober 2019 starben mehr als 100 Elefanten im nördlichen Botswana an der durch das Bakterium Bacillus anthracis verursachten Seuche. Die Labortests in Gaborone konnten diesmal jedoch keinen Milzbrand nachweisen. Das könnte theoretisch ein Messfehler sein; doch Experten halten die Erklärung Milzbrand angesichts dieser Ergebnisse nun für extrem unwahrscheinlich.

Über die Ergebnisse der anderen, internationalen Labortests hüllte sich das botswanische Umweltministerium lange in Schweigen. Man müsse sämtliche Ergebnisse abwarten, um zu sehen, ob sie das Gleiche aussagen. »Erst dann können wir definitive Schlüsse ziehen«, sagte Umweltminister Oduetse Kaboto auf einer Pressekonferenz am 10. Juli in Gaborone.

Immer deutlicher aber schält sich heraus, dass wohl keine Infektion hinter den Todesfällen steckt. Ein ansteckendes Pathogen als Ursache sei »höchst unwahrscheinlich«, sagte Cyril Taolo, Direktor der botswanischen Nationalparks, der Nachrichtenagentur »Reuters« am gestrigen Donnerstag. Er beruft sich dabei auf inzwischen eingetroffene Testergebnisse aus den USA, zu denen er aber keine Einzelheiten nannte. In dem US-Labor wurde laut einer vorausgegangen Pressemitteilung der Regierung ausschließlich auf Toxine getestet. Giftstoffe, wie sie etwa von im Wasser lebenden Bakterien produziert werden, stünden nun ganz im Fokus der weiteren Untersuchung.

Kurz darauf wurden in den sozialen Medien bereits Toxine als sicherer Auslöser des Sterbens gehandelt. Doch für definitive Aussagen dieser Art ist es nach derzeitiger Faktenlage noch zu früh. Solange nicht alle Ergebnisse auf dem Tisch liegen, könne man keine Erklärung vollständig ausschließen, heißt es von Fachleuten. Denn die Umstände, unter denen die Elefanten verendeten, wollen einfach zu keinem der üblichen Verdächtigen passen.

Bis gestern dauerten die Flüge an, mit denen die Regierung Botswanas nach weiteren Kadavern suchte – bislang erfreulicherweise ohne neue Funde zu machen. »Ich erwarte von dieser Luftuntersuchung auch eher noch genauere Daten darüber, wo sich die Todesfälle speziell konzentrieren«, sagt Chris Thouless, Forschungsleiter bei der kenianischen Artenschutz- und Forschungsorganisation Save The Elephants. Thouless ist ein Veteran des afrikanischen Artenschutzes, unter anderem war er Vorsitzender des Expertengremiums für Elefanten im Washingtoner Artenschutzabkommen CITES. Auch in Botswana hat Thouless für die staatlichen Nationalparks gearbeitet. Als Direktor des Elephant Crisis Fund hat der Brite Finanzmittel für die Luftüberwachung bereitgestellt.

Reaktionen auf die Informationspolitik Botswanas schwanken zwischen Verständnis für die komplizierte Situation und Argwohn über eine eventuelle Vertuschung der Ursachen. »Der Regierung ist das internationale Interesse unangenehm. Sie musste etwas tun wegen der zahlreichen Medienberichte. Wenn es ihnen möglich gewesen wäre, es geheim zu halten, hätten sie es gemacht«, sagt Michele Pickover von der NGO EMS-Foundation. »Dass wir die Proben an internationale Labors verschickt haben, sollte Beweis genug sein, dass wir nichts zu verbergen haben«, kontert Nationalparkdirektor Taolo. »Regierungen können nicht so schnell agieren wie die Privatwirtschaft«, sagt auch Chris Thouless. Covid-19 und geschlossene Grenzen täten ihr Übriges.

Es ist kein Wunder, dass das Thema Elefanten in Botswana mit so viel politischer Brisanz einhergeht. In Afrika leiden die Tiere nach wie vor unter der Elfenbeinwilderei, dem Verlust von Habitat und dadurch verursachte Bestandsrückgänge. Jährlich fallen in ganz Afrika immer noch geschätzt 15 000 Elefanten der Wilderei zum Opfer. Es wird davon ausgegangen, dass in Afrika inzwischen lediglich rund 350 000 Elefanten existieren – zu Beginn des 19. Jahrhunderts waren es mehrere Millionen.

Botswana dagegen gilt mit seinen geschätzten 130 000 Elefanten als das letzte wirkliche Refugium der Tiere, auch wenn jüngste Studien hier ebenfalls eine Zunahme von Wilderei vermelden. Im Okavango-Delta leben dabei rund 15 000 bis 18 000 Elefanten in direkter Nachbarschaft von etwa 100 000 Menschen und 45 000 Rindern. Gerade in solchen Regionen mit einer hohen Elefantenkonzentration kommt es immer häufiger zu Mensch-Tier-Konflikten, die sowohl Elefanten- wie auch Menschenleben fordern. Eine hungrige Elefantenherde kann die Ernte eines Kleinbauerns in einer einzigen Nacht vernichten. Manche Landwirte setzen sich dagegen nicht nur mit Waffen zu Wehr, sondern manchmal mit Gift. Hinzu kommt, dass Toxine wie Zyanid auch unter Elfenbeinwilderern immer beliebter werden. So vergifteten Wilderer 2013 im simbabwischen Hwange-Nationalpark rund 150 Elefanten mit Zyanid. 2015 wurden dort dann etwa 80 weitere Tode durch Vergiftung vermeldet.

Das Muster der Todesfälle passt nicht auf Vergiftung

Im Fall der toten Okavango-Elefanten aber sprechen vor allem zwei Argumente gegen Gift: Es gab augenscheinlich keinen Kollateralschaden unter anderen Tieren, die zum Beispiel dieselben Wasserlöcher nutzten, oder unter Aasfressern, die den Kadavern nahe kamen. Außerdem wurden die Stoßzähne der Tiere nicht entfernt. Doch auch das bietet keine Gewissheit. Vielleicht täuschten sich die Wilderer, wo die Kadaver zu liegen kommen, und konnten nicht mehr an das Elfenbein heran.

Auch das Fehlen von Kollateralschäden ist kein untrügliches Zeichen, denn die Wilderer wissen, wie man sie verhindert. Zum Beispiel mit vergifteten Früchten, die sie in Reichweite ausgewachsener Elefanten in hohen Bäumen platzieren. »Aber man muss sich nur einmal vorstellen, wie viele vergiftete Orangen in Bäume gehängt werden müssten, um zu solchen Todeszahlen zu gelangen«, sagt Thouless.

Gift – und allen voran Pestizide wie Carbofuran – nutzen allerdings nicht nur diejenigen, die es auf Elfenbein abgesehen haben. Manchen geht es schlicht darum, Tiere zu erlegen, die ihren Herden oder der Ernte gefährlich werden könnten. Solche Gifte sind auch im Okavango-Delta selbst schon zum Einsatz gekommen. Dort wurden 2013 allein 30 bis 50 Prozent der heimischen Löwen in einer groß angelegten Vergiftungskampagne von Rinderfarmern getötet. Es ist ein dauernder Konflikt, der allerdings von Tierschutzgruppen immer weiter entschärft werden kann, besonders mit Methoden, die Nutzvieh und Raubtiere voneinander fernhalten. Um eine friedliche Koexistenz zwischen Menschen und Elefanten sorgen sich im Delta Gruppen wie Eco-Exist, die jetzt von der Regierung mit der Untersuchung der Elefantentode betreut wurde.

Elefant im Okavango-Delta | Botswana gilt als eines der letzten gesunden Refugien für die Dickhäuter in Afrika.

Dass sich auch Monate, nachdem man ein solches Massensterben beobachtete, immer noch keine gesicherte Erklärung vorliegt, ist selten, aber nicht ohne Beispiel. 2015 gingen die Bilder Abertausender toter Saiga-Antilopen aus Kasachstan um die Welt. Die grasbewachsenen Ebenen waren teils übersät mit Kadavern. Geschätzte 200 000 Tiere fielen einer Blutvergiftung zum Opfer. Was hatte sie ausgelöst? Die Wissenschaft war lange ratlos. Schließlich stellte sich heraus, dass extreme Hitze und Luftfeuchtigkeit normalerweise harmlose Pasteurella-Bakterien zu einer solch starken Vermehrung stimulierten, was die Tiere am Ende überwältigte.

Eine Kombination von Faktoren könnte der Auslöser sein

Ein ähnliches Phänomen halten Forscher auch bei den Elefanten für möglich, besonders vor dem Hintergrund der nun langsam eingehenden Testergebnisse. Das könnte die Aufklärung erheblich verzögern. »Bei den Saiga-Antilopen hat das ewig gedauert, ehe wir Gewissheit hatten«, sagt Fabian Leendertz, Epidemiologe und Experte für Zoonosen am Robert Koch-Institut. Obwohl die Forscher damals die Pasteurella-Bakterien früh erkannten, hielten sie es zunächst für unwahrscheinlich, dass diese solch ein Massensterben auslösen könnten.

Leendertz gilt besonders in Afrika als ausgewiesener Experte bei der Detektivarbeit im Zusammenhang mit Tierseuchen. So waren die Mitarbeiter des Leendertz-Labors unter anderem an der Aufklärung eines Milzbrandausbruchs in Uganda und der Analyse verschiedener Ebolaausbrüche im Kongo und Westafrika beteiligt. In der Elfenbeinküste wiesen Leendertz und seine Kollegen einen bis dato unbekannten Milzbranderreger nach. Mit der Untersuchung der Todesfälle in Botswana ist das Team jedoch nicht befasst, so dass Leendertz die Lage nur anhand allgemein bekannter Fakten beurteilen kann. Der Umstand, dass Proben an internationale Labors, zum Beispiel in den USA, verschickt wurden, sage ihm, dass es sich bei der Todesursache der Elefanten durchaus um etwas Komplizierteres handeln könnte.

Einig sind sich die Experten vor allem darin, dass Spekulationen so lange müßig sind, wie noch keine Testergebnisse veröffentlicht wurden. »Egal, welche Erreger wir in diesem Fall diskutieren, die Muster passen nie wirklich ganz genau«, sagt Thouless. Etwa die virale Enzephalomyokarditis. Ein Ausbruch 1993 im südafrikanischen Krügerpark ging mit einem explosionsartigen Anstieg der Nagetierpopulation einher, den man in Botswana nicht festgestellt hat. Auch Herpesviren, die mitunter Elefanten töten, fügen sich nicht ins Bild des botswanischen Elefantensterbens.

Ist es inzwischen womöglich gar zu spät, um die Ursache eindeutig zu identifzieren? Immerhin liegt der Todeszeitpunkt in einigen Fällen bereits Monate in der Vergangenheit. »Manche Forscher in den Laboren sagen vielleicht, dass die Gewebeproben nicht mehr frisch genug aussehen und sich eine Analyse nicht mehr lohnt. Das ist leider in der Veterinärmedizin immer noch eine weit verbreitete Haltung«, sagt Leendertz. Aber selbst, wenn Tiere schon lange tot seien, lohnt es sich dem Experten zufolge, Proben zu konservieren, um sie für molekulare Analysen zu erhalten. »Auf diese Weise werden inzwischen sehr viele Wildtierproben untersucht, denn man ist selten rechtzeitig vor Ort. Wir haben mit solchen Methoden selbst Anthraxerreger in 40 Jahre alten Schimpansenknochen isolieren können.« Ist der Erreger ein Unbekannter, müsse man das Problem »wirklich mit Hightechmethoden angehen – aber auch das ist machbar«, sagt Leendertz.

Darum gibt sich Pathogendetektiv Leendertz bei den Okavango-Elefanten optimistisch: »Wir als Forscher haben bisher noch bei jedem tot aufgefundenen Tier klären können, woran es gestorben ist.« Selbst wenn es manchmal etwas länger dauere.

Vom finalen Verdikt der Pathologen wird auch abhängen, welche Bedeutung das Sterben für die 15 000 Elefanten des Okavango Deltas hat. Unter guten Umständen würden laut Thouless in der Region pro Jahr etwa 750 Tiere geboren. Addiert man die Todesfälle von Seronga auf die natürliche Sterblichkeit, halten sich Zu- und Abgänge ungefähr die Waage.

Doch es könnte auch anders ausgehen für die Elefanten – wenn in Wahrheit ein Anstieg der Wilderei dahintersteckt, wenn in den durch Todesfälle geschwächten Herden der Nachwuchs ausbleibt oder wenn sich die ominöse Krankheit, die den Tieren zugesetzt haben mag, weiter ausbreitet. Dann könnte das Gleichgewicht womöglich doch kippen. Es wäre selbst für eine an sich gesunde Population wie die der Elefanten in Botswana keine gute Nachricht.

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