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Fortpflanzung: Das merkwürdige Verhalten geschlechtsreifer Fledermäuse

Unheimliche Flattertiere, Blutsauger, Investitionshemmnis - seit langem müssen Fledermäuse gegen hartnäckige Vorurteile kämpfen, und erst in jüngster Zeit wecken sie mitunter Sympathien. Dabei könnte eine ihrer Arten manch Männerherz höher schlagen lassen.
Große Hufeisennase
Zu den eher unrühmlichen Höhepunkten deutscher Fernsehkultur zählen Aussagen medial wohl etwas unbedarfter Teilnehmer einstiger nachmittäglicher Diskussionsrunden, die unter großem Hallo des Publikums, aber gleichzeitigen cholerischen Ausbrüchen anwesender Familienmitglieder gestanden, sie hätten wahlweise der Tochter, der Mutter oder schlimmer noch der Großmutter den Partner ausgespannt. Die gängige Sozialisation des Menschen und seine Kulturgeschichte sorgten jedoch vielfach dafür, dass dieses Wechselspiel mindestens verpönt, zumeist aber geächtet ist – aus einsichtigen Gründen, die nicht nur der Wahrung des häuslichen Friedens dienen.

Nicht so im Tierreich: Hier gibt es durchaus Paarungsstrategien, die darauf abzielen, durch gleichwertigen Partnertausch die Verwandtschaftsbeziehungen zu stärken. Die engeren Bindungen untereinander erhöhen wiederum die Kooperationsbereitschaft der einzelnen Gruppenmitglieder – der Einzelne profitiert noch stärker von den sozialen Vorteilen der Gemeinschaft bei der Futtersuche, der Beherbergung oder dem Schutz vor Feinden.

Große Hufeisennase | Weibliche Große Hufeisennasen (Rhinolophus ferrumequinum) leben nicht nur im Matriarchat, in dem Männchen nur zur Paarungszeit Zutritt haben, sondern teilen sich ihre Fortpflanzungspartner auch noch. So können Mutter und Tochter durchaus mit dem gleichen Er Nachkommen zeugen, sofern dieser nicht bereits ihr eigener Vater ist – Inzest wird zumeist strikt vermieden.
Ein derartiges Sexualleben birgt jedoch auch Risiken. Denn wie wird etwa verhindert, dass es dabei nicht doch zum Inzest kommt? Diese Art des Genaustauschs birgt schließlich Gefahren, etwaige Schäden im Erbgut unter Umständen besonders zu betonen – die Gesundheit der Nachkommenschaft und womöglich der ganzen Spezies kann darunter am Ende leiden. Und dennoch gibt es eine Fledermausart, die dieses Verhalten auf die Spitze getrieben hat.

Die europäische Große Hufeisennase (Rhinolophus ferrumequinum) betreibt nach Ansicht von Forschern um Stephen Rossiter von der Universität London eine extreme Art der familiären Polygynie, wie die Vielweiberei wissenschaftlich bezeichnet wird. Bei diesem nächtlichen Jäger leben die weiblichen Verwandten einer Sippschaft Generationen übergreifend in größeren Gruppen zusammen und teilen sich einen Schlaf- wie Brutplatz. Die Männer führen hingegen über Monate hinweg ein Einzelgängerdasein im Umkreis der Frauenhäuser. Nur zur Paarungszeit suchen sie dann die matriarchalische Gesellschaft auf, um sich unter der Damenwelt fortzupflanzen.

Dabei geschieht allerdings Sonderbares, wie die Wissenschaftler während einer mehr als zehnjährigen Langzeitstudie anhand von genetischen Untersuchungen entblößten: Das maskuline Geschlecht der Fledertiere lässt sich meist nicht etwa nur mit dem femininen Stammesoberhaupt ein, sondern beglückt oft auch noch die Tochter und deren Schwester, die Enkelin oder die Cousinen ersten wie zweiten Grades. Dabei brachten es 14 Männchen und 27 Weibchen der beobachteten und identifizierten Erwachsenen auf mindestens 34 verschiedene Paarungskombinationen, die teilweise über acht Jahre hinweg wiederholt wurden und aus denen mehrere hundert Junge hervorgingen.

So verkehrten in einer Vielzahl von Fällen einzelne Männchen mit Mutter und Tochter, Großmutter und Enkelin, mit jeweiligen Halbschwestern, Halbtanten und Halbnichten oder in anderen Kombinationen. Natürlich verrutschen bei einem derartig chaotischen, gleichwohl aber fixierten Liebesleben auch schon einmal die Verwandtschaftsbeziehungen: Die Forscher entdeckten beispielsweise, dass die Halbtante mütterlicherseits eines Weibchens gleichzeitig auch deren Halbschwester väterlicherseits war.

Diese Erhöhung des Verwandtschaftsgrads untereinander lässt sich auch rechnerisch belegen, wie ein "Verbundenheits-Koeffizient" innerhalb des Matriarchats anzeigt. Die genetische Beziehung ist teilweise um den Faktor 3 oder 5 enger, als es in normalen Tierpopulationen ohne derartigen Partnertausch der Fall wäre. Ein klassischer Fall der Forscher war etwa eine Flederfamilie, in der eine Mutter mit zwei Vätern zwei Töchter zeugte. Die beiden Töchter ließen sich dann jeweils mit dem Vater der anderen Schwester ein, woraus in einem Fall ein Mädchen entstand, das folglich nicht nur zur Halbnichte ihrer Tante wurde, sondern auch noch mit ihr den gleichen Erzeuger teilte.

Wo aber für den Menschen die Beziehungsgefüge ohne Schautafel langsam kompliziert zu werden drohen, behalten die Hufeisennasen noch den Überblick. Nur in einem einzigen Fall ließen sich Vater und Tochter direkt miteinander ein, in weiteren sechs Verpaarungen betraf es etwa Enkelin und Großvater mütterlicherseits oder Halbgeschwister. Ansonsten vermieden es die Tiere tunlichst, sich mit ihrem eigenen Erzeuger oder dem ihrer Mutter einzulassen. Erst wenn diese sich einen neuen Partner suchten, fand er auch Gnade in den Augen der Töchter, Enkelinnen oder Urenkelinnen. Unter den etwa 350 Nachkommen, die in all den Jahren das Licht des Brutplatzes erblickten, befanden sich nur 16 Sprösslinge als Resultat von Inzest.

Wie die Tiere allerdings im Einzelfall die Paarung mit engen Blutsverwandten vermeiden, konnten Rossiter und sein Team noch nicht erklären. Ein Teil der Risikominimierung besteht jedenfalls darin, die Söhne aus diesem potenziellen Harem zu vertreiben: Nach Erreichen der Geschlechtsreife fliegen sie im wahrsten Sinne raus und müssen sich meist eine andere Schwesternschaft zur Mehrung der eigenen Gene suchen.

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