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Astrophysik: Kosmisches Neutrino-Rätsel gelöst

Die überraschende Messung hochenergetischer Neutrinos aus dem All warf Fragen auf. Nun gibt es eine Theorie, wie die Teilchen in der Nähe von Schwarzen Löchern entstanden sein könnten.
Illustration eines Teilchens
Wo ist die starke Gammastrahlung abgeblieben, die hochenergetische Neutrinos eigentlich begleitet? Diese Frage stellte die Fachwelt vor ein Rätsel.

Im Jahr 2022 zeichnete das IceCube Neutrino Observatorium in der Antarktis ein seltsames Signal auf: Von der knapp 50 Millionen Lichtjahre entfernten Galaxie Messier 77 strömten Neutrinos mit einigen Teraelektronenvolt Energie – allerdings ohne die üblicherweise begleitende hochenergetische Gammastrahlung, die beim Entstehungsprozess von Neutrinos erzeugt wird. Das stellte die Fachwelt vor ein Rätsel. Wie waren die Neutrinos entstanden?

Nun hat eine Forschungsgruppe um den Physiker Alexander Kusenko von der Universität Tokio eine mögliche Erklärung für die hochenergetischen Teilchen gefunden – und damit einen neuen Prozess vorgestellt, wie Neutrinos in der Nähe extrem massereicher Schwarzer Löcher erzeugt werden könnten. Ihre Ergebnisse hat die Gruppe im Fachjournal »Physical Review Letters« veröffentlicht.

Bisher nahmen Physikerinnen und Physiker an, dass Neutrinos – extrem leichte Teilchen, die keine Ladung besitzen – in aktiven galaktischen Kernen entstehen: Dort gibt es in der Regel einen kosmischen Jet, einen gerichteten Strom aus Gas und Strahlung. Im Fall von Messier 77 rührt der Jet von einem extrem massereichen Schwarzen Loch her. Trifft ein Wasserstoffkern auf einen solchen Jet, tritt das Proton mit den dortigen Photonen in Wechselwirkung und kann in der Folge ein Neutrino produzieren – allerdings nur in Begleitung von hochenergetischen Photonen. Deswegen sind Messungen von Neutrinos aus dem All oft mit starker Gammastrahlung verbunden.

»Wenn sich unser Szenario bestätigt, sagt das etwas über die Umgebung in der Nähe des supermassiven schwarzen Lochs im Zentrum der Galaxie aus«Alexander Kusenko, Physiker

Das von IceCube aufgenommene Signal war aber nur von schwacher elektromagnetischer Strahlung begleitet. Was hatte die Neutrinos in Messier 77 also erzeugt? Kusenko und seine Kollegen haben eine mögliche Erklärung vorgelegt. Nach Wasserstoff ist das zweithäufigste Element im Universum Helium, das aus zwei Protonen und zwei Neutronen besteht. Wenn Helium durch einen Jet beschleunigt wird, spalten die darin befindlichen Photonen den Kern in seine Einzelbestandteile auf. Während die Protonen weiter beschleunigt werden (und gegebenenfalls wie oben beschrieben weiter mit Photonen wechselwirken), sind freie Neutronen instabil und zerfallen nach einer gewissen Zeit von allein. Sie erzeugen dabei ein Neutrino ganz ohne begleitende Gammastrahlung.

Der von den Forschenden beschriebene Vorgang passt zu den gesammelten Messdaten. »Wenn sich unser Szenario bestätigt, sagt das etwas über die Umgebung in der Nähe des extrem massereichen Schwarzen Lochs im Zentrum der Galaxie aus«, sagte Kusenko in einer Pressemitteilung. »Wir stehen am Anfang des neuen Forschungsgebiets der Neutrinoastronomie – und die mysteriösen Neutrinos von Messier 77 sind eines der Rätsel, die wir dabei lösen müssen.«

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  • Quellen
Physical Review Letters 10.1103/PhysRevLett.134.151005, 2025

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