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News: Das Schicksal der Gezeitenkräfte

Im übertragenen Sinne sind die Weltmeere mondsüchtig. Ihre Wassermassen folgen dem Erdtrabanten, angezogen von dessen Gravitationskraft. Der größte Teil dieser Energie verschwindet in den flachen Regionen und an den Küsten. Aber bislang wusste niemand, was mit dem restlichen Drittel passiert. Erst genaue Höhenmessungen des Meeresspiegels verraten, wohin die Energie entfleucht: Sie irrt durch die Tiefen der See.
Wenn Energie dissipiert – also in eine nicht nutzbare Form übergeht –, muss das nicht unbedingt etwas Schlechtes sein. Wellen, die sich an Felsen im Wasser brechen, zu unseren Füßen am Strand auslaufen oder auf dem Weg zum Ufer in sich selbst zusammenfallen, dissipieren ihre Energie in Romantik und Wärme. In den flachen Bereichen der Meere und an den Küsten geben die Ozeane den weitaus größten Teil jener Energie weiter, die sie aus dem Gravitationssog des Mondes erhalten haben. Rund 30 Prozent davon – das entspricht immerhin etwa 1012 Watt – nimmt jedoch einen anderen Weg.

Auf der Suche nach der verschwundenen Energie verschafften sich Richard Ray vom Goddard Space Flight Center in Greenbelt und Gary Egbert von der Oregon State University in Corvallis einen Überblick, der so exakt und zeitlich umfassend war, wie ihn zuvor noch niemand hatte. Sie werteten eine Datenfülle aus, die der Satellit TOPEX/Poseidon in den letzten sechs Jahren angesammelt hatte. Per Radar vermisst dieser künstliche Trabant die genauen Wasserstände der Weltmeere.

Mit dem Material erstellten die Wissenschaftler ein Modell, das den Verlauf der Gezeitenkräfte über 16 Tage zeigt (Nature vom 15. Juni 2000). Bis zu 15 Metern Höhenschwankungen stellten sie in einigen Regionen fest. In anderen Bereichen hing der Meeresspiegel dagegen fast gar nicht vom Mondstand ab. Besonders Abschnitte mit ausgeprägter Topographie am Meeresgrund führen anscheinend zu starker Dissipation. Wenn die vom Mond mitgezogenen Wassermassen sich an unterseeischen Bergen und mittelozeanischen Rücken brechen, verbraucht das eben eine Menge Energie. Eine solche Zone liegt beispielsweise im Nordatlantik, weitere finden sich um Hawaii, südlich von Japan, bei den Philippinen und Madagaskar.

Es ist gut denkbar, dass die Gezeitenkräfte durch diese Vorgänge, bei denen große Wassermengen vertikal wandern, zu den großräumigen ozeanischen Zirkulationen beitragen. Von den 2*1012 Watt Energie, welche diese Strömungen zum Antrieb benötigen, bringen Winde nur rund die Hälfte auf. Trotzdem berücksichtigen die gängigen Modelle keine Gezeiten. Das wird sich wahrscheinlich in der Zukunft ändern, meint Egbert. Vor allem Langzeitsimulationen des Klimas sollten seiner Ansicht nach den Einfluss des Mondes auf die Meere in die Rechnung einbeziehen.

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