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Interaktom: Das soziale Netzwerk unserer Proteine

Jedes Protein pflegt Kontakt zu etwa sechs anderen - zumindest bei dem Set, das Forscher nun untersucht haben. Daraus erstellten sie den bisher umfassendsten Beziehungsatlas für die Proteine in unserem Körper.
So sieht das bislang größte Beziehungsnetzwerk unserer Proteine aus

Wer hat Kontakt zu wem? Was man von Menschen mitunter gerne wüsste, hat ein Forscherteam nun zumindest für etwa 8000 unserer Proteine geklärt. In der Fachzeitschrift »Nature« präsentiert das internationale Team um Michael Calderwood von der Harvard Medical School das bislang größte »Interaktom«. Das Kartenwerk, von den Forschern »human binary protein interactions« oder kurz HuRI genannt, gibt an, welche Proteine paarweise miteinander interagieren. Das soll beispielsweise beim Verständnis von Krankheiten helfen.

Das menschliche Erbgut enthält 20 000 bis 25 000 Gene. Fachleute gehen davon aus, dass diese die Bauanleitung für 80 000 bis 400 000 Proteine liefern. Wie wichtig einzelne Proteine sind und welche Aufgaben sie in unserem Körper erfüllen, versteht man oft erst dann, wenn sie nicht mehr richtig funktionieren. »Man kann unser Interaktom benutzen, um vorherzusagen, welche Rolle ein Protein spielt«, sagt der an der Studie beteiligte Genetiker Frederick Roth in einer Pressemitteilung seiner Universität. Zwei Proteine, die ähnliche Interaktionspartner haben, sind wahrscheinlich auch an ähnlichen biologischen Prozessen beteiligt. Mit Hilfe von HuRI haben die Forscher für manche Proteine bereits neue Eigenschaften entdeckt, etwa eine Beteiligung am programmierten Zelltod oder an Transportprozessen.

Um herauszufinden, ob zwei Proteine miteinander interagierten, verwendeten die Forscher Hefezellen. Diese veränderten sie genetisch so, dass sie jeweils zwei von insgesamt 17 500 menschlichen Proteinen herstellten. Im Inneren der Hefezelle schwammen diese beiden Proteine nun frei umher und traten miteinander in Kontakt – oder auch nicht.

Ob es zur Bindung kommt, lässt sich von außen nicht ohne Weiteres beurteilen. Also griffen die Forscher zu einem Trick: Sie koppelten an das eine Protein ein Molekül, das die Hefen besser wachsen lässt – allerdings erst dann, wenn es selbst aktiviert wird. Den notwendigen Aktivator koppelten sie darum an Protein zwei. Nur wenn die beiden Proteine aneinander binden, wird der Wachstumsbooster in Gang gesetzt. Er heftet sich an eine bestimmte Stelle im Erbgut der Hefe und schaltet dort seinerseits ein Gen an, das die Zelle schneller wachsen lässt. So können die Forscher allein schon beim Blick durchs Mikroskop erkennen, ob die zwei untersuchten Proteine miteinander interagieren oder nicht. In der Fachwelt ist ein solches Verfahren als »yeast two-hybrid system« bekannt.

Für 8275 der untersuchten Proteine entdeckte die Arbeitsgruppe insgesamt etwa 53 000 Wechselwirkungen, die auch anderen molekularbiologischen Tests standhielten. Das seien schätzungsweise gerade einmal zwei bis elf Prozent der Interaktionen, die es zwischen allen Proteinen in unserem Körper gibt. Selbst zwischen den bereits getesteten Proteinen haben die Forscher möglicherweise so manche Interaktion verpasst. In Hefezellen finden nicht alle Prozesse statt, die es in menschlichen Zellen gibt. Darum könnten den Proteinen bestimmte Veränderungen fehlen, die sie brauchen, um miteinander in Kontakt zu treten.

Trotzdem, so schreiben die Forscher, könne HuRI der internationalen Wissenschaftsgemeinschaft wertvolle Informationen liefern. Es habe die Anzahl der bekannten Protein-Interaktionen verdreifacht. Bereits im April 2019 haben sie das Interaktom durch eine Onlineveröffentlichung auf bioRxiv der Fachwelt zugänglich gemacht. Seitdem hätten schon 15 000 Menschen das eigens aufgesetzte Internetportal besucht und sich den Datensatz heruntergeladen, sagt Roth. Das Team arbeitet bereits daran, die Untersuchungsmethoden zu verbessern und weitere Proteinbeziehungen aufzudecken.

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