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Internationale Raumstation: Das ungewisse Ende eines Leuchtturmprojekts

Die Internationale Raumstation erreicht demnächst das Ende ihrer Lebenszeit und soll kontrolliert in der Erdatmosphäre verglühen. Das ist ein heikler und gefährlicher Prozess.
Die Internationale Raumstation ISS
Das Ende der Internationalen Raumstation naht. Es ist allerdings keine Option, sie als eine Art Museum einfach im All zu lassen.

Seit fast einem Vierteljahrhundert beherbergt die Internationale Raumstation (ISS) ununterbrochen Astronauten und wissenschaftliche Experimente. Sie ist eine beständige Bastion der Menschheit in der erdnahen Umlaufbahn. Doch trotz ihrer zahlreichen Erfolge sind die Tage der Raumstation gezählt.

In den kommenden Monaten wird die NASA Vorschläge für Raumfahrzeuge prüfen, die die ISS »aus dem Verkehr ziehen« sollen. Ziel ist, sie sicher in die Erdatmosphäre abzusenken, damit sie dort verglüht. Die Raumfahrtbehörde erklärte, dass sie voraussichtlich fast eine Milliarde Dollar für dieses Unterfangen wird zahlen müssen, um nicht auf Russland angewiesen zu sein. Das Ende der ISS ist für Anfang des nächsten Jahrzehnts geplant, erweist sich aber schon jetzt als heikle Angelegenheit für die Raumfahrttechnik und die internationale Diplomatie.

Die ISS sei »ein Schlüsselsymbol der internationalen und zivilen Zusammenarbeit«, sagt Mai'a Cross, Politikwissenschaftlerin an der Northeastern University. »Was die zivile Zusammenarbeit angeht, würden viele sie als das größte Projekt bezeichnen, das jemals in der Geschichte der Menschheit in Angriff genommen wurde.«

»Die ISS ist ein Schlüsselsymbol der internationalen und zivilen Zusammenarbeit«Mai'a Cross, Politikwissenschaftlerin

Obwohl sie auch von Kanada, Japan und Europa unterstützt wird, ist die ISS in erster Linie eine gemeinsame Initiative der USA und Russlands und einer der wenigen Bereiche, in denen die beiden Nationen trotz jahrzehntelanger schwieriger Beziehungen unerschütterlich zusammenarbeiten. Die ersten Module – eines aus den USA und das andere aus Russland – erreichten Ende des Jahres 1998 die Umlaufbahn. Und die erste Besatzung der Raumstation – ein Astronaut und zwei Kosmonauten – zog im November 2000 ein. Seitdem ist die ISS ununterbrochen bewohnt und hat ihre ursprünglich geplante Lebensdauer von 15 Jahren weit übertroffen.

Aber nichts währt ewig. »Auch wenn es schade ist, dass sie ausgemustert wird, ist es einfach nicht praktikabel, sie auf unbestimmte Zeit in der Erdumlaufbahn zu lassen«, sagt George Nield, Präsident des Unternehmens Commercial Space Technologies und ehemaliges Mitglied des Aerospace Safety Advisory Panel der NASA. Der Ausschuss fordert die Raumfahrtbehörde auf, eine klare Strategie für die Auflösung der ISS zu entwickeln, und zwar lieber früher als später.

Ein drohendes Problem

Das Schicksal des fliegenden Labors liegt darin begründet, dass es sich in einer erdnahen Umlaufbahn befindet. Dort wird alles durch einen beständigen Strom abbremsender atmosphärischer Partikel zu unserem Planeten zurückgezogen. Gegen diese Kräfte muss die ISS an ihrer Position gehalten werden. Ohne regelmäßige Triebwerksstöße verliert ein Raumschiff in dieser obersten Schicht der Atmosphäre kontinuierlich an Geschwindigkeit und Höhe und sinkt schließlich so tief, dass es auseinanderbricht und in der Erdatmosphäre verglüht. Die meisten Impulse zur Aufrechterhaltung der Umlaufbahn der ISS kommen von russischen Progress-Frachtfahrzeugen, die – sobald sie an der Station angedockt sind – regelmäßig ihre Triebwerke zünden, um dem ständigen Sinken der Raumstation entgegenzuwirken.

Theoretisch könnte die NASA die ISS auf eine Umlaufbahn vollständig außerhalb der Erdatmosphäre bringen und dort einfach lassen. Aber so viel Masse in eine so hohe Umlaufbahn zu befördern, wäre extrem teuer. Und selbst wenn man die Station auf einer solchen »Friedhofsumlaufbahn« zurücklassen würde, birgt die ISS immer noch Gefahren: Da sie so alt und groß ist, wäre ihr Zerfall auf Dauer unvermeidlich und würde enorme Mengen an Trümmern erzeugen, die andere Satelliten beschädigen könnten.

»Ein unkontrollierter Wiedereintritt könnte erhebliche Auswirkungen auf die Menschen am Boden haben, einschließlich Todesfällen, Verletzungen und gravierender Sachschäden«George Nield, Präsident von Commercial Space Technologies

»Man will sie nicht im All belassen«, sagt Jonathan McDowell, Astrophysiker am Center for Astrophysics von Harvard & Smithsonian, der auch Satelliten in der Umlaufbahn überwacht. »Es wäre zwar sehr schön, sie als eine Art Museum zu betrachten, aber sie wird irgendwann zerbröseln.« Ein Rückbau der ISS ist laut Nield nicht machbar, weil sie nicht für eine Demontage konzipiert wurde – jeder Versuch, dies zu tun, wäre mit großen Risiken verbunden, weil die Bestandteile nach mehr als zwei Jahrzehnten unter den extremen Bedingungen des Weltraums instabil und alt sind.

Wenn die Raumstation nicht immer weiter in der Umlaufbahn kreisen kann, dann muss sie verglühen. Es gibt zwei Möglichkeiten, das zu erreichen: entweder indem sie gezielt in die Atmosphäre geschubst wird oder durch einen – wie Ingenieure es nennen – »unkontrollierten Deorbit«, bei dem die ISS unkontrolliert auf die Erdoberfläche stürzt. Letzteres ist zweifellos gefährlich: Die ISS ist größer als ein Fußballfeld, und ihre Umlaufbahn verläuft über den Köpfen von 90 Prozent der Erdbevölkerung. Bislang gab es so gut wie keine Unfälle mit Menschen und menschlichem Eigentum durch herabfallende Raumschifftrümmer – doch als größtes Objekt, das jemals den Orbit verlassen hat, könnte die ISS dies leicht ändern.

»Ein unkontrollierter Wiedereintritt könnte erhebliche Auswirkungen auf die Menschen am Boden haben, einschließlich Todesfällen, Verletzungen und gravierender Sachschäden«, sagt Nield. »Das wäre kein guter Tag.« Der sicherste Weg, die ISS auf die Erde zu bringen, besteht nach Ansicht der NASA-Beamten darin, sie über den dünn besiedelten Weiten des südlichen Pazifiks abstürzen zu lassen, um das Risiko von Schäden zu verringern.

Der Weg nach unten

Das ist schwierig, weil die ISS auf ihrer etwa 1,5-stündigen Umlaufbahn jede Minute mehr als 400 Kilometer der Erdoberfläche überfliegt, wobei sich die Spur auf Grund der Rotation der Erde ständig ändert. Je länger die ISS durch die Atmosphäre fällt, desto mehr Trümmerteile verteilen sich entlang dieser Bahn und desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass ein verirrtes Teil irgendwo auf der Erde Schaden anrichtet. Der Sturz der Station sollte aber auch nicht zu schnell erfolgen: Würde die ISS mit zu großer Wucht herabstürzen, könnte der erhöhte Luftwiderstand große Teile wie die ausgedehnten Solaranlagen oder einzelne Module abreißen, die dann wiederum unkontrolliert und unvorhersehbar in die Atmosphäre eintreten würden.

Die unregelmäßige Geometrie der Raumstation verschärft dieses Problem noch und macht es umso wichtiger, die Station während ihres Sturzes durch die Atmosphäre in einer stabilen Lage zu halten. Sollte sie ins Taumeln geraten, würde die Rakete, die den Deorbit antreibt, nicht mehr in die richtige Richtung zeigen und die ISS vom Kurs abbringen.

Dazu kommt noch, dass die Erdatmosphäre ein bemerkenswert unbeständiges Wesen ist: Sie wird abhängig vom Aktivitätszyklus der Sonne dünner und dicker und ändert sich beim Übergang vom Tag zur Nacht und zurück. »Was passiert, wenn man ein großes Objekt wie die Internationale Raumstation in die Erdumlaufbahn bringt, hängt sehr stark davon ab, was mit der atmosphärischen Dichte passiert«, sagt David Arnas, Luft- und Raumfahrtingenieur an der US-amerikanischen Purdue University. Es sei kaum möglich, das exakt vorherzusagen.

»Die ganze Welt wird zuschauen«Mai'a Cross, Politikwissenschaftlerin

All diese Faktoren führen dazu, dass der ideale Prozess in etwa wie folgt abläuft: Nach Wochen oder Monaten des natürlichen Absinkens der ISS würde ein speziell angefertigtes Raumfahrzeug in einer Höhe von etwa 400 Kilometern über der Erde einen Deorbit-Schub beginnen. Die Station könnte dann etwa auf den halben Weg zur Erdoberfläche absinken, bevor sie destabilisierenden Effekten ausgesetzt ist. In einer Höhe von etwa 200 Kilometern würde die Missionsleitung die Flugbahn der ISS anpassen und die Deorbit-Rakete so steuern, dass die annähernd kreisförmige Umlaufbahn der Station in eine Ellipse umgewandelt wird, deren erdnächster Punkt etwa 145 Kilometer über dem Planeten liegt. Dies würde dazu beitragen, die Zeit zu minimieren, die die Station während des restlichen Abstiegs in den unteren, dichteren Schichten der Atmosphäre verbrächte. Dort würde die Rakete ein letztes Mal zünden, um die Station noch weiter nach unten zu drücken, so dass sie schließlich in den Südpazifik stürzt. »Die ganze Welt wird zuschauen«, davon ist Mai'a Cross überzeugt.

Aber was braucht es, um dieses Kunststück zu vollbringen? Bis vor Kurzem war die NASA der Ansicht, dass mehrere – vielleicht sogar drei – russische Progress-Frachter die ISS aus dem Orbit befördern müssten. Doch dieser Plan war stets vorläufig, da die Koordination der einzelnen Frachter schwierig ist. »Selbst wenn die Dinge gut laufen, wäre es eine Herausforderung«, sagt Nield. »Es müssten mehrere Progress-Fahrzeuge gebaut, gestartet und miteinander verbunden werden sowie exakt funktionieren.«

Geht es notfalls auch ohne Russland?

Und zumindest was die amerikanisch-russische ISS-Partnerschaft angeht, läuft es nicht gut. Der Einmarsch Russlands in der Ukraine hat die Beziehungen zwischen Russland und den USA auf den tiefsten Punkt seit dem Kalten Krieg gebracht und die Zusammenarbeit in Bezug auf die ISS belastet. Russland hat zuletzt angedeutet, dass es noch vor dem offiziellen Ende aus der ISS-Partnerschaft aussteigen will, und hält sich offen, dann auch keine Progress-Raumfähren für einen kontrollierten Deorbit zu Verfügung zu stellen. Weder die NASA noch Roskosmos reagierten auf Interviewanfragen für diesen Artikel.

Obendrein gab es in letzter Zeit einige beunruhigende Zwischenfälle mit russischer Hardware, die das Vertrauen in die Raumfahrttechnik des Landes erschüttert hat. Im Jahr 2018 zum Beispiel trat bei einer russischen Sojus-Kapsel, die an die Station angedockt war, Luft aus. Das kleine Loch sei möglicherweise absichtlich in einem Sabotageakt hineingebohrt worden, sagten russische Fachleute damals. Später im selben Jahr wurde ein russischer Flug, der zwei Astronauten zur Station bringen sollte, nach einem missglückten Start sicher abgebrochen. Im Jahr 2021 traf schließlich ein Forschungsmodul auf der Erde ein, das ursprünglich bereits 2007 von der ISS starten sollte, aber durch verschiedene Probleme aufgehalten wurde – darunter die Fehlzündung eines Triebwerks, die die Station kurzzeitig in einen beunruhigenden Sturzflug versetzte. Im vergangenen Jahr traten bei den russischen Kühlsystemen an Bord der ISS drei Lecks auf, durch die giftiges Ammoniak ins All gelangte. Und im August erlitt die erste Mondmission Russlands seit fast einem halben Jahrhundert einen demütigenden Rückschlag, als die Sonde während des Landeanflugs auf den Mond stürzte.

All das macht ein amerikanisches Deorbit-Instrument immer attraktiver, auch wenn es teuer wird. »Das würde auch die Verhandlungsmacht Russlands deutlich reduzieren«, sagt Astrophysiker McDowell. Wenn sich die NASA jedoch einen einzelnen Deorbiter wünscht, so McDowell weiter, hat sie nicht viele Möglichkeiten. »Die Dinge, die auf den ersten Blick naheliegend erscheinen, haben einfach nicht den nötigen Wumms, um die ISS in so kurzer Zeit durch die Atmosphäre zu treiben und verglühen zu lassen«, sagt McDowell. Die leistungsstärkste vorhandene Technologie sei aus seiner Sicht noch das europäische Servicemodul des Artemis-Programms, das die unbemannte Orion-Kapsel der NASA im Herbst 2022 bei einer wichtigen Mondumrundung angetrieben hat und künftig zur Landung von Menschen auf der Mondoberfläche beitragen soll. Alle anderen verfügbaren Module seien entweder viel zu schwach oder zu stark oder einfach nicht in der Lage, genügend Treibstoff für diese Aufgabe zu transportieren. Daher habe die NASA nun kommerzielle Angebote für ein neues, speziell angefertigtes Deorbit-Fahrzeug eingeholt.

Nationales Ende eines internationalen Projekts

Unabhängig davon, ob sich die NASA für ein neues oder ein für diese Aufgabe angepasstes existierendes Raumfahrzeug entschließt, wird die Entscheidung über die Beziehungen zwischen den USA und Russland hinaus Auswirkungen auf die vielen anderen internationalen Beziehungen haben, die der ISS zu Grunde liegen. Das Ende der Raumstation ist ebenso eine gemeinsame Verantwortung wie es ihr Bau und ihre Instandhaltung war. Aber aus den öffentlich einsehbaren Dokumenten der NASA geht nicht klar hervor, ob die kanadische, japanische, europäische und russische Raumfahrtbehörde dem aktuellen, von den USA geleiteten Plan zugestimmt hat.

Das sich abzeichnende Ende des Megaprojekts ebnet auch den Weg für eine andere Art von internationalen Gesprächen: nämlich über künftige Partnerschaften im Weltraum. Im Rahmen der Artemis-Vereinbarung baut die NASA bereits bilaterale Partnerschaften mit Ländern auf, die an der Erforschung des Mondes interessiert sind. Russland ist nicht dabei. China, das die USA lange von der ISS ausgeschlossen hatte, hat sich mit seinem eigenen Orbitallabor und seinen Mond- und Marsrobotermissionen zu einem Machtfaktor im Weltraum entwickelt. Ob das Ende der ISS zu einer Entspannungspolitik zwischen den USA und China führen wird, ist unklar.

Sicher sei, so formuliert es die Politikwissenschaftlerin Cross, dass alle künftigen internationalen Partnerschaften nicht an die ISS heranreichen werden. Die bleibe wahrscheinlich eine einzigartige, glänzende Errungenschaft. »Die Landschaft der an der Raumfahrt beteiligten Länder sieht jetzt schon ganz anders aus als zu Beginn der Zusammenarbeit zwischen Russland und den USA bei der ISS«, sagt sie.

Wenn die ISS schließlich zur Erde zurückkehrt, wird ihr Sturz einer der bittersüßesten Meilensteine in der langen und glanzvollen Geschichte der Raumfahrt sein. »Es gibt nicht viele Momente in der Geschichte, in denen wir die Gelegenheit haben, ein solches Manöver durchzuführen und zu erleben«, sagt Raumfahrt-Ingenieur David Arnas. »Die Verantwortlichen werden an diesem Tag sehr, sehr nervös sein.«

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