News: Das Verdampfungsparadoxon
Den Ausschlag, das Phänomen näher zu untersuchen, gab ein Symposium über Wasserressourcen und globale Erwärmung an der Johns Hopkins University im Frühjahr 1997. Dort bezog sich ein russischer Hydrologe auf das Verdampfungsparadoxon, weil er einige Verdampfungswerte nicht eindeutig erklären konnte, die offenbar mit anderen Indikatoren der Klimaveränderung nicht in Einklang standen. Parlange brachte daraufhin das Thema bei seinem damaligen Doktorvater Brutsaert zur Sprache.
Um das Paradoxon genau unter die Lupe zu nehmen, konzentrierten sich die beiden Forscher auf den Wasserkreislauf: Das Wasser fällt als Regen oder Schnee auf die Erde, versickert im Boden oder endet in Gewässern. Dann verdampft es wieder, es bilden sich Wolken und der Kreislauf beginnt erneut. In den vergangenen zwanzig bis dreißig Jahren wurden Daten in den Vereinigten Staaten, der ehemaligen Sowjetunion, in Indien und Venezuela gesammelt. Sie zeigen, daß der Verlauf eines kompletten Zyklus vom Niederschlag bis zur Verdampfung heute weniger Zeit als früher benötigt. Warum das so ist, darüber gehen die Meinungen der Wissenschaftler auseinander, aber daß sich der Wasserkreislauf beschleunigt hat, wird größtenteils akzeptiert. Es könnte ein natürliches Phänomen sein oder ein vom Menschen ausgelöstes – durch die Freisetzung von zusätzlichem Kohlendioxid.
Trotzdem konnten sich viele Klimaforscher nicht erklären, warum in Gebieten mit zunehmenden Regenfällen und wachsender Bewölkung die Verdampfungswerte kleiner werden. Wenn weniger Wasserdampf in die Atmosphäre gelangt, wie können sich dann mehr Regen und mehr Wolken bilden? "Meiner Meinung nach", sagt Parlange, "haben einige der Forscher einfach vermieden, darüber zu reden. Aber es ist ein heikles Problem, das all jene stört, die Klimaveränderungen untersuchen." Deshalb betrachteten Parlange und Brutsaert zunächst die Art und Weise, wie die Verdampfung eigentlich aufgezeichnet wird. Wetterstationen auf der ganzen Welt stellen hierzu gewöhnlich mit Wasser gefüllte Metallbecken auf hölzernen Plattformen im Freien auf. Die Becken sind etwa 30 Zentimeter tief und haben einen Durchmesser von ungefähr 90 Zentimetern. Jeden Tag mißt ein Mitarbeiter, wieviel Wasser aus dem Becken verschwunden ist.
Parlange und Brutsaert fanden ihre Vermutung bestätigt, daß eine verringerte Verdampfung aus den Becken nicht zwingend bedeutet, daß auch aus der Umgebung weniger Wasser verdampft. Meist wurde nämlich bei den Messungen die "örtliche Land-Oberflächen-Feuchte" nicht mitberücksichtigt. Das heißt jene (Luft-)Feuchtigkeit, die in der Umgebung bereits vorhanden ist, beziehungsweise dort fehlt. So würde zum Beispiel das wassergefüllte Becken in einer heißen, trockenen Wüste sehr schnell verdampfen. Stellt man indes das gleiche Becken in einen kühlen Regenwald, würde das Wasser weitaus langsamer verdunsten. Somit können die Verdampfungswerte in einigen Regionen einfach deshalb absinken, weil das Gebiet in größerem Maße von Regen und Schnee geprägt ist.
"Wenn Klimaforscher also ihre groben Messungen mittels Verdampfungsbecken auswerten, dürfen sie einfach nicht die Land-Oberflächen-Feuchte vergessen. Dann verschwindet auch das Paradoxon, und die Verdampfungswerte passen wieder zu den anderen Anzeichen der Klimaveränderungen", so die beiden Wissenschaftler.
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